Donnerstag, 31. März 2022

Veronika Kracher: Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults


„Wissen Sie was, liebe Leser*innen? Eigentlich würde ich dieses Buch lieber gar nicht schreiben müssen.“ (Seite 7)

Wenn es nicht so schütternd, traurig, real und gewaltvoll in seinen Auswirkungen im richtigen Leben wäre, wäre es fast absurd lächerlich. Da sitzen vornehmlich junge Männer vor ihren Rechnern und beklagen Internetforen damit voll, dass sie keinen Sex haben. Frauen wollten sie nicht, weil sie zu unansehnlich seien und die Frauen überdies nur an den tollen Typen interessiert.

Handelte es sich um eine Art Selbsthilfegruppen, in denen die Betroffenen sich mit anderen Betroffenen austauschen können, um besser mit ihrer Situation umgehen zu können und zu lernen, sie mit gesteigertem Selbstwertgefühl zu überwinden, dann wäre das alles nicht so arg. Leider läuft es, wie Veronika Kracher drastisch und eindringlich schildert, deutlich anders.

Anstatt einander aus der Situation herauszuhelfen, bestärken sich die Männer darin gegenseitig, wie unwürdig sie seien. Der Selbsthass wird gestärkt. Und weil ja jemand die Schuld an allem tragen muss, wird dieser Selbsthass auf diejenigen projiziert, die den unfreiwillig sexlos Lebenden den Sex vorenthalten. So wird aus Selbsthass Frauenhass.

Die Autorin hat tief in den Foren und in der Welt der Incels gegraben und kennzeichnet den ideologischen Weg, der junger Männer immer tiefer in diese Düsternis hineinzieht – und leider eben auch immer wieder zu fürchterlich realen Gewaltakten führt.

Dabei bleibt der Text aber nicht stehen. Zurecht beschreibt Veronika Kracher wie sich dieser Incel-Kosmos einfügt in eine Welt, die eben seit Jahrhunderten und immer noch strikt patriarchal ausgerichtet ist. Dazu muss man nicht den Gender Pay Gap anführen oder die unglaublich geringe Anzahl an weiblichen Führungskräften. Der Text führt vor, wie das anzustrebende Maskuline, das den Incels nach ihrer eigenen Wahrnehmung abgeht, sich ausschließlich auf der Abwertung des Weiblichen gründet. Männer müssen das starke Geschlecht sein, weil Frauen das schwache sind.

Mir reicht ein kurzer Blick in meinem Umfeld und ich finde viele kleine Momente, in denen die typischen Rollenklischees gelebt werden, die wir ganz ironisch mit einem müden Lächeln bedenken. Das verhindert aber eben nicht, dass sie da sind. Der Schritt hin zu Männern, die klagen, man dürfe Frauen ja nicht einmal mehr Komplimente machen, oder hin zu Maskulinisten, die ernsthaft glauben, Männer seien angesichts des Feminismus jetzt die Benachteiligten, bis hin zu „Pick-Up-Artists“, die Workshops anbieten, in denen Männer lernen sollen, wie sie Frauen wie Wild jagen könnten – dieser Schritt ist viel kürzer als es in meiner sehr komprimierten Darstellung hier erscheinen mag.

Nachgerade eine Einladung zum Weiterlesen ist Krachers eindringlicher Hinweis, dass dieser Frauenhass nicht nur Frauen trifft sondern eben auch den Männern selbst schadet, weil diese Ideologie auch sie knebelt und in einem Zustand gefangen hält, der einfach auf keiner Ebene gesund sein kann.

Spannte man, was dieses Buch hier nicht leisten kann, den Bogen noch weiter und nähme dazu noch die Belange von all den queeren und trans-Menschen in den Blick, die ja nicht weniger als Gefahr für die „natürliche Männlichkeit“ betrachtet werden, entstünde ein Panorama gesellschaftlicher Strukturen, bei denen es so viel mehr Verlierer:innen gibt als Gewinner:innen. Ist das schon Kapitalismuskritik? Ja, und ich bin Veronika Kracher sehr dankbar, dass sie diese politische Ebene des Phänomens „Incel“ eben mit aufspannt.

Kurz und gut: Eine drastische Lektüre, deren Gegenstand wirklich kein Lesespass ist. Veronika Kracher hat die passende Form gefunden zu schreiben, was eben gesagt werden muss. Lesen!

#lesefrühling #sachbuch #veronikakracher #ventilverlag #testcardzwergobst #incels #gesellschaft #frauenhass #gewalt #patriarchat #kapitalismuskritik #indiebook #polbil #lesen #leselust #leseratte #lesenswert #bücher

Mittwoch, 30. März 2022

Leif Randt: Allegro Pastell


„Gründonnerstag, 29. März 2018. Der Frankfurter Hauptbahnhof wurde von milder Abendsonne geflutet, die wartenden Passagiere am Gleis 9 warfen lange Schatten.“ (Seite 9)

Wir kennen alle diese Bilder aus den sozialen Medien. Bücher, die dekorativ vor einem Regal auf einem Hocker gestapelt sind – ganz sorgsam wie unabsichtlich arrangiert; Deckchen, Blümchen, ein Wandtattoo, ein Ohrensessel etwas angeschnitten. #lieblingsort

Oder diese Videoschnippsel, die zeigen wie voll crazy die Accountinhaber:innen sind. Da wird im Regen getanzt, ganz wild, nach einer Choreo, die mindestens eine Milliarde Teenies zuvor auf TikTok auch schon getanzt haben. #firsttry

Oder diese Pärchen, bei denen der eine auf dem Bahnsteig wartet, der Zug kommt, und sie oder er oder auch vollkommen egal steigt aus und ist natürlich vollkommen ahnaungslos, aufeinander zu rennen und quietschende Umarmung, dann ein glückliches Lachen in die Kamera, die natürlich jetzt erst entdeckt wird. #couplegoals

In etwa diesen Grad an kontrollierter Romantik leben Tanja Arnheim und Jerome Daimler. Sie wird in Kürze die Dreißig erreichen und ist Schriftstellerin mit einem erfolgreichen Debutroman. Er ist fünf Jahre älter und erfolgreich als Webdesigner. Sie lebt in Berlin, er in Maintal, einem Dorf bei Frankfurt am Main. Sie besuchen sich regelmäßig für lange Wochenenden gegenseitig und halten in ihren jeweiligen Alltagen steten Kontakt zueinander. Die Konstellation klingt modern; so sind die Lebensmodelle heute halt. Was spräche auch dagegen, wenn beide damit gut zurechtkommen?

Leif Randt schafft es bereits mit der Ankunftsszene am Bahnhof in den ersten wenigen Seiten einen Ton anzuschlagen, bei dem ich abwechseln lachen und weinen wollte. Lachen, weil Jerome absolut authentisch jede Handlung, Drehung, jedes Lächeln daraufhin reflektiert, wie es wohl wirken würde, ganz so, als hielte er die ganze Zeit das Handy in die Luft um sich bei diesem sehr emotionalen Moment zu filmen. Es ist so war, so #instatrue. Die Tränen trieb mir dieses permanente „Du lebst nicht, wenn du es nicht herzeigen kannst“ fast durchgängig in die Augen, weil die Leben, die die Beiden da aufführen, so unheimlich trostlos hohl wirkten.

Der Roman erzählt die Geschichte der beiden, die sich zufällig kennenlernen, beschließen, dass es passt mit ihnen beiden, sich einrichten in dieser Art Beziehung und dann eben doch scheitern müssen, weil – meine Interpretation – da doch irgendwie nichts wirklich echt ist. Sie glauben beide schon, dass sie sich lieben. Sie glauben auch, dass das echte Gefühle sind, kreisen aber eigentlich ausschließlich um sich selbst, die eigene Selbstverwirklichung, das Bild von sich selbst. Für Jerome führt das Ganze in genau die Art Normalität, die im Vergleich dazu so herrlich bodenständig wirkt. Ganz berlinmäßig, darf Tanja dagegen weiter kreisen, um den nächsten erfolgreichen Roman ihrer Generation zu schreiben.

Ich gebe zu, das klingt bis hierher schwer danach, dass ich die beiden Hauptfiguren so gar nicht leiden konnte. Dem möchte ich entgegnen, dass, und das ist das wirklich famose an diesem Roman, die Figuren eben nichts als Avatare sind. Sie sind genau die Hüllen, die ein komplettes und erfolgreiches #instalife erfordert. Leben ohne allzu große innere Beteiligung. Quasi die moderne Übersetzung von der früher gesellschaftlich erwarteten Contenance, nur halt auf hübsch getrimmt, solange die Kamera läuft.

Dass Leif Randt den Tonfall so kompromisslos durchhält und das Absurde dadurch grell ausleuchtet, das ist ganz großes Kino und ein echter Lesegenuss.

Kurz und gut: #tollesbuch #einmuss #besterkommentarzurzeit #lesen

#lesefrühling #roman #leifrandt #kiwi #deutschland #couplegoals #moderne #gesellschaft #liebe #genz #lesen #leselust #leseratte #lesenswert #bücher #literatur

Sonntag, 27. März 2022

Mosaik #555 und #556



Puh, einmal den Mosaik-Post verpasst, dafür gibt's heute den Abrafaxe-Doppelpack!

#lesefrühling #Comic #abrafaxe #mosaik #abenteuer #zeitreise #Asien #Bagdad #indiebook #lesen #leselust #leseratte #Bücher #yesyoucomican

Samstag, 26. März 2022

Indiebookday 2022 in Pankow



#indiebookday 2022 am besten Platz und mit der besten Bücherfrau von allen!!!1! 🥰😘🤓

Buchdisko, Pankow, 26.03.2022

#lesefrühling #Sachbuch #nautilus #editionnautilus #flugschrift #politik #gesellschaft #rassismus #arbeit #kapitalismus #indiebook #lesen #leselust #leseratte #bücher

Donnerstag, 24. März 2022

Joseph Henrich: Die seltsamsten Menschen der Welt. Wie der Westen reichlich sonderbar und besonders reich wurde


"Wie konnte Europa ab dem Jahr 1500 weite Teile der Welt erobern - und warum kam es dann im 18. Jahrhundert hier auch zur Industriellen Revolution? Der Harvard-Anthropologe Joseph Henrich präsentiert eine neue, faszinierende Lösung dieses großen Rätsels: Er zeigt, dass einige europäische Bevölkerungen im späten Mittelalter psychologisch äußerst sonderbar wurden und so den 'Aufstieg des Westens' einläuteten." (Umschlagtext)

Und ich wollte wirklich nur ein wenig stöbern und gucken und dann ohne ein Buch zu kaufen nach Hause gehen. Ich schwöre. Aber ehrlich, wie hätte ich diesen dicken Klopper stehen lassen können? 🤓

(Übersetzung: Frank Lachmann, Jan-Erik Strasser)

"Es gibt einen Menschenschlag, der sich von allen anderen früheren und heutigen stark unterscheidet. Sein Gehirn ist so verdrahtet, dass er in der Regel Gesichter schlechter erkennen kann, weniger auf seine Verwandten achtgibt und die Welt 'scheibchenweise' verstehen will. Bei diesen sonderbaren Personen handelt es sich aber nicht etwa um peruanische Matsigenka, Fidschi-Insulanerinnen, chinesische Reisbauern oder die Jäger und Sammlerinnen der Hadza im heutigen Tansania - sondern um Leute wie Sie und mich!

Aber warum sind wir 'Westler' so sonderbar - und was hat das mit Demokratie und Religion, mit Falschparken und Heiraten, Totems und Tabus, mit Aufklärung, industrieller Revolution, Globalisierung und überhaupt fast allem anderen zu tun? Und warum war ausgerechnet das katholische Ehe- und Familienmodell des Mittelalters so überaus wichtig? Anhand von faszinierenden psychologischen Experimenten und ausgedehnten Feldforschungen sowie gestützt auf eine Fülle historischer und soziologischer Daten zeigt der Anthropologe Joseph Henrich auf brillante Weise, wie uns Evolution, Geschichte und vor allem die Kultur zu dem gemacht haben, was wir heute sind: die seltsamsten Menschen der Welt. Ein wegweisendes Buch voller Überraschungen." (Klappentext)

#lesefrühling #sachbuch #josephhenrich #suhrkamp #antropologie #geschichte #mittelalter #kapitalismus #wirtschaft #polbil #lesen #leselust #leseratte #bücher

Dienstag, 22. März 2022

Sang Young Park: Love in the big city


"Young flippert zwischen Bude, Hörsaal und den Betten seiner letzten Tinder-Matches hin und her. Er studiert in Seoul, zusammen mit Jaehee, seiner BFF und Mitbewohnerin, zieht er jede Nacht durch die glitzernden Bars und queeren Clubs der Stadt. Doch als auch Jaehee endlich ankommen will, bleibt er allein zurück mit einer Frage: Ist in diesem Land für einen wie mich überhaupt eine Zukunft vorgesehen?

Eine Heldengeschichte von gewaltiger Zärtlichkeit und Lässigkeit. Sang Young Park erzählt von Chaos, Freude, Leichtigkeit des Jungseins und seinen schmerzhaften Grenzen, in einer Gesellschaft, deren Vergangenheit trotz allem Blitzen, Blinken, Träumen seltsam mächtig bleibt ... Das Kultbuch aus Südkorea, Porträt einer Generation, Psychogramm eines faszinierenden Landes." (Umschlagtext)

Mal nicht die oft gelesene queere Geschichte aus Berlin oder New York - find ich gut! 🤓

"Schon immer ziehen sie am liebsten gemeinsam los, Young und Jaehee. Mit einem Glas Soju in der Hand und eisgekühlten Marlboro Reds zwischen den Lippen beschwören sie die Euphorie, jede Nacht. Gegen die Ängste, gegen die Liebe, gegen die Ansprüche der Familie und die Not mit dem Geld. Doch dann will Jaehee plötzlich das, was alle anderen Langweiler wollen, und lässt Young allein zurück im Partymodus. Mit seiner altgewordenen Mutter, mit Dutzenden Liebhabern, von denen kaum einer seinen Namen kennt, mit der Leidenschaft fürs Schreiben und einer Frage: Hält dieses Land überhaupt eine Zukunft für mich bereit? Kann ich sie erreichen?

(Übersetzung: Jan Henrik Dirks)

#lesefrühling #roman #sangyoungpark #suhrkamp #südkorea #seoul #queer #comingofage #liebe #lesen #leseratte #leselust #bücher #literatur

Montag, 21. März 2022

Ling Ma: New York Ghost


(Übersetzung: Zoë Beck)

„Nach dem ENDE kam der ANFANG. Und am ANFANG waren wir acht, dann neun – das war ich –, eine Zahl, die nur abnehmen würde.“ (Seite 7)

Es gibt sie, diese Bücher, die literarisch etwas vorwegnehmen, das wenig später so sehr die Realität einholen wird, dass man sich ob dieser Hellsichtigkeit verwundert die Augen reiben mag. Das erzählerische Brennglas wird angesetzt, bevor noch irgendjemand hindurchschauen will. Um solch ein Buch handelt es sich bei diesem bereits 2018 im Original erschienenen Roman von Ling Ma.

Ich sage nur „Pandemieroman“. Glücklicherweise war von Corona noch nichts zu sehen oder zu hören, als diese Geschichte aufgeschrieben wurde. Das ermöglichte es der Autorin ein paar Dinge in den Blick zu nehmen und zu behalten, die wenig später von ganz vielen anderen Debatten rund um die Pandemie und deren Bekämpfung vermutlich überlagert worden wären – wie die Realität uns ja nur zu gut vorgeführt hat.

Aber erst einmal zur Geschichte, die in diesem Text erzählt wird:

Eine junge Frau, Candace Chen, arbeitet mitten in New York am Times Square bei einem Verlagsdienstleister. Ihre Aufgabe ist die Herstellung von Themenbibeln und die Koordination von deren Produktion in China. Zugute kommt ihr dabei, dass sie selbst als junges Mädchen mit ihren Eltern aus China in die Staaten kam. Zumindest wird dieser Pluspunkt seitens ihres Arbeitgebers so eingeschätzt. Der aber weiß natürlich nicht um die nicht ganz einfache Familien- und Einwanderungsgeschichte, die die Autorin geschickt in diese Endzeitgeschichte einbettet.

Nach einigem Widerstreben gegen das Leben als Rädchen im Getriebe des globalisierten Kapitalismus ist Candace mit diesem Verlagsjob genau dazu geworden. Und dieses Rädchen dreht sich und dreht sich, selbst als sich das Shen-Fieber über die globalen Lieferketten von China bis in die USA ausbreitet.

Ling Mas Beschreibung, wie das Fieber immer mehr um sich greift und langsam und unaufhaltsam das gesellschaftliche Leben und am Ende alles zum Stehen bringt, nimmt auf unheimliche Art und Weise und sehr präzise vorweg, was wir alle schockartig in den ersten Monaten der Corona-Pandemie erleben mussten.

Während der berufliche Alltag weiterläuft, tun sich die ersten Risse in der schönen bunten Konsumwelt auf, weil erst einzelne Produkte fehlen, dann Läden schließen und die Menschen sich immer mehr ins private zurückziehen. Die Infrastruktur zur Versorgung wird solang es geht aufrecht erhalten, Rettungs- und Sicherheitsdienste sind irgendwann das Einzige, was man noch regelmäßig in den Straßen sehen kann. Der öffentliche Nahverkehr ist da schon längst eingestellt. Angesichts unserer Erfahrungen mit den Lockdowns klingt das alles nun wirklich nicht mehr weit hergeholt.

Candace nimmt all die Einschränkungen recht stoisch hin und ist konzentriert darauf, weiter zu funktionieren und diese Hürden, die sie davon abzuhalten drohen zu meistern. Als der Weg zur Arbeit durch die Stadt kaum noch zu meistern ist, zieht sie kurzerhand ins hochgeschossige Bürohaus am Time Square. Dort ist außer ihr irgendwann ohnehin niemand anderes mehr. All dies erzählt Ling Ma so herrlich lakonisch und mit immer wieder trockenem Witz, dass auch mir als Leser die Ungeheuerlichkeit, die darin versteckt ist, erst nach und nach bewusst wurde.

Erst als so gar nichts mehr geht und nicht einmal die Sicherheitsleute noch zu sehen sind, entschließt sich Candace dazu, die Stadt zu verlassen. Sie trifft auf eine Gruppe, die offenbar ein Ziel vor Augen hat und von einem Kerl angeführt wird, der sich – so ganz im The Walking Dead Style – vom biederen, blassgesichtigen Angestellten in der Endzeit zum allwissenden Führer der Gruppe aufschwingt. Das Überleben der Menschheit möchte niemand in den Händen von solch einem Typen wissen. Leider klingt das alles nur allzu plausibel.

In der endzeitlichen Gegenwart begleitet die Geschichte diese Gruppe auf ihrem Weg zu der ganz sicher sicheren Zone, zu dem Ort, an dem sie das Ende der Welt überdauern können. Aber wie soll der moderne, von kapitalistischen Produktionszwängen zugerichtete Mensch eigentlich zurechtkommen in einer Welt, in der er und sie nur noch auf sich selbst zurückgeworfen sind, keine Werbung Hinweise darauf geben kann, was man denn jetzt brauchen könnte, keine Influencer mehr Orientierung bieten können und so weiter …

Der Titel des Romans verdankt sich dem Foto-Blog, den Candace Shen führt, als alles schon zusammenbricht. New York Ghost. Und vielleicht hätte es diese Pandemie gar nicht gebraucht, damit dieser Titel dennoch so gerechtfertigt wäre.

Die Mischung aus Familiengeschichte, Endzeitstory und gesellschaftskritischer Beschreibung gar nicht zu endzeitlicher Zustände hat mich mal so richtig erwischt. Einmal mehr kann ich dem Culturbooks Verlag nur danken, dass dieses Buch hier erscheinen konnte.

Kurz und gut: Ein grandios gut erzähltes Stück ganz gegenwärtiger Endzeitliteratur. Mehr davon – lesen!

#lesefrühling #roman #lingma #culturbooks #endzeit #newyork #pandemie #kapitalismus #fieber #überleben #moral #zivilisation #indiebook #lesen #leseratte #lesenswert #leselust #bücher #literatur

Sonntag, 20. März 2022

Christoph Hein: Glückskind mit Vater


"Seit seiner Geburt im Jahr 1945 versucht Konstantin Boggosch aus dem Schatten seines Vaters zu treten: Er nimmt einen anderen Namen an, will in Marseille Fremdenlegionär werden, reist am Tag des Mauerbaus wieder in die DDR ein, darf dort kein Abitur machen und bringt es in den späten DDR-Jahren trotzdem fast bis zum Rektor einer Oberschule. Doch dann holt ihn die Vergangenheit wieder ein ..." (Umschlagtext)

Die Bemerkung im Buch, dass der Geschichte reale Vorkommnisse zugrunde liegen und die Figuren nicht frei erdacht sind, macht auch diesen Hein für mich vorab schon wieder spannend. Ich wiederhole mich, ich weiß, aber Christoph Hein geht irgendwie immer. 🤓

"Was verdankt ein von der Mutter 'Glückskind' genannter Sohn dem Vater? Für Kostantin Boggosch ist er eine unausweichliche Antriebskraft. Jedoch in einem alles andere als positiven Sinne: Der Sohn, in der entstehenden DDR zur Welt gekommen, muss seit seiner Geburt im Jahr 1945 wegen seines kriegsverbrecherischen toten Vaters im Fluchtmodus leben: psychisch, physisch, beruflich, geographisch, in Liebesdingen. Es gibt zahlreiche Versuche, aus dem Schatten des Vaters herauszutreten: Er nimmt einen anderen Namen an, will in Marseille Fremdenlegionär werden, reist kurz nach dem Mauerbau wieder in die DDR ein, darf dort kein Abitur machen, bringt es gleichwohl, glückliche Umstände ausnutzend - Glückskind eben -, in den späten DDR-Jahren bis zum Rektor einer Oberschule - fast." (Verlagstext)

#lesefrühling #roman #christophhein #suhrkamp #zeigeschichte #ddr #abenteuer #vergangenheit #schatten #biografie #lesen #leselust #leseratte #bücher #literatur