(Übersetzung: Gregor Hens)
„Ich heiße J.D. Vance, und ich denke, ich sollte mit einem Geständnis
beginnen: Ich finde die Tatsache, dass es dieses Buch gibt, das Sie in Händen
halten, einigermaßen absurd.“ (Seite 7)
Endlich mal diese Trump-Wähler
verstehen, diese weiße Unterschicht, verarmte Arbeiterklasse, white trash –
oder auch Hillbillies, wie sie uns J.D. Vance vorstellt. 2016 schaffte es dieser
autobiografische Bericht von einem, der es rausgeschafft hat, immerhin in die
Bestsellerlisten der USA. Dabei war der Autor da gerade mal knapp über dreißig Jahre
alt. Weil es aber vielversprechend klang, landete das Buch auf meinem
Lesestapel. 😊
Im Kopf
hatte ich, als ich es auf den Lesestapel packte, dass der Autor sich selbst als
konservativ bezeichnete aber mit Trump auch hart ins Gericht ging. Ein
Konservativer gegen Trump – vielleicht mag das ja zum Erfolg des Buches
beigetragen haben in einer polarisierten Gesellschaft deren liberaler Teil ja
bis heute händeringend nach Erklärungen sucht, wieso ein Typ wie Trump bei
denen, die nichts von ihm zu erwarten haben, so gut ankommt.
Bevor ich
dann aber zu lesen anfing, hatte das Leben des J.D. Vance schon eine weitere
Wendung genommen. Inzwischen ist er Senator für Ohio, also von einer Investmentfirma
in die Politik gewechselt. In seinem Wahlkampf 2022 suchte er explizit die
Unterstützung Trumps – und bekam sie auch, inklusive Wahlsieg. Ich schreibe das
gleich vorweg, weil ich vermute, dass es meinen Blick auf den Text schon sehr
beeinflusst haben dürfte.
Verwundert
bin ich nach der Lektüre über diesen Weg des Autors tatsächlich nicht. Der begann
für den jungen J.D. in einer Familie, in der sich manche auf den Weg aus dem Elend
der weißen Unterschicht gemacht haben, mit mehr aber meist eher weniger Erfolg,
während andere nicht einmal mehr Gründe fanden, etwas zu ändern. Die Familie
stammt aus dem bergigen, waldigen Hinterland Kentuckys, dem Kernland der
Hillbillies, wenn ich Vance da richtig verstanden habe.
Seine Großeltern,
die ihn hauptsächlich großgezogen haben, verließen die Gegend und kamen in einer
mittleren Stadt im Rust Belt bei Columbus unter, die von einem Stahlwerk geprägt
war. Mit dem Aufstieg klappte es nur bedingt – Gewalt, Alkohol, Drogen und dem
familiären Chaos entkamen sie offenbar nie. So wuchs J.D. zwar mit einer
Großfamilie aber weitgehend ohne seine Eltern auf. Er beschreibt durchaus
eindrücklich, wie sich das Fehlen von festen, sicheren Beziehungen zu den
eigenen Eltern, andauernde Enttäuschungen und ein ruppig bis gewalttätiger
Umgang untereinander auf ein Kind auswirken.
Mit ein paar
wenigen Unterstützer:innen, die in den richtigen Momenten für ihn da waren,
gelang es ihm mit einem vierjährigen Umweg über die US Marines und einen
Einsatz im Irak letztlich an der Yale University Jura zu studieren, gut
abzuschließen und vor seinem Wechsel in die Politik bei einer Investmentfirma
zu arbeiten.
Aufsteigergeschichten
haben natürlich etwas für sich. Aber was genau ließe sich denn nun zur
Erklärung der Trumpwählerschaft lernen? Warum geht es der weißen Arbeiterschaft
so schlecht? Und lässt sich aus einem Aufstieg wie dem vom Autor etwas lernen?
Bei den
Antworten auf diese und weitere Fragen, die über das anekdotische, persönliche hinausführen,
empfand ich das Buch leider als ziemlich dünn. Das der Autor stolz ist auf seinen
Weg, geschenkt. Aber leider bleibt der Text dann doch bei Plattitüden stehen
wie: Wir müssen uns selbst helfen und niemand sonst. Die da Oben wissen und verstehen
nichts von der Welt, aus der der Autor kommt. Liberale Großstädter haben
ohnehin keine Ahnung. Jemand wie J.D. Vance schon, weil er zu den wenigen gehört,
die das Leben verstanden haben. Achja, und die USA sind natürlich das
großartigste Land der Welt, weil nur da so ein unglaublicher Aufstieg wie der
seine überhaupt möglich ist. Ok, mir rutscht hier langsam ein sarkastischer
Unterton heraus.
Für meinen
Geschmack feiert J.D. Vance sich und seinen Weg ein bisschen zu sehr und zu
unreflektiert. Den Stolz auf das selbst Erreichte in allen Ehren fehlt mir hier
dann doch der Blick über den persönlichen Tellerrand hinaus. Ein so verstandener
Individualismus konservativer Prägung, gemischt mit einem ordentlichen Schuss
Patriotismus – ich bin letztlich nicht überrascht, dass J.D. Vance dann
letztlich doch bei Trump gelandet ist – und sich dabei vermutlich auch auf der
richtigen Seite wähnt.
Schon beim
Lesen stolperte ich immer wieder über eine gelegentlich doch recht unstrukturiert
wirkende Ansammlung persönlicher Erinnerungsstücke. Da, wo der Bezug aufs Größere,
eine Einordnung und Kontextualisierung tatsächlich Erklärungen für die eingangs
gestellten Fragen hätten liefern können, da bleibt der Text im Vagen aber
eigentlich vor allem belanglos.
Kurz und gut: Zu belanglos und ohne Folgen. Schade
eigentlich. Muss man nicht gelesen haben.
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