Sonntag, 27. September 2020

Guy Delisle: Geisel


 "Geisel sein ist schlimmer als Gefängnis. Im Gefängnis weiß man wenigstens, warum man eingesperrt ist. Es gibt einen Grund, ob der nun stimmt oder nicht, aber immerhin gibt es einen Grund. Als Geisel hat du einfach Pech." (Umschlagtext)

Über vierhundert Seiten Comic-Kammerspiel. Es wird Zeit, dass dieser Comic auf der Leseliste weiter nach vorn rückt. 🤷‍♂️😅

(Übersetzung: Heike Drescher)

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Samstag, 26. September 2020

Michael Kraske: Der Riss. Wie die Radikalisierung im Osten unser Zusammenleben zerstört


"Der Rechtsruck im Osten kam nicht über Nacht, sondern hat eine lange Vorgeschichte. Michael Kraske beschreibt, wie nicht nur in Sachsen über viele Jahre eine Gewöhnung an rechtsextreme Ideologie, Strukturen und Gewalt die Gesellschaft radikalisiert hat. Wahlerfolge Der AfD, eine Zunahme rechter Straftaten, aber auch systematisches Versagen von Politik, Polizei und Justiz sind das Ergebnis.

Kraske erzählt nicht nur erschütternde Geschichten von Tätern und Opfern, sondern versucht die grassierende Wut zu verstehen, ihren wahren Kern aufzuspüren und er zeigt die drastischen Folgen. Er schreibt an gegen Missstände und gefährliche Entwicklungen, denen wir entgegenwirken müssen mit einem 'New Deal Ost'" (Umschlagtext)

Ok, der Osten bleibt also tatsächlich weiterhin in meinem Lesestapel präsent. Auf diesen Band brachte mich ein Artikel von Jürgen Habermas.

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Donnerstag, 24. September 2020

Thomas Oberender: Empowerment Ost. Wie wir zusammenwachsen


 "Es gab diesen kurzen Frühling der Anarchie, in dem die DDR noch bestand, aber alles neu verhandelt wurde. Dieses Interim war die beste Zeit, die wir in Ost und West je miteinander hatten. Mit dem Einheitsvertrag kam das neue Geld und der neue Staat, kamen die neuen Experten aus dem Westen, die Vorgesetzte wurden. Es fand eine ungeheure Verdrängung des Ostens aus dem Osten statt - was so herausfordernd, chancen- und folgenreich war, dass ich 25 lange Jahre keinen Grund sah, mich nochmal um die DDR zu kümmern. Das änderte sich erst vor etwa fünf Jahren." (Umschlagtext)


Liegt es nur an den Jahrestagen, oder ist dieses DDR-Ost-Ding einfach immer noch nicht durch, weil so viel noch nicht gesagt wurde? Oder wurde womöglich bisher mehr über als mit den Menschen im Osten gesprochen?

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Dienstag, 22. September 2020

Rachel Kushner: Telex aus Kuba


(Übersetzung: Bettina Abarbanell)

 

„Dort auf dem Globus war er, eine gestrichelte Linie in dunklerem Blau auf dem heller blauen Atlantik. Wörter in blasser Kursivschrift: Wendekreis des Krebses. Die Erwachsenen sagten, sie solle aufhören zu fragen, was das sei, als wäre ihre langweilige Antwort befriedigend: Èin Breitengrad, in diesem Fall der dreinundzwanzigeinhalbte.´“ (Seite 9)

 

Kuba zu Beginn der 50er Jahre im letzten Jahrhundert. An einem Ende der Insel geht die Zeit des einen Diktators zu Ende, ein neuer steht bereit. Am anderen Ende Kubas liegt nicht nur eine US-amerikanische Militärbasis, die uns heute noch gut bekannt ist – Guantanamo. Außerdem beherrschen diese Region zwei amerikanische Konzerne, von denen einer Zucker produziert und der andere Nickel fördert. Kubanische Rebellen gibt es auch noch, die von zwei Brüdern mit dem Namen Castro angeführt werden.

 

Revolutionsromantik, wie sie im Zusammenhang mit dem Kuba dieser Jahre doch gern erzählt wird, bietet Rachel Kushner nicht. Dafür aber einen sehr detaillierten und schonungslosen Blick aus der Perspektive der auf Kuba lebenden Amerikaner*innen. Sie begleitet, unterbrochen von Rückblenden, verschiedene Protagonisten, von denen die meisten bis zuletzt glauben, auf Kuba würde sich nichts nachhaltig ändern. Schließlich finden sie sich als Vertriebene in den USA wieder – und so manche von ihnen mit einem lebenslangen Hass auf das Castro-Regime.

 

Spannend sind zum Beispiel die Blickwinkel zweier Kinder, die als Sohn des Geschäftsführers des Zuckerherstellers in Preston und als Tochter eines Managers der Nickelfirma in Nicaro aufwachsen. Mit Unbefangenheit können sie von dem Leben auf Kuba berichten, das für sie vollkommen normal ist: kubanische Hausangestellte, arme Tagelöhner aus Jamaika, harte Arbeit, die nicht weit von Sklavenarbeit entfernt ist, drakonische Strafmaßnahmen, die gesellschaftlichen Unterschiede unter den Amerikaner*innen selbst …

 

Der Wechsel der Kapitel hin zu Perspektiven amerikanischer Ehefrauen verdeutlicht, was mit den Augen der Kinder noch recht unschuldig daherkommt. In den USA wären die meisten her hier lebenden Amerikaner*innen nicht halb so wohlhabend und gesellschaftlich hochgestellt wie auf Kuba. Hier sind sie in Preston und in Nicaro die Herren der Insel, egal wer in Havanna gerade regiert. Mit dieser Haltung kooperieren die Manager mit Präsident Prio, dem Vorgänger von Batista, mit diesem natürlich ebenso wie mit den Rebellen unter Castro, die in dieser Region Kubas in den Bergen leben und operieren.

 

Die Figur des französischen Waffenschiebers, der wiederum aus Geschäften mit allen Beteiligten seinen Gewinn zieht, erlaubt den Blick über die Grenzen der Region hinaus und darauf, was sich an Veränderung in Kuba zusammenbraut. Bis zuletzt glauben die amerikanischen Manager alles im Griff zu haben, die letztliche Evakuierung wäre nur eine vorübergehende. Schon als sie in Guantanamo auf ihre Passagen zurück in die Heimat warten, verlieren sie ganz offensichtlich den schon hoheitlich anmutenden Status, den sie auf Kuba lange Jahre innehatten. Sie kehren letztlich als Bittsteller ins eigene Land zurück, mit denen US-amerikanische Regierungen im Weiteren Großmachtpolitik betreiben werden.

 

Rachel Kushner muss kein flammendes Plädoyer für die Revolution auf Kuba schreiben. Dass sie konsequent bei ihrer Erzählperspektive bleibt, lässt beim Lesen die kopfschüttelnde Erkenntnis aufkommen, dass diese Amerikaner*innen doch unmöglich glauben können, immer so weiter machen zu können, ohne dass sich die von ihnen ausgebeuteten Menschen irgendwann einmal wehren. Zugleich zeigt diese Perspektive, wie sehr sich die Manager und ihre Familien diese Idylle zurechtbiegen, um das Elend um sie herum nicht wahrnehmen zu müssen.

 

Auch wenn der Text selbst so gar nicht mit karibischem Temperament daher kommt, gelang es Kushner mich tiefer und tiefer in den Text hineinzuziehen. Die Figuren klingen erschütternd authentisch. Das macht aus dem Roman insgesamt eine Zeitreise mit Sogwirkung.

 

Kurz und gut: Rachel Kushner für mich entdeckt. Ich bin wirklich gespannt auf mehr. Lesen!

 

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