(Übersetzung:
Dirk van Gunsteren)
„Man hatte
uns von Haustieren abgeraten, desgleichen von Ehemännern oder festen Freunden,
und dasselbe galt natürlich für die Männer, von denen, soviel man wusste,
keiner verheiratet war.“ (Seite 13)
In den
frühen 90ern fand in Arizona, USA, das Biosphere2-Experiment statt. Ein
Milliardär finanzierte eine Glaskuppel über ca. 1,6 Hektar, unter der ein sich
selbst erhaltendes, ökologisches System entstehen und über jeweils zwei Jahre
von einer menschlichen Crew bewohnt und betrieben werden sollte. Die erste
Mission dauerte tatsächlich zwei Jahre. Allerdings wurde der Anspruch eines
geschlossenen Systems durchbrochen, weil es wegen einer medizinischen
Behandlung eines Crewmitglieds kurzzeitig zu einer Öffnung und einem
Materialaustausch kam. Der zweite Einsatz dauerte dann nur sechs Monate. Warum
er offenbar abgebrochen wurde, darüber konnte ich nichts finden.
T.C. Boyle
nahm diese für sich schon fantastische Geschichte, um daraus einen Science-Fiction-Stoff
zu weben, der auf der Erde der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts angesiedelt
ist. Er erzählt die Geschichte der zweiten Mission, die in seiner Version aber
tatsächlich die gesamten zwei Jahre andauert.
Die Prämisse
des Romans ist die Vorgeschichte der ersten Mission in Biosphere2, auch mit
ihrem Scheitern an der kurzzeitigen Kontamination. Daraus folgt hier der
unbedingte Wille der Nachfolgecrew, die gesamten zwei Jahr durchzustehen.
Welche Fokussierung und eigentlich Zurichtung der Terranauten und welches
ideologische System drumherum dafür notwendig sind, das breitet Boyle vor uns
aus.
Die Zeit vor
dem Einschluss, das erste und das zweite Jahr sowie den Wiedereintritt, wie es
hier in schönster Astronautenart heißt, berichten drei Menschen: Dawn, Ramsey
und Linda. Ihre Leben sind eng miteinander verwoben und aufeinander bezogen,
auch während Dawn und Ramsey unter der Glaskuppel eingeschlossen sind, während
Linda außerhalb damit hadert, nicht selbst dort zu leben, und stattdessen die
Mission mit Überwachungsaufgaben unterstützt.
Wie viel
Idealismus es braucht, um sich auf solch ein Unterfangen einzulassen, wie viel
Überzeugung und Überwindung, das lässt sich gut an den Berichten vor und kurz
nach dem Einschluss erahnen. Und, ganz erwartbar, bekommt dieser Idealismus im
Fortschreiten des Experimentes erst feine und später immer klaffendere Risse.
Dass dieses Großexperiment nicht nur ein biologisch-ökologisches sein kann,
sondern eben auch ein menschliches sein muss, das erschließt sich sofort. Und so
ist es neben technischen Fragen eben hauptsächlich der Faktor Mensch, der hier
über Gelingen oder Scheitern bestimmt.
Bei allem Training,
aller Routinen, die das Leben der Terranauten prägen und bestimmen, sind es in Boyles
Version der Geschichte eben individuelles Verhalten, persönliche Bedürfnisse
und die Dynamik innerhalb eine abgeschlossenen, auf sich selbst bezogenen
Kleingruppe, die hier alles am Laufen – oder eben auch nicht.
Boyle ist
auch mit den drei Erzählstimmen, die hier abwechselnd berichten, ein grandioser
Autor. Es braucht gar nicht die vollkommen unvorhersehbaren Ereignisse und Schocker,
um es im sozialen Gefüge dieser Versuchsanordnung ordentlich krachen zu lassen.
Es reichen die Abgeschlossenheit der Gruppe drinnen, sowie die eben doch
vorhandenen sozialen Interaktionen mit denen draußen. Und spannenderweise ließ
mich der Eindruck nicht los, dass die Crew, die die Mission von außen betreibt
und am Laufen hält, nicht weniger hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen
wirkt als die unter der Glaskuppel.
Kurz und gut: T.C. Boyle beobachtet und schreibt hervorragend.
Lesen, unbedingt!
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