Donnerstag, 23. Juli 2015

Karin Kalisa: Sungs Laden


Nach unzähligen ziegelsteindicken Schilderungen, wie unsere Welt mit Zombies, Vampiren, Außerirdischen und was sonst noch nicht allem aussehen würde, landete „Sungs Laden“ auf meinem Tisch. Berlin, Prenzlauer Berg – also hier um die Ecke – Inbegriff von griesgrämig dreinschauender Gentrifizierung gemischt mit ein paar widerspenstig störrischen Alteingesessenen und veränderungsresistenten Berliner Verwaltungsbeamten.

Eine vietnamesische Holzpuppe bringt alles ins Rollen. Oder ist es die Geschichte, welche die in Berlin alt gewordene ehemalige Vertragsarbeiterin aus Vietnam erzählt, während sie die Puppe bewegt? Zunächst scheint ein neuer hipper Trend die Bewohner des Kiezes befallen zu haben. Kegelhüte und Vietnamreisen sind die neue Mode. Bliebe die Geschichte dabei stehen, wäre es ein weiterer Beitrag in einem Trendmagazin und schnell vergessen. Doch Karin Kalisa lässt die Bewohnerinnen und Bewohner des Kiezes auf charmant-unaufdringliche Art und Weise eine Welt entdecken, die so sichtbar und doch unscheinbar um sie herum ist. Der kleine vietnamesische Laden um die Ecke, der immer offen hat und bei dem es alles zu geben scheint. Die Schneiderei, das Restaurant – all die Beweise moderner, weltoffener Urbanität – die uns oft genug als Beweis dafür gelten, wie modern und weltoffen wir doch sind.

Und plötzlich oder schleichend führt diese kleine Infektion dazu, dass die Leute ihre Neugierde wiederentdecken, Solidarität zeigen wollen und sich etwas weniger um starre Regeln scheren. Eine deutsch-vietnamesische Abendschule ist ja die eine Sache. Aber spontan auftauchende Bambusbrücken über den Straßen des Prenzlauer Bergs, die ebenso schnell wieder verschwinden wie sie entstanden sind, oder die heimliche Beflaggung des Bezirksamts mit einer Ho-Chi-Minh-Fahne – hier rührt etwas tiefer.

„Sungs Laden“ ist ein echter Berlinroman. Endlich erlebe ich Berlin so sympathisch anarchisch, wie ich es schon immer gern haben wollte. Und das wird so wunderbar unaufgeregt und luftig leicht beschrieben, dass es wirklich wahr sein könnte.
#lesesommer #Roman #karinkalisa #chbeckliteratur

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