Mittwoch, 14. Oktober 2020

Jan-Christoph Nüse: Vier Tage im Juni



„Gut geölt ruhe sie tief unten im Luftschutzbunker. Zerlegt, aber jederzeit einsatzbereit, hieß es. Nun habe ich die Guillotine hier in Moabit gesehen.“ (Seite 11)

 

Ein Politthriller in der Bundesrepublik 1963 – und Kennedy spielt auch mit. Das schreit doch förmlich nach ein paar verregneten Schmökernachmittagen im Herbst. ;)

 

Bei dem Genre darf ich natürlich nicht zu viel Inhalt verraten. Also versuche ich mal eine minimale Zusammenfassung.

 

Kennedy kommt in die Bundesrepublik. Adenauer ist die letzten Monate Bundeskanzler, bevor er von Ludwig Erhard abgelöst wird. Starke Stimmen im Militär fordern die Bewaffnung der Deutschen mit Atomwaffen, weil sie die Amerikaner unter Kennedy für zu schwach halten, um Deutschland gegen die Sowjetunion zu verteidigen. Dass ihn auch amerikanische Militärs für einen Schwächling halten, braucht fast nicht erwähnt werden.

 

Die Sicherungsgruppe Bonn wird mit der Absicherung des Kennedy-Besuches beauftragt, der von Köln über Bonn und Frankfurt am Main bis nach Berlin führen soll. Doch schon in Bonn kommt es zu einem versuchten Attentat. Ermittlungen und Verwirrungen folgen und werden den gesamten Besuch Kennedys über brauchen, bis dann doch jemand verhaftet wird und sich – siehe oben – in Moabit wiederfindet.

 

Die Story, die Jan-Christoph Nüse hier vorgelegt hat, fußt auf dem historischen Besuch Kennedys. Wenngleich der Plot und tragende Figuren fiktiv sind. Damit ist aber auch dafür gesorgt, dass zumindest von Anfang an klar ist, es wird kein erfolgreiches Attentat auf Kennedy erzählt werden. Und mehr will ich zum Inhalt gar nicht sagen. ;)

 

Ein wenig möchte ich aber noch über das Genre nachdenken und was mir beim Lesen so aufgefallen ist.

 

Insbesondere solche zeithistorischen Stoffe, die beanspruchen, eben nicht nur Fiktion zu bieten, leben natürlich von detailgenauen Beobachtungen. Und tatsächlich hatte ich den Eindruck, dass der Autor als ehemaliger Journalist ziemlich gewissenhaft recherchiert hat. Detaillierte Beschreibungen aber auch die Verweise im Anhang legen das nahe.

 

Damit entsteht schon mal eine Atmosphäre, die gut durch die Story trägt. Man ist es ja kaum noch gewöhnt, dass Sicherheitsleute so ganz ohne Handy, Internet oder gar Computer zurechtkommen müssen. 

 

Bei den Dialogen war ich etwas hin- und hergerissen. Einerseits passen sie mit der nach meinem Eindruck spürbaren Steifheit irgendwie in die Zeit oder zumindest in das Bild davon. Andererseits sorgten sie zusammen mit den Schilderungen der Figuren, die eher als Archetypen funktionieren und weniger als auserzählte Charaktere, dafür, dass ich wenigstens beim Lesen keine Gesichter im Kopf hatte. Also bis auf Kennedy und Kevin Kostner (wegen Ted Sorensen, ihr wisst schon).

 

Gelegentlich störend oder unpassend empfand ich die Erzählstimme, die oft zu sehr nach dem schalkhaften Kobold auf der Schulter des gerade Handelnden klang. Ich schätze, dass sie für etwas Auflockerung sorgen sollte, was für mich wenigstens nicht geglückt ist.

 

Die Schnitte in der Handlung von Ort zu Ort vermögen ja das Tempo und die Dramatik im Erzählfluss zu erhöhen oder auch zu dämpfen. Mitunter hatte ich hier das Gefühl, dass der Autor gern noch etwas anderes erzählt hätte. In der Folge wirkten die Gewichtungen auf mich nicht immer stimmig und ab und an so, als sei der Fokus verrutscht. Vielleicht mischt sich das aber auch mit der Detailfreude, die ich oben schon erwähnt habe – doch etwas zulasten des Thrills.

 

Zeitgeschichtliche Thriller, noch dazu im Politmilieu, sind vermutlich schon so was wie eine Königsklasse. Die Fiktion muss letztlich so gut in historische Abläufe und Gegebenheiten einpasst sein, dass wir sie beim Lesen wenigstens für wahrscheinlich halten können. Die Grundannahme dieser Geschichte erfüllt das schon ganz passend. Etwas mehr „Polit“ hätte ich mir persönlich in diesem Thriller aber tatsächlich doch gewünscht.

 

Kurz und gut: Den Blick hinter die Kulissen des beschaulichen Bonns kann man gut lesen, auch wenn mich der Thriller nicht so richtig gekriegt hat.

 

Vielen Dank an den Autor für die Leseanfrage und an den Gmeiner Verlag für das Rezensionsexemplar! ;)

 

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