Mittwoch, 29. April 2020

Georg Fülberth: G Strich. Kleine Geschichte des Kapitalismus



"Was ist das, wovon alle reden: Kapitalismus? Zunächst wird die Antwort des Verfassers mit den Definitionen früherer Autoren verglichen, wobei Karl Marx ziemlich gut abschneidet. Dem folgt eine Darstellung von Entstehung und Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft vom Handelskapitalismus bis zum Neoliberalismus der Gegenwart. Sie schließt die Gegenbewegungen ein und mündet in die Frage nach dem etwaigen Ende dieser Produktions- und Lebensweise." (Umschlagtext)

Es ist ja nicht nur so, dass gerade genug Zeit fürs Schmökern bleibt - es fangen ja auch schon die Diskussionen an, wem wie mit öffentlichen Geldern geholfen werden soll. Ganz sicher machen sinnvolle Zulagen für die wirklich systemrelevanten Berufe für Pfleger*innen, Verkäufer*innen ... nicht die Systemfrage auf. Aber sehr sicher werden genügend große Konzerne eben auch die Hände aufhalten - um die Gewinne der Investoren sichern zu können. Wäre das nicht ein guter Anlass, mal wieder übers Ganze nachzudenken? 🤓😉

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Dienstag, 28. April 2020

Mosaik #533



Corona ist ja keine Insel in der Südsee. Da aber zumindest spielt das neue Abenteuer der Abrafaxe. Und wenn ich das nun erschienene zweite Heft gelesen habe, suche ich mir eine Weiterbildung für gelungene Überleitungen. Alohaheeeee! 

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Montag, 27. April 2020

Sascha Reh: Gegen die Zeit



„Während draußen geschossen wurde, blieb ich in meinem Zimmer, hungrig, in dumpfer Sorge vor einer Infektion, in Gedanken bei Ana. Ich tat nichts als darauf zu warten, dass sie mich abholten.“ (Seite 9)

Jagdbomber über der Moneda, dem chilenischen Präsidentenpalast, putschende Soldaten davor, mittendrin der erste und freigewählte sozialistische Präsident des Landes – eine letzte Rede an das Volk haltend – das sind Bilder, die sich vielen eingebrannt haben. Sascha Reh erzählt vor diesem historischen Hintergrund eine andere Episode dieses gesellschaftlichen Versuchs, die ebenso wie die Präsidentschaft Salvador Allendes zu einem abrupten Ende kam.

Ein junger deutscher Industriedesigner kommt zunächst für einen Lehrauftrag an der Universität nach Chile, schließt sich dann aber außerdem einem Projekt an, dass futuristischer kaum klingen könnte, gleichwohl aber historisch belegt ist. Lange vor dem Internet sollte der Versuch unternommen werden, Firmen im ganzen Land miteinander zu vernetzen. Kennzahlen zu Produktion, Lieferketten, Material und Bedarfen sollten an einem Ort zusammenfließen, um mithilfe eines Großraumcomputers nahezu in Echtzeit eine bedarfsgerechte Steuerung wirtschaftlicher Tätigkeiten zu ermöglichen. Was für eine Idee, Anfang der 70er Jahre in einem Land, dessen politische Zerrissenheit nicht geringer war als die territoriale Spreizung von der Küste bis in die Anden und von Nord bis nach Feuerland im Süden.

Hans Everding, der junge Deutsche und Erzähler der Geschichte, findet sich in einem idealistischen Team aus chilenischen Expert*innen wieder, dass immer wieder inspiriert wird von einem britischen Wissenschaftler, der hier umsetzen kann, was in seinem eigenen Land als sozialistische Phantasterei abgetan würde.

Die Erzählung von Hans setzt ein am 11. September 1973. Er flüchtete mit wichtigen Materialien aus der Zentrale des Projektes vor den Putschisten, wurde verletzt und erwartet nun, jederzeit von der Soldateska aufgespürt und abgeführt zu werden. In Rückblenden berichtet er davon, wie dieses Projekt aufwuchs, sich das Team fand und mit welchen Widrigkeiten sie in dieser wilden Zeit zu kämpfen hatten.

Das Unvermeidliche geschieht natürlich: Hans wird tatsächlich in seiner Unterkunft ausfindig gemacht und an seinen bisherigen Arbeitsort zum Verhör gebracht. Es erwartet ihn ein Offizier, der deutsch kann und Informationen über das Projekt verlangt. Diese Verhörsituation und die ihr folgenden machen einen guten Teil des Geschehens aus, in der Schilderung des Erzählers vermischen sich hier sein Bericht an die Leser*innen und das, was er dem Offizier erzählt.

Die Putschisten wollen Zugriff auf die dem Projekt innewohnenden Daten über Fabriken, Menschen, Unterstützer*innen usw. erhalten. Hans hätte als deutscher Staatsbürger natürlich auch die Möglichkeit sich durch seine Ausreise aus der Affäre zu ziehen. Aber so einfach liegen die Dinge natürlich nicht. Immerhin hatte er nicht nur für das Projekt Verantwortung übernommen, sondern damit auch für die Menschen in Chile und für den politischen Versuch.

Doch wem seiner bisherigen Mitstreiter*innen aus dem Projekt konnte er noch weiterhin vertrauen? Wer war bereit die Seiten zu wechseln? Wie viel eigenes Leiden würde Hans bereit sein zu ertragen, ohne sein Wissen preiszugeben?

Den Text empfand ich anfangs ein wenig tröge, was allerdings der Erzählstimme von Hans Everding geschuldet war. Genauso wie der Zeit brauchte, um in Chile anzukommen, Beziehungen zu den Menschen aufzubauen, so brauchte es auch etwas Zeit, bis das Erzählen in Schwung kam. Spätestens bei den Schilderungen der Verhöre musste ich aber den Hut vor dem Autor ziehen, dem hier ein Erzählgeflecht gelungen ist, das unglaublich intensiv und bedrückend die Atmosphäre einfängt. An dramatischen, brutalen und unglaublichen Szenen bestand im Chile des Putsches ganz sicher kein Mangel. Sascha Reh nutzt die Erzählstimme von Hans, all das distanziert zu schildern und zugleich dennoch für die Menschen und ihre damaligen Visionen und zugleich gegen den barbarischen Umsturz Partei zu ergreifen.

Kurz und gut: Eine nachdenklich stimmende und unbedingt lohnende Lektüre. Ich bin gespannt auf Weiteres von Sascha Reh!

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Freitag, 24. April 2020

Unsichtbares Komitee: Jetzt




"Nicht mehr warten.
Nicht mehr hoffen.
Sich nicht mehr ablenken, verunsichern lassen.
Einbrechen.
Die Lüge in die Schranken weisen.
An das glauben, was wir empfinden.
Danach handeln.
Versuchen. Scheitern. Wieder versuchen. Besser scheitern.
Dranbleiben. Angreifen. Aufbauen.
Vielleicht siegen.
Auf jeden Fall überstehen.
Seinen Weg gehen.
Also leben.
Jetzt." (Umschlagtext)

(Übersetzung: Birgit Althaler)

Zehn Jahre nach dem Manifest DER KOMMENDE AUFSTAND erschien 2017 nun dieser dritte Text. Der setzt ein mit Bezügen zum damaligen Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich.

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Donnerstag, 23. April 2020

Unsichtbares Komitee: An unsere Freunde


"Seit dem KOMMENDEN AUFSTAND, der eine breite und kontroverse internationale Debatte entfacht hat, sind das Unsichtbare Komitee und seine Freunde bei nahezu allen Aufständen in allen Ecken der Welt dabei gewesen, dort, wo sie Feuer fing: in Tunesien, Griechenland, Spanien, der Türkei, Syrien, Quebec, Brasilien ... Aus dieser Bewegung heraus wurde dieses Buch geschrieben: Ein Bericht über den Zustand der Welt, eine einzigartige Analyse der aktivistischen Praxis - und der Versuch einer Antwort auf die Frage, warum die vielen lokalen Kämpfe bisher noch nicht zur globalen Revolution geführt haben." (Umschlagtext) (Übersetzung: Birgit Althaler)

2014, sieben Jahre nach dem französischen Original, erschien dieser Band.

Mit dem Blick von heute, da eher autoritäre, rechtspopulistische Parteien und Bewegungen global Siege feiern, dürfte diese Analyse spannend sein. Was blieb, fragen wir 2020? 🧐🤫

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Mittwoch, 22. April 2020

Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand



"Es geht nicht mehr darum zu warten - auf einen Lichtblick, die Revolution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht das, was kommt, sondern das, was da ist. Wir befinden uns schon jetzt in der Untergangsbewegung einer Zivilisation. Das ist der Punkt, an dem man Partei ergreifen muss." (Umschlagtext)

(Übersetzung: Elmar Schmeda)

Was einem so mal wieder in die Hände fällt, wenn man nur lange genug und intensiv zuhause bleibt. 

Im französischen Original erschien das Buch 2007. Das ist die deutsche Ausgabe von 2010. Zehn Jahre sind doch mal ein guter Abstand, um derlei noch mal zu lesen und zu prüfen, obs schon historisch geworden ist. Wenn ihr wisst, was ich meine. 

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Dienstag, 21. April 2020

Benjamin von Eckartsberg/ Thomas von Kummant: GUNG HO, Band 4. Zorn




„GUNG HO ist ein aus dem Chinesischen abgeleiteter Amerikanismus und bedeutet ‚motiviert, engagiert‘ und ‚in Harmonie zusammenarbeiten‘. Mit der Zeit erlangte er verschiedene Bedeutungen, z.B. wurde er im 2. Weltkrieg von den Marines im Pazifik als Kampfschrei verwendet. In unserer Geschichte ist GUNG HO ein Slang-Begriff für ‚hitzköpfig und übermotiviert, ohne Rücksicht auf Verluste‘.“ (Seite 4)

Ein gutes Jahr noch heißt es warten, dann wird planmäßig der Abschlussband der Serie GUNG HO erscheinen. Ich werde dem Erscheinungstermin wieder entgegenfiebern, mich riesig auf die limitierte Vorzugsausgabe freuen – den Band dann behutsam auf meinen Lesestapel legen. Vermutlich werde ich mir wieder fast ein Jahr Zeit lassen, bis ich dann den ersten Band aus dem Regal ziehe, um die Story endlich in Gänze und ohne Unterbrechungen durchzusuchten. Himmel, wie ich mich darauf freue. ;)

Da es bis dahin aber noch ziemlich viel anderen Lesestoff geben wird, will ich gern jetzt schon ein paar Gedanken zu GUNG HO festhalten. Immerhin hat mich diese Serie unglaublich begeistert. Aber warum denn eigentlich?

Worum geht es in der Serie? Ein futuristisches Europa wurde von einer Flut an Bestien aus den Weiten Sibiriens heimgesucht. Die Menschen ziehen sich in wenige befestigte Städte zurück, flüchten vom Land. Außerhalb dieser Städte verbleiben vereinzelte Vorposten, die der Versorgung dienen. Hier leben auch diejenigen, die mit der hierarchischen und militarisierten Gesellschaft in den Städten nicht zurechtkommen oder zurechtkommen wollen.

Zwei Brüder, Teenager, werden quasi in einen dieser Vorposten strafversetzt. Gemeinsam mit ihnen kommen wir beim Lesen in der eigentlich idyllischen Siedlung an. Schnell wird aber klar, dass trotz atemberaubender Natur und atmosphärischer Sonnenuntergänge hier wenig Platz für Idylle und Romantik ist.

In der Siedlung leben Familien mit Kindern, es gibt eine Verwaltung für die aus den Städten gelieferten Materialien und natürlich eine militärische Organisation zur Verteidigung des Vorpostens gegen die Monster.

Die Brüder, altersgerechte Freigeister, kollidieren schnell mit der Leitung der Siedlung und fürs erste auch mit einigen anderen Teenagern. Mit ihnen lernen wir das Gefüge und das Personal kennen. Und schon gibt es die erste Verteidigung gegen einen Überfall der Monster und eskalierende Konflikte.

So ein wenig liegt den Brüdern das Aufrührerische im Blut. Sie sind also bestens geeignet, die Situation in der Siedlung als Katalysatoren in Bewegung zu bringen. Die Jugendlichen werden sich auf eigene Faust aufmachen und gegen das rigide und auch korrupte System revoltieren, in dem sich die Erwachsenen eingerichtet haben. So weit, so gut.

Zahlreiche Verfilmungen der letzten Jahre, The Hunger Games oder Maze Runner …, zeigen, dass dystopische Settings mit jugendlichen Protagonisten gern ein großes Publikum erreichen können. Die Story von GUNG HO schreit auch eigentlich danach, irgendwann auf großer Leinwand erneut erzählt zu werden.

Die Figuren sind vielschichtig dargestellt, entwickeln sich. Es gibt Romanzen, Sex und Schlägereien – gewürzt mit auch mal deftigen Dialogen. Perfekt also. Es das alles sieht auch noch in den Zeichnungen einfach fantastisch aus.

In klar abgegrenzten Paneln erinnern die Bilder mich ein wenig an Videospieloptik. Sie verstecken nicht den Anteil an digitaler Bearbeitung. Es gelingt dem Team aber, dass all das sich sehr organisch, authentisch und modern zugleich darstellt. Es entsteht eine bildliche Ästhetik, die perfekt mit der Story und den Figuren harmoniert.

Wenn ich mich richtig an Interviewschnippsel erinnere, hat das GUNG HO-Team nicht unbedingt vor, aus dem Setting eine Endlosserie werden zu lassen, auch wenn sich in diesem Kosmos sicherlich noch sehr viele Geschichten erzählen ließen. Es soll also, zumindest nach meinem Kenntnisstand, bei den geplanten fünf Bänden bleiben.

Und wenigstens die ersten vier sind in sich rund erzählt. Jeder Band weckt genügend Neugierde auf den nächstens, ohne nur auf Cliffhanger hin konstruiert zu wirken. Mir fällt also gerade so gar nichts zum Meckern ein oder auf.

Kurz und gut: So geht Comic! Eintauchen, wegschmökern und sich famos unterhalten lassen. Lesen!

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Donnerstag, 16. April 2020

Lucia Puenzo: Die man nicht sieht



"Diebe haben keine Sommerferien: Ismael, Enana und Ajo sind noch halbe Kinder, doch als Einbrecher nicht zu fassen - bis die kleinen Gauner an dein Luxusstränden Uruguays in große schmutzige Geschäfte hinter glänzenden Fassaden geraten." (Umschlagtext)

Das klingt doch eindeutig nach einer passenden Story fürs Pandemieschmökern im sonnigen Hinterhof. 

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Montag, 13. April 2020

Steffen Mensching: Schermanns Augen



"Rafael Schermann, Graphologe und eine Berühmtheit in der Wiener Caféhaus-Szene der zwanziger Jahre, wird in den Gulag verschleppt; ein junger deutscher Kommunist steht ihm als Übersetzer zur Seite. Ein Schicksalsgefährte? Ein Freund? Ein Verräter? - Zwei gänzlich gegensätzliche Charaktere, die ins Räderwerk eines mörderischen Jahrhunderts geworfen sind." (Umschlagtext)

Lasst dicke Bücher um mich sein - wie es schon in der klassischen Literatur hieß. Ähem ... ihr wisst schon. 😉

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Sonntag, 12. April 2020

Ae-Ran Kim: Mein pochendes Leben



(Übersetzung: Sebastian Bring)

„Mein Vater und meine Mutter waren sechzehn, als sie mich bekamen.
Dieses Jahr bin ich sechzehn geworden.
Ob ich siebzehn oder achtzehn werde, weiß ich nicht.“ (Seite 7)

Arum ist der Erzähler dieser Geschichte. Er leidet an Progerie. Mit seinen sechzehn Jahren steckt er im Körper eines Achtzigjährigen. Heilbar ist diese Krankheit nicht. Um an Geld für die teure Behandlung zu kommen, die zumindest die Schmerzen lindert, meldet er sich bei einer Fernsehshow an. Arum erzählt dort seine Geschichte; die Kosten fürs Krankenhaus kommen zusammen. Und ein Mädchen meldet sich bei ihm.

Aus einer anderen Feder, in einem anderen Verlag könnte das alles nur rührselig und sehr kitschig daherkommen. Ae-Ran Kim gelingt es, Arum eine glaubwürdige Stimme zu geben. Die Stimme eines Teenagers, der körperlich so viel älter ist als seine jungen Eltern, der aber zugleich darum weiß, wie viel er selbst nicht mehr erleben wird. Das macht ihn wissensdurstig und schärft seinen Blick. Er ist gelassener als die Menschen um ihn herum.

Im Wissen darum, dass er so etwas wie die erste große und leidenschaftliche Liebe selbst nicht erleben wird, erforscht und erzählt er die Geschichte der Liebe seiner Eltern. Im Hier und Heute sind sie ein noch junges Paar, immer an der Grenze zur Überforderung durch die Situation mit ihrem unheilbar kranken Sohn. Aber natürlich nahm auch diese Liebe ihren Anfang – nämlich just als seine Eltern so alt waren, wie Arum jetzt.

Das Erzählen ihrer Geschichte wird Arums Abschiedsgeschenk an seine Eltern sein, so viel kann ich verraten. Und, dass er sich alle Freiheiten nimmt, sie magisch aufzuladen, um die Liebe, deren Ergebnis er ist, in ein literarisches Kleinod zu verwandeln.

Zwei Teenager leben, nicht weit voneinander entfernt, in einer ländlichen Gegend Koreas. Beide erleben die traditionellen Anforderungen an junge Menschen als Fesseln und rebellieren auf ihre je eigene Weise. Beide wollen ausbrechen, wissen aber noch lange nicht wohin. Es kann also nur vom Schicksal gewollt sein, dass sie sich begegnen – und ineinander verlieben.

Daran erinnert Arum seine Eltern mit der Geschichte, die er ihnen schreibt. Zugleich berichtet er den Leser*innen des Buches über die Konsequenzen dieser jungen, ungestümen Liebe und der frühen Schwangerschaft. Die gesellschaftlichen und familiären Zwänge denen sich seine Eltern gegenüber sehen sind sehr real und verlangen ihnen viel ab. Anstatt über ihre Ziele nachzusinnen, sich auszuprobieren, zu scheitern, sich neu zu versuchen, müssen sie sich nun um ein Kind kümmern.

Arum scheint fast ein wenig froh darüber, dass sein kurzes Leben von anderen Dingen bestimmt wird. So viel Ungefähres kann ihm nicht widerfahren. Er weiß, dass er sterben wird, bevor all die unvorhersehbaren und oft ziellosen Umstände sein Leben ergreifen und prägen können. Vielleicht lässt ihn auch genau dieses Wissen so gelassen, aber eben nicht abgeklärt werden.

Eine einfache Mail nach der Ausstrahlung der TV-Sendung, die ihn bekannt macht und der Öffentlichkeit vorstellt, bringt seine Ruhe ins Wanken. Ein krebskrankes Mädchen schreibt ihn an und scheint damit seine Seele zu berühren. Arums Gelassenheit bröckelt und er erlebt, was für alle Teenager so selbstverständlich ist.

Das Mädchen gibt es nicht. Was sie in Arum auslöst, ist dagegen real. Genauso real wie seine Eltern und ihre Geschichte.

Ae-Ran Kim verwebt die verschiedenen Ebenen dieser Geschichte ganz wunderbar unprätentiös und überaus filigran. Sie verleiht Arum eine Stimme, die echter nicht klingen könnte. Nichts empfand ich beim Lesen als kitschig oder als Effekthascherei.

Ich weiß gar nicht sicher, ob ich beim Blättern am Messestand oder im Buchladen auf das Buch aufmerksam geworden wäre. Zwei Umstände stießen mich dann aber ordentlich mit der Nase auf dieses Buch.

Bei der Leipziger Buchmesse 2018, als sie noch stattfinden konnte also ;), lernten wir das Verlegerpaar des CASS Verlags kennen. Sie erzählten so mitreißend davon, wie sie Texte im Japanischen – oder hier im Koreanischen – entdecken, was es braucht, um sie für deutschsprachige Leser*innen zugänglich zu machen, dass wir ganz angesteckt und neugierig die Lesung von Ae-Ran Kim besuchten. Begeisterung steckt eben an. Und ich konnte damit ein wirklich wunderbares Buch, einen anrührenden und tollen Text entdecken.

Dass wir seitdem unbedingte Fans des CASS Verlags sind, muss ich hier eigentlich schon kaum noch erwähnen. 

Kurz und gut: Für mich eine Entdeckung. Lesen! Unbedingt!

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Samstag, 4. April 2020

Nils Knoblich: Fortmachen



„1989.
Na Kleiner, wie kann ich dir helfen?
Ich hätte gern zwei große Pomm Fritz.“ (Seite 7/8)

Autobiografische Werke machen mich ja eher selten wirklich neugierig, obwohl ich schon einige wirklich gute gelesen habe. Irgendwie lässt mich die Skepsis nicht so richtig aus ihren Fängen und ich erwarte meistens etwas unnötig Bescheidenes, bei dem ich gar nichts über die jeweilige Person erfahre, oder aber etwas über Gebühr Geschwätziges.

Wenn der erzählte Stoff sich dann auch noch in einem sensiblen zeitgeschichtlichen Raum bewegt, der ohnehin die Gemüter erhitzt und Meinungen sich gern polarisieren lässt, dann möchte ich gern oft die Finger davon lassen.

Nun ja, eines mal gleich vorweg: Fortmachen hat keine meiner Befürchtungen bestätigt. ;)

Nils Knoblich ist 1984 in der DDR geboren. Im gleichen Jahr stellen seine Eltern einen Ausreiseantrag. 1989 kann die Familie in die Bundesrepublik übersiedeln – drei Monate vor dem Fall der Mauer.

Jahre später will Nils mehr über die Umstände der Ausreise, das Leben – auch sein Leben – in der Zeit bis zur Bewilligung des Antrags herausfinden. Er erzählt in diesem Comic die Geschichte der Familie und von deren Ausreise und auch die seiner Suche nach den Erinnerungen.

Die Verknüpfung der Erinnerungen mit ihren Auswirkungen auf die Familie im Hier und Heute machte für mich beim Lesen die Geschichte authentisch. Knoblich erliegt nicht der Versuchung, die DDR als Ganzes fassen und beurteilen zu wollen. Die Wirkung dessen, was er und seine Angehörigen erfahren und erleben mussten, gerät dadurch umso eindringlicher.

Eine junge Familie entscheidet sich für die Ausreise aus dem Land, in dem sie aufgewachsen sind, ihre Freunde und Angehörigen leben, das sie geprägt hat. Bis heute finde ich es schwer zu fassen, wie viel zusammenkommen musste, damit Menschen einen solchen Schritt gehen wollen. Zumal die Bundesrepublik kaum anders denkbar war als entweder paradiesischer Zukunftsort oder als Hort kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung.

Die Schikanen, denen die jungen Eltern aber auch deren Angehörige ab dem Moment der Antragstellung ausgesetzt sind, geben der Sehnsucht nach Flucht aus diesem Land in jedem Fall recht. Es wird Druck ausgeübt, um eine Rücknahme der Entscheidung zu erzwingen. Es wird getratscht, mit dem Finger gezeigt. Der Alltag gerät zum Spießrutenlauf, ohne dass ein Ende absehbar ist. Ungewissheit, Ablehnung, Druck – die Reaktionen des Systems auf den Wunsch auszuwandern sind unmenschlich.

Knoblich zeichnet all das recht reduziert, ohne allzu sehr detaillierte Hintergründe. Einerseits wird die Geschichte dadurch sehr durch talking heads getragen, andererseits läuft Knoblich nicht Gefahr, eben doch „Wahrheit“ abbilden zu wollen. Erinnerungen sind Ausrisse aus der Wirklichkeit getränkt von ganz persönlichen Einsichten und Sichtweisen. Der Zeichenstil des Comics trägt dem Rechnung.

Auch das Ende autobiografischer Werke empfinde ich als große Herausforderung: Pathos? Ein unglaublich weiser Schlusssatz? Und wo bricht man die eigene Geschichte am besten ab?

Mir gefällt Knoblichs Dreh, der im Heute eine Pointe setzt, die gleichwohl einen Bezug zu den erzählten Erinnerungen herstellt. Mehr verrate ich hier aber nicht. 

Kurz und gut: Wie war das denn früher? Nils Knoblich erkundet die Geschichte seiner Familie und hat zum Glück für uns einen Comic daraus gemacht. Lesen!

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Mittwoch, 1. April 2020

Meena Kandasamy: Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau



"Verführt von dem Traum, gemeinsam eine bessere Welt zu schaffen, verliebt sich eine junge Frau in einen charismatischen Universitätsdozenten. Nach der Hochzeit muss sie entdecken, dass ihr perfekter Mann sich hinter verschlossenen Türen in ein alles kontrollierendes Monster verwandelt. Sie schwört, sich zu wehren - ein Widerstand, der sie entweder töten oder ihr die Freiheit zurückgeben wird." (Umschlagtext)

Lesestoffmangel? Nicht mit mir. Und nicht mit der besten #buchdisko ever. 🤓

Die Bücher von Culturbooks mag ich ja ohnehin. Cover und Beschreibung reichten mir für eine schnelle und entschlossene Entscheidung. So!

Außerdem schadet es gar nichts, auch mehr Autor*innen aus Indien zu kennen als nur Salman Rushdie. ^^

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