Dienstag, 26. Januar 2021

Felix Mertikat/ Verena Klinke: Steam Noir. Das Kupferherz 4


„Ich empfehle mich, Herr Lerchenwald.“ (Seite 3)

 

Bei Comicserien passiert mir ja gern mal Folgendes: Ich lese die ersten ein, zwei Bände und bin begeistert. Also warte ich ungeduldig auf die weiteren Bände, bis die Serie mal komplett ist. Erst, wenn ich den letzten Band habe, lese ich dann die gesamte Serie. Und bei Comicserien kann es schon mal dauern, bis sie komplett sind. ;)

 

Bei „Steam Noir“ waren es nur vier Bände in fünf Jahren. Und der letzte Band ist auch noch gleich doppelt so dick wie die Vorgänger. Das ist ein guter Schnitt, wenn ich bedenke, dass ich jetzt noch einmal eine halbe Ewigkeit gebraucht habe, um mir endlich die ganze Serie zu Gemüte zu führen. ;) Aber das Warten hat sich, dass kann ich vorab verraten, in jedem Fall gelohnt.

 

Klinke und Mertikat entführen in eine hübsch eigentümliche Welt. Die Menschheit lebt verteilt auf Erdschollen, die von beschiffbarem Äther umgeben sind. Die Welt der Menschen enthält noch viele Relikte, die uns gut bekannt sind: Staatsformen, Hierarchien, Häuser und Klamotten dem Genre entsprechend. Achja, und Maschinenmenschen gibt es, die leben und denken und sprechen.

 

Um dieser spannenden und wendungsreichen Story nicht zu viel vorwegzunehmen, versuche ich mal wieder eine knappe Zusammenfassung:

 

Sterben Menschen auf Landsberg, der Scholle, auf der die Geschichte spielt, dann gehen ihre Seelen über auf eine weitere, allerdings im Nebel von Mythen verschwommene Scholle über, nach Vineta. Immer dann, wenn Vineta in den Blinden Tagen sich Landsberg annähert, kehren manche Seelen zurück – mit unangenehmen Begleiterscheinungen.

 

Also trachten die Menschen danach, mit all ihrem Wissen dieses Phänomens Herr zu werden. Die Möglichkeit einer Wiederkehr und gar der Unsterblichkeit befeuert die Phantasie von Herrschern und Forschern gleichermaßen. Davon, wie eine solche Macht korrumpiert, erzählt die Geschichte.

 

Im Mittelpunkt steht das Ermittlertrio aus Herrn Lerchenwald, der sich der Erforschung der Seelen verschrieben hat, Herrn Hirschmann, einem Maschinenmenschen und aus Frau D., einer Ermittlerin, von deren Geschichte ich gern noch mehr erfahren hätte. Die drei sollen in einem Mordfall ermitteln und finden sich wieder in einem Strudel an Ereignissen, der letztlich ganz Landsberg bedrohen wird. Achja, und tiefe Gefühle gibt’s natürlich auch noch.

 

Schon der erste Band wurde mit dem Sondermann-Preis der Frankfurter Buchmesse 2012 ausgezeichnet. Vollkommen zurecht finde ich.

 

Die Bilder kommen opulent, atmosphärisch daher und tragen die Story ganz vorzüglich. Die Handlung bietet etliche Wendungen, ist gespickt mit Dialogen, die zu lesen Spaß macht. Die Macher:innen haben einfach alles richtig gemacht.

 

Nun liegt zwar die Veröffentlichung des ersten Bandes schon gut 10 Jahre zurück. Die Story und Aufmachung sind aber so zeitlos, dass heutige Leser:innen die Serie direkt komplett entdecken können und sich das Warten auf den nächsten Band sparen.

 

Kurz und gut: Von wegen, es gäbe keine überzeugenden einheimischen Comicproduktionen. Seht her und lest! ;)

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Sonntag, 24. Januar 2021

Richard Ford: Kanada


(Übersetzung: Frank Heibert)

„Zuerst will ich vom Raubüberfall erzählen, den meine Eltern begangen haben.“ (Seite 11)

Stell dir vor, du bist 15 Jahre alt, und lebst mit deinen Eltern und deiner Zwillingsschwester im fast hinterletzten Winkel der USA in Montana. Da dein Vater bis vor kurzem noch Soldat war, seid ihr immer wieder von Standort zu Standort umgezogen und nie irgendwo richtig angekommen. Mit deiner Schwester verbindet dich ein hauptsächlich, dass ihr kaum andere Leute kennt. Eure Mutter schreibt Gedichte und scheint irgendwie auf dem Absprung aus dieser Ehe zu sein. Du freust dich aufs College. Und dann verüben eure Eltern einen Banküberfall und werden erwischt. Das Leben, wie du es kanntest, endet hier.

Das ist die Geschichte von Dell, der sich allein in Kanada wiederfindet, wohin er von einer Freundin der Mutter gebracht wurde, nachdem sich die Schwester aus seinem Leben gestohlen hat. Um nicht als Staatsmündel von Eltern, die im Gefängnis sitzen in einem staatlichen Kinderheim oder schlimmerem zu landen, nimmt Dell sein neues Schicksal in diesem fremden Land und unter fremden Leuten an.

Fords Roman ist quasi bester Pandemie-Lesestoff. Er führt in der Zeit zurück in die frühen 60er Jahre und außerdem in zwei gottverlassene Gegenden, erst nach Montana, USA, und dann nach Saskatchewan, Kanada. Sowas Verrückt-Absurdes wie einen Virus braucht Ford nicht. Ihm reichen seine Hauptfiguren, ihr schicksalhaftes Handeln und das in die Ergebnisse der Handlungen anderer Geworfensein. Und natürlich insbesondere die beeindruckende Präriekulisse Kanadas.

Dells Bericht vom Banküberfall seiner Eltern und den wenigen Tagen danach, bis er sich in Kanada wiederfindet, nimmt etwas über die Hälfte des Romans ein. Der Banküberfall selbst kommt dabei grandios banal und unspektakulär daher. Dell geht es auch eher darum, das davor zu beleuchten, die Anzeichen nachträglich zu lesen. Das Gefüge der Familie wird regelrecht seziert. All dies dient dem Hinterfragen der Umstände, die dazu führen, dass sein eigenes Leben schlagartig ein ganz anderes werden muss.

In Kanada angekommen, muss Dell lernen, die Einsamkeit anzunehmen. Erst allmählich lernt er, dass er nicht unweigerlich immer mit den Umständen zurechtkommen muss, die andere auslösen. Das Akzeptieren der Umstände führt ihn langsam dahin, eigene Entscheidungen treffen zu können, erwachsen zu werden.

Ich verrate nicht zu viel, wenn ich noch erwähne, dass Dell in Kanada bleiben wird, seine Eltern nie wiedersieht, aber seiner Schwester noch einige wenige Male begegnen wird. Er wird auf ein Leben zurückblicken, dass er erst selbst in die Hände nehmen konnte, als er akzeptierte, dass die Handlungen anderer ihn in eine neue Welt stellten und das irreparabel ist.

Nachdem ich zuletzt eine ganze Reihe eher schneller Geschichten gelesen habe, war dieser Roman von Richard Ford noch einmal eine kleine Herausforderung. Ich hab es aber unbedingt genossen, mich dem Erzähler anzuvertrauen bei all den Rückblenden, Schleifen und Blicken über die Prärie Kanadas.

Kurz und gut: Wer entschleunigtes Erzählen, einen tiefen Blick in die Figuren und großartige Landschaftsbeschreibungen mag, der ist hier sowas von richtig. Lesen!

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Donnerstag, 21. Januar 2021

David Christian: Big History. Die Geschichte der Welt - vom Urknall bis zur Zukunft der Menschheit


"Wie alles anfing - und wie es enden wird

David Christian, der 'Großmeister der Metadisziplin' (FAZ) und Begründer der Big History, erzählt die Geschichte der Menschheit eingebettet in die des Universums. Sein Buch ist eine brillante Synthese der Erkenntnisse aus Physik, Chemie, Biologie, Geologie und Archäologie. Eine faszinierende kosmologische Detektivgeschichte, die uns verstehen lässt, wie alles mit allem zusammenhängt: vom Big Bang über Plattentektonik bis zum menschengemachten Klimawandel." (Umschlagtext)

Geschichte und Naturgeschichte verbunden - auch kein gänzlich neuer Ansatz. Klingt aber interessant. 🤓

(Übersetzung: Hainer Kober)

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Mittwoch, 20. Januar 2021

JJ Bola: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungs ist


(Übersetzung: Malcolm Ohanwe)

„An einem sonnigen Samstagnachmittag in meiner Jugendzeit, bevor es Touchscreens, Selfies und 4G gab und bevor die sozialen Medien jeden Aspekt unseres Daseins durchdrungen hatten, lief ich durch die pulsierende, oft turbulente, multikulturelle, dynamische Tottenham High Road im Norden Londons.“ (Seite 11)

Ich war vorgewarnt. Leute, auf deren Einschätzung ich viel gebe, waren recht entschieden in ihrer Bewertung. Ich wollte es dann mit eigenen Augen lesen. Und jetzt muss ich dies hier schreiben.

Es ist ordentlich was in Bewegung gekommen zwischen den Geschlechtern und auch in Debatten um gesellschaftliche Strukturen, die Männer bevorzugen, die männliches Verhalten honorieren usw. Bestandteil dieser Debatten muss es natürlich auch sein, dass die Umstände, unter denen Jungs zu Männern aufwachsen hinterfragt werden. In diesem Sinne klang die Buchankündigung bzw. der Umschlagtext nach einem passenden Text, der „viele Männlichkeiten“ einfordert.

Leider löst das Buch von JJ Bola nichts ein. Nach der Lektüre könnte ich weder sagen, an wen sich der Text eigentlich richtet, noch was die Kernaussage ist.

Auf gut 150 Seiten rast der Text durch Themen wie Gewalt, Aggressivität, Liebe, Sex, Gleichstellung, Feminismus, Intersektion, Social Media, Sport. Der Autor setzt ein mit Beobachtungen aus seiner eigenen Jugend, in der das unterschiedliche Verständnis von Männlichkeit anhand der ruppigen Großstadtkultur Londons, wo er aufwuchs, und der kongolesischen Community dort, in der er familiär verankert war. Der Einstieg lässt erahnen, dass JJ Bola wirklich Vieles, Interessantes und Inspirierendes zu berichten hätte. Leider bleibt das Buch immer nur in Andeutungen, in Ansätzen stecken.

Nahezu absatzweise springt der Text zwischen Punkten hin und her und schafft es selbst in den nicht so wahnsinnig langen Kapiteln kaum, das Thema des Kapitels nachvollziehbar zu beschreiben und konsistent zu argumentieren. Die biografischen Schnipsel wirklich lieblos verteilt und tragen selten etwas zum gerade behandelten Punkt bei.

Wäre es ein „Einsteigerbuch“, dass Leute neugierig machen soll, die sich mit dieser Art der Reflektion noch nicht beschäftigt haben … nein, auch dafür bleibt der Text viel zu konfus, um den Weg zu Einsichten, eigenen Fragen und zu Interesse auf mehr zu eröffnen. An zu vielen Stellen gibt es andererseits kleine Brocken, die für jeden Einstieg viel zu viel voraussetzen. Nein, dieses Buch kann sich einfach nicht entscheiden, was es sein will.

So gerät es für Einsteiger:innen zu wenig stringent und zugleich zu voraussetzungsvoll, während es für Leser:innen, die schon anderes zum Thema gelesen haben, kaum an eine Anekdotensammlung mit eher banalen Erkenntnissen heranreicht.

Hinzu kam für mich beim Lesen das merkwürdige Gefühl eine nicht besonders gelungene oder konsistente Übersetzung zu lesen. Immer wieder klingen Sätze komisch gestelzt, wo kurz zuvor noch ein eher kumpeliger Tonfall angeschlagen wurde, um etwas zu verdeutlichen. Das lässt den Text ebenso wie das inhaltliche Springen immer wieder kippen. Wenn dies im Original auch so angelegt ist, verstehe ich die Buchauswahl des Verlags nicht recht. Andernfalls bliebe zu fragen, was da bei der Aufbereitung der deutschen Ausgabe nicht geklappt hat. Das war für meinen Geschmack jedenfalls nix.

Kurz und gut: Wichtiges Thema, das ein wichtiges Buch verdient hätte. Ich hätte es wirklich gern gutgefunden. So gibt es eindeutig keine Leseempfehlung!

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Donnerstag, 14. Januar 2021

Michael Büsselberg (Hrsg.): Sie wollen uns erzählen. Zehn Tocotronic-Songcomics


"'Let there be rock': Musik trifft Comic. Ton trifft Bild.

Zehn Songs der wichtigsten deutschsprachigen Band der Gegenwart

Interpretiert von zehn Zeicher*innen, Illustrator*innen und Künstler*innen

Vielseitig und vielschichtig wie die zwölf Alben der Band

Songs aus der gesamten Schaffensphase von Tocotronic, visuell umgesetzt von

Jim Avignon
Julia Bernhard
Tine Fetz
Eva Feuchter
Anna Haifisch
Sascha Hommer
Katja Klengel
Moni Port
Jan Schmelcher
Christopher Tauber
Philip Waechter" (Umschlagtext)

Das Buch zu vierzig Jahren Punk aus den Ventil Verlag hatte mich verleitet, mir Songs und Bands anzuhören, die in meinem musikalischen Universum eher nicht vorkommen.

Beim ersten Blättern durch diesen Band mit Comicgeschichten zu Songs von Tocotronic könnte ich mir vorstellen, bald eine ähnliche Erfahrung zu machen. 🤓

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Freitag, 8. Januar 2021

Patrick MacAllister: Der Student von Prag. Der Vorhof zur Hölle



"Prag in der 'goldenen Zeit, gesellschaftliche Missstände, eine dekadente Elite und die aufkommende Industrialisierung, das ist die Welt des Studenten Balduin. Er ist Prags bester Fechter. Held der illegalen Kämpfe, die die Schönen und Reichen Nacht für Nacht im 'Vorhof zur Hölle' bejubeln. Balduin badet in diesem Traum aus Lust, Ruhm und Prestige. Bis er sich eines Tages seiner Begierde nach der Comtessa de Roos hingibt und dadurch sein Leben gänzlich aus den Fugen gerät." (Umschlagtext)

Yeah, der @Patrick.MacAllister hat einen Comic gemacht. Und wir haben jetzt auch ein Exemplar. 🥳

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