Nach unzähligen ziegelsteindicken Schilderungen, wie unsere
Welt mit Zombies, Vampiren, Außerirdischen und was sonst noch nicht allem
aussehen würde, landete „Sungs Laden“ auf meinem Tisch. Berlin, Prenzlauer Berg
– also hier um die Ecke – Inbegriff von griesgrämig dreinschauender
Gentrifizierung gemischt mit ein paar widerspenstig störrischen
Alteingesessenen und veränderungsresistenten Berliner Verwaltungsbeamten.
Eine vietnamesische Holzpuppe bringt alles ins Rollen. Oder
ist es die Geschichte, welche die in Berlin alt gewordene ehemalige
Vertragsarbeiterin aus Vietnam erzählt, während sie die Puppe bewegt? Zunächst
scheint ein neuer hipper Trend die Bewohner des Kiezes befallen zu haben.
Kegelhüte und Vietnamreisen sind die neue Mode. Bliebe die Geschichte dabei
stehen, wäre es ein weiterer Beitrag in einem Trendmagazin und schnell
vergessen. Doch Karin Kalisa lässt die Bewohnerinnen und Bewohner des Kiezes
auf charmant-unaufdringliche Art und Weise eine Welt entdecken, die so sichtbar
und doch unscheinbar um sie herum ist. Der kleine vietnamesische Laden um die
Ecke, der immer offen hat und bei dem es alles zu geben scheint. Die
Schneiderei, das Restaurant – all die Beweise moderner, weltoffener Urbanität –
die uns oft genug als Beweis dafür gelten, wie modern und weltoffen wir doch
sind.
Und plötzlich oder schleichend führt diese kleine Infektion
dazu, dass die Leute ihre Neugierde wiederentdecken, Solidarität zeigen wollen
und sich etwas weniger um starre Regeln scheren. Eine deutsch-vietnamesische
Abendschule ist ja die eine Sache. Aber spontan auftauchende Bambusbrücken über
den Straßen des Prenzlauer Bergs, die ebenso schnell wieder verschwinden wie
sie entstanden sind, oder die heimliche Beflaggung des Bezirksamts mit einer
Ho-Chi-Minh-Fahne – hier rührt etwas tiefer.
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