Sonntag, 31. Oktober 2021

Frido Mann: Democracy will win. Bekenntnisse eines Weltbürgers


„In einer Zeit, in der Tiefschläge gegen unsere westlichen Demokratien ein beängstigendes Ausmaß angenommen haben, mag die apodiktische Prognose „Democracy will win“ entweder naiv oder provokativ klingen. (Seite 11)

Der Lieblingsenkel von Thomas Mann greift dessen Engagement im Sinne der Demokratie auf und wirbt dafür bei einer Lectur Tour durch die USA, ganz wie der Großvater, während die amerikanische Verfassung aus dem Weißen Haus heraus von Präsident Trump mit Füßen getreten wird. Das klingt doch mal nach einem spannenden Anlass für ein Buch. Ganz so spannend ist es dann für meinen Geschmack doch nicht geraten. Und dazu will ich ein paar Gedanken aufschreiben.

Gern schicke ich vorweg, dass mit Frido Mann bisher nichts sagte und mir auch als Schriftsteller noch nicht aufgefallen war. Als solcher ist er allerdings schon etwas länger unterwegs, wenn er auch erst spät im Leben zum Schreiben gefunden hat.

Kurz vor der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016 kaufte die Bundesregierung das ehemalige kalifornische Haus von Thomas und Katia Mann in Los Angeles. Es wurde restauriert und zu einer Begegnungsstätte für den transatlantischen Dialog umgebaut. Dies wiederum war für den Enkel Frido Mann der Anlass, sich als Fellow des Hauses dem Thema Demokratie zu widmen, ganz in der Familientradition. Hatte doch Thomas Mann bereits einen vielbeachteten Vortrag gehalten, der das Thema des Buches vorwegnahm, um mehrfach Vortragsreisen dazu durch die USA unternommen, um für Demokratie und für den Kampf gegen Hitler und den Nationalsozialismus zu werben. Frido Mann wiederum sieht die Demokratie durch Trump und seine Unterstützer:innen in ähnlicher Bedrängnis und entschied sich daher, sich stärker zu engagieren.

Kern des Bandes ist die Lectur Tour, die Frido Mann 2019 durch die USA führte, um mit Schüler:innen, Akademiker:innen aber auch vielen anderen Menschen über Demokratie ins Gespräch zu kommen. Sein Schwerpunkt liegt dabei darauf, den Wert von Dialog als Grundlage jeder Demokratie in den Mittelpunkt zu rücken.

Eine Fortsetzung der Tour in Deutschland und Europa musste dann wegen des Ausbruches der Corona-Pandemie entfallen. Das mag ein weiterer Anlass gewesen sein, in diesem Jahr dieses Buch zu schreiben.

Der Band selbst gibt Frido Mann Vortrag mit dem Titel „Democracy will win“ nur indirekt wieder. Es handelt sich bei dem Text auch nicht wirklich um einen Reisebericht und auch nicht um eine konsequente Herleitung und Bearbeitung des Themas oder eine tatsächlich autobiografisch gefärbte Darstellung. Womit auch schon mein hauptsächlicher Kritikpunkt an dem Werk auf dem Tisch liegt. Ich glaube, dieser Text weiß selbst nicht recht, was er eigentlich genau sein will.

Es freut mich sehr, von solch einem Projekt wie dem Thomas Mann House in L.A. zu lesen und dass Frido Mann dort eingebunden ist. Allerdings kommt der Bericht dann doch allzu betulich daher. In langen Passagen wird in indirekter Rede wiedergegeben, was diese oder jener gesagt habe. Dazu etliches Beiläufiges und wirklich Unrelevantes. All das Biografische, was Frido Mann hier anbringen könnte, bleibt nur angerissen. Von der Tour und Erkenntnissen daraus ist ebenso nicht so viel zu erfahren, außer dass der Autor sich vor voraussichtlich schwierigen Gesprächssituationen in Gegenden, wo nicht nur Trump-Gegner zu erwarten waren, eher gruselte.

In die gleiche Kerbe schlägt der folgende Eindruck. Frido Mann ist erfreulich klar positioniert gegen Populismus, Rassismus etc. Er will eine Lanze brechen für den Dialog als das wesentlichste Medium der Demokratie. Er beschreibt auch, dass dazu Gegnerschaft gehört aber niemals Feindschaft. Allerdings beschreibt er Trump, dessen Anhänger, die Republikaner etc. aber mit so vielen moralisch aufgeladenen und starken Adjektiven, dass ihm eigentlich klar sein muss, dass er damit die Möglichkeit eines Dialogs selbst ausschließt. Ich finde das menschlich mehr als nachvollziehbar, glaube aber, dass dies als Haltung einer solchen Lectur Tour im Grunde widerspricht. Bei der müsste es doch auch nach Manns eigener Beschreibung darum gehen, genau mit denen ins Gespräch kommen zu wollen, die so anderer Meinung sind. Über den Schatten springt Frido Mann im Buch nicht, ob er es während seiner Tour getan hat, lässt sich daraus nicht ableiten.

Zwar thematisiert der Autor selbst, dass in mindestens einer seiner Veranstaltungen die Frage nach den Grenzen des von ihm eingeforderten dialogischen Prinzips in den Mittelpunkt rückte. Allerdings fand ich den Text auch in dieser Hinsicht zu unklar, zu unabgeschlossen. Für mich blieb eher der Eindruck, dass Mann sehr intensiv und auch redundant den Dialog vorschlägt und einfordert aber eben auch so unkonkret bleibt, dass für mich der Erkenntnisgewinn nach dem Lesen eher gering geblieben ist.

Es ist, um das auch klar zu sagen, kein schlechtes Buch. Frido Mann ist ein schlauer Kopf und er hat was zu erzählen. Letzteres verkneift er sich in diesem Buch aber irgendwie weitgehend. Für meinen Geschmack las sich der Text ein wenig wie eine unlektorierte Rohfassung für ein Buch, dass noch einiger Bearbeitung bedarf. Und das ist echt schade.

Kurz und gut: Eine Veranstaltung mit Frido Mann wie die, von der er in seinem Buch erzählt, würde ich gern besuchen. Das Buch selbst bleibt für mich weit hinter meiner Erwartung zurück. Leider.

Ein dickes Danke noch einmal an die WBG für dieses Rezensionsexemplar!

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Donnerstag, 28. Oktober 2021

Lea Susemichel/ Jens Kastner: Identitätspolitiken. Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken


"Identitätspolitik bedeutet, sich über die eigene Identität als beispielsweise Afroamerikanerin, Jude, Frau, Lesbe oder Arbeiter zu definieren - und bestenfalls auch zu organisieren und für die eigenen Rechte einzutreten. Doch obwohl diese Form der Identitätspolitik die Basis zahlloser sozialer Bewegungen bildete, wurde sie spätestens durch die Queer- und Postcolonial-Theory radikal infrage gestellt und als vereinheitlichend und ausschließend abgelehnt. Doch die Bezugnahme auf identitäre Kategorien wird nicht nur theoretisch heftig herausgefordert, sondern inzwischen auch innerhalb der Linken als geradezu konterrevolutionär scharf kritisiert: Identitätspolitik schade dem Klassenkampf, so die Argumentation. Denn die Kämpfe um Anerkennung kultureller Differenzen würden vom zentralen und universell zu führenden Kampf gegen soziale Ungleichheit zu ablenken.

Doch bereits in der frühen Arbeiter*innenbewegung wurde um die Identifizierung der Arbeiter*innen gerungen. Um im Feminismus und in den Black-Liberation-Bewegungen seit den 1960er Jahren spielt die Kategorie sogar eine noch größere Rolle. Dabei wurden auch die vielen Fallstricke einer positiven Bezugnahme auf kollektive Identität - die Ausschlüsse und Vereinheitlichungen - bewegungsintern kritisiert und diskuiert.

Von den theoriegeschichtlichen Wurzeln des Begriffs 'Identität' bis zu den identitätspolitischen Debatten in der Linken nach der Wahl Trumps zum US-Präsidenten bietet das Buch einen undogmatischen Überblick über Diskurse und Geschichte linker Identitätspolitiken." (Umschlagtext)

Also Wagenknecht, Stegemann etc. zum Trotz will ich immer noch gern mehr wissen und verstehen. So! 🤓

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Sonntag, 24. Oktober 2021

Carla Bessa: Urubus


"Straßenkinder, die auf einer Müllhalde leben, ein Busfahrer, der überfallen wird und dafür auch noch bezahlen muss, eine ältere Dame, die ein Leben mit dem falschen Mann bereut, ein Transvestit, der sich unglücklich verliebt, ein Bäcker trauert einer verpassten Liebe hinterher und schafft es noch nicht einmal bei der Beerdigung seiner Angebeteten, ihr seine Liebe zu gestehen. Ein weißer Ausländer, der unbedingt nackt ins Meer springen muss, alles verliert, aber eine Frau gewinnt. Es sind individuelle Episoden, die die brasilianische Autorin Carla Bessa in ihrem preisgekrönten Band "Urubus" (Aasgeier) erzählt. In diesen Erzählungen kreuzen sich die Wege ihrer Figuren immer wieder, wie in einem geheimnisvollen, aberwitzigen Reigen..." (Umschlagtext)

Der MM findet, ich solle auch dünne Bücher und mehr Erzählungen lesen. Passenderweise brachte er mir diesen Band mit. Einfach so. 🥰

(Übersetzung: Lea Hübner)

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Freitag, 22. Oktober 2021

Rutger Bregman: Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit


"Dass der Mensch grundsätzlich böse sei, ist ein Grundpfeiler westlichen Denkens: Es halten uns immer nur etwas zivilisatorischer Lack, eine Handvoll Gesetze und Autoritäten davon ab, über unsere Mitmenschen herzufallen. Rutger Bregman fragt, wie es zu diesem Menschenbild kam. Und er wagt eine neue Geschichte - die des Menschen, der gut ist. Denn nicht Argwohn und Egoismus ermöglichten den Fortschritt der Menschheit, sondern Vertrauen und Kooperation. Bregman zeigt, warum die Pessimisten falschliegen. Und dass eine menschliche, gerechte und ökologische Welt möglich wird, wenn wir erkennen: Wir sind besser, als wir denken." (Umschlagtext)

"Rutger Bregman zeigt in seinem Buch, dass unsere Vorstellung vom Wesen des Menschen auf falschen Prämissen fußt. Anhand von Beispielen aus Psychologie, Ökonomie, Biologie, Geschichte und Archäologie weist er nach, welche Denkfehler den althergebrachten Modellen zugrunde liegen: Unsere Spezies konnte sich gegen andere Arten nicht mit Stärke, Intelligenz und List durchsetzen, sondern vor allem durch Kooperation. Nur durch ein vertrauensvolles Miteinander und eine naive Zuversicht in die Zukunft haben wir es geschafft, unsere Tage als Jäger und Sammler hinter uns zu lassen und weitgehend friedlich zusammenzuleben. Geht man von dieser Prämisse aus, ist es möglich, die Welt und den Menschen neu und optimistisch zu denken.
Bregman ist ein mitreißendes wie anregendes Buchgelungen, voller Ideen für die Verbesserung der Welt. Ein Buch, das Hoffnung macht." (Verlagstext)

Mmh, wenn ich so über Geschichtsschreibung, journalistische Texte oder auch erzählerische so nachdenke, passt die Beschreibung recht gut - erschütternderweise. Ich bin gespannt und hoffe auf diesen Versuch einer optimistischen Geschichte der Menschheit. 🤓

(Übersetzung: Ulrich Faure, Gerd Busse)

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