Freitag, 29. April 2022

Carl-Christian Elze: Freundenberg


 "Der 17-jährige Freudenberg spricht nur gezwungernermaßen mit seiner Umwelt, fühlt sich fremd in ihr. Er hat Sehnsüchte, Phantasien, Träume - aber keine Worte, um sich verständlich zu machen. Also treffen andere die Entscheidungen für ihn. Während eines Familienurlaubs an der polnischen Ostseeküste bietet sich unverhofft die Chance, sein fremdbestimmtes Leben hinter sich zu lassen: An einem verlassenen Strandabschnitt findet er den Leichnam eines Jungen, der von der Steilküste abgestürzt ist. Freudenberg vertauscht Kleidungsstücke, Brieftaschen und Ausweise, inszeniert seinen eigenen Tod und nimmt eine neue Identität an. Doch schon bald überfordert ihn die neu gewonnene Freiheit und er kehrt in die elterliche Kleinstadt zurück, wo man ihn gerade beerdigt hat. Ein Gerüst aus Lügen soll ihm den Rückweg in sein altes Leben ermöglichen, aber dieses Gerüst trägt nicht." (Umschlagtext)

Mmh, der Wunsch jemand anderer zu sein oder überhaupt jemand zu sein - noch bevor so richtig Lebenszeit war, um zu werden. Doch doch, das klingt nach mehr als dem Doppeltes-Lottchen-Ding. Ich bin interessiert. 🤓

"Freudenberg musste an seine Zunge denken, daran, dass sie ihm lästig war; schon immer. Schon als Kind hatte er instinktiv begriffen: ohne Zunge keine Sprache und ohne Sprache keine falschen Sätze und ohne falsche Sätze keine falschen Gedanken und Gefühle." (Klappentext)

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Sonntag, 24. April 2022

Stanley M. Burstein: Antike global. Die Welt von 1000 v. Chr. bis 300 n. Chr.


"Diese kleine Geschichte der Welt zwischen 1000 v. Chr. und 300 n. Chr. weitet den Blick auf eine Antike vom Pazifik bis zum Atlantik. Wenige Großreiche - das Jin-Reich in China, das sasanidische Persien und Rom - beherrschen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Doch diese Imperien waren nicht voneinander isoliert. Ein ausgedehntes Netz von Handelsrouten verband sie mit Südost- und Zentralasien sowie Afrika südlich der Sahara. Stanley Burstein rekonstruiert diese erste globale Ära der Welt und löst die Geschichtsschreibung souverän aus der eurozentristischen Perspektive." (Umschlagtext)

Ich staune immer noch, wie schwer es ist, die Geschichte der Menschheit mal nicht als eurozentristische Erzählung zu begreifen. Und welche Umwege es immer noch braucht, unseren eigenen Blick als das zu erkennen - eingeschränkt und eurozentristisch. Wollte ich mal bemerken!

Danke für dieses Rezensionsexemplar an die @wbg_wissenverbindet !

(Übersetzung: Kai Brodersen)

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Samstag, 23. April 2022

Peer Meter & Isabel Kreitz: Haarmann


„Alles Menschenknochen!“ (Seite 8)

Im Jahr 1924 tauchen in der Leine in Hannover zahllose Knochen auf. Sie gehörten offenbar den zahlreichen jungen Männern, die seit Monaten in der Stadt spurlos verschwunden waren. Übrig blieben von ihnen nur die fein säuberlich abgetrennten Gebeine und Schädel. Und die Stadt erstarrt in Angst.

 

Die Zeichnungen führen uns eine Altstadt voller verwinkelter Gassen vor Augen, in denen die Menschen in einfachen Verhältnissen leben, kaum über die Runden kommen. Sie halten sich mit kleinen Geschäften, legal oder illegal, über Wasser. Der Schwarzmarkt und Prostitution blühen. Die Polizei greift, wenn überhaupt, eher bei letzterem durch.

 

Fritz Haarmann, dieser komische Kauz, schlägt sich ebenso durch. Er ist offenbar ein eher schlichtes Gemüt, recht roh in seiner Art. Aber bei ihm kann man immer mal wieder einigermaßen gutes Fleisch kaufen oder abgelegte Klamotten. Niemand will sich etwas dabei denken. Immer wieder wird er mit sehr jungen Männern gesehen, die er mitunter am Bahnhof aufliest, wo sie gerade mit nichts in der Stadt gestrandet sind. Er bietet ein Dach über dem Kopf für ein wenig Zuwendung.

 

Alles erscheint in dieser Geschichte so durchschaubar, wie es für spätere Generationen nur sein kann. Fritz Haarmann schleppt die Jungs ab, verführt sie, schlachtet sie und verkauft ihr Fleisch und ihr Hab und Gut später. Doch niemand will etwas sehen oder hören. Die Menschen scheinen wie abgestumpft in ihrer Angst und ihrer Not.

 

Doch auch die Polizei scheint kein wirkliches Interesse an der Aufklärung zu haben oder zumindest daran, Fritz Haarmann zu überführen. Es wird sich herausstellen, dass Haarmann als Polizeispitzel geführt wurde. Warum die Hand über ihn gehalten wurde, ist Gegenstand des folgenden Justizskandals.

 

Dieser großartig gezeichnete und erzählte Comic führt die Geschichte von vermutlich Deutschlands bekanntestem Massenmörder noch einmal vor Augen. Im Mittelpunkt steht dabei weniger Fritz Haarmann selbst als die sprach- und emotionslose Stadtgesellschaft, die den Hintergrund dieses Dramas bildet. Insofern kann ich zur Ergänzung nur das filmische Kammerspiel empfehlen, in dem Götz George den Fritz Haarmann in seiner erschütternden Einfachheit verkörpert.

 

Abgesehen von dem voyeuristischen Thrill, der ja immer irgendwie von solchen Geschichten ausgeht, regt sie natürlich auch immer die Frage an, ob das hier und heute auch noch so passieren könnte? Und während ich das tippe, kommen mir sofort zahlreiche Missbrauchsskandale in den Sinn, die in den letzten Jahren für Schlagzeilen sorgten. Auch hier lässt die schiere Anzahl der Opfer immer wieder staunen, wie all das in einer Nachbarschaft, unter den Augen von Behörden aber eben dennoch scheinbar unbemerkt geschehen kann. Warum das so möglich ist, weiß ich auch nicht zu sagen. Aber Geschichten wie die von Fritz Haarmann im kulturellen Gedächtnis zu erhalten, das ist sicher ein Verdienst dieses Comics.

 

Kurz und gut: Eher keine Kuschellektüre aber in jedem Fall unbedingt zu empfehlen. Lesen!

 

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Freitag, 22. April 2022

Andrzej Stasiuk: Der weiße Rabe


"Wer hat nicht schon mit dem Gedanken gespielt, wenigstens für zwei Wochen aus dem Leben zu verschwinden? Fünf Jugendfreunde machen es wahr und brechen ins Ungewisse auf. Doch was als leichtsinniges Abenteuer in der eisigen Berglandschaft der Beskiden beginnt, wird zu einer Prozession in den Untergang." (Umschlagtext)

Also diesen Umschlagtext finde ich mal gelungen. Mich jedenfalls spricht das sofort an und schürt die Erwartung nach einem dramatischen Schauspiel.

Uuund - angesichts des heraufziehenden Frühling bietet der Text eine Erinnerung an Winter. ^^

Wer hat nicht schon mit dem Gedanken gespielt, wenigstens für zwei Wochen aus dem Leben zu verschwinden? Fünf Jugendfreunde im postkommunistischen Warschau, alle Familienväter, alle Anfang dreißig, brechen ins Ungewisse auf. Ihres Alltags überdrüssig, lassen sie sich von dem melancholischen wie charismatischen Wasyl zu einem Abenteuer überreden, das sie in das wilde, spärlich besiedelte Gebiet an der polnisch-slowakischen Grenze führt. Als einer von ihnen einen Zollbeamten niederschlägt, erhält der Winterausflug eine dramatische Wendung." Verlagstext)

(Übersetzung: Olaf Kühl)

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Montag, 18. April 2022

Sven Felix Kellerhoff: Anschlag auf Olympia. Was 1972 in München wirklich geschah


„5. September 1972: Seit mehr als einer Woche begeistert München die Welt mit Olympischen Sommerspielen, wie es sie ähnlich weltoffen, bunt und modern nie zuvor gegeben hat. Doch dann kommt der internationale Terror nach Deutschland: Attentäter der palästinensischen Gruppe ‚Schwarzer September‘ nehmen die israelische Mannschaft als Geisel. 21 Stunden später sind 17 Menschen tot. Was damals im September 1972 in München tatsächlich geschah, rekonstruiert der Historiker und Journalist Sven Felix Kellerhoff nun erstmals anhand von bisher nicht ausgewerteten Akten und kommt zu ganz neuen Einschätzungen der damaligen Ereignisse.“ (Umschlagtext)

Die @wbg_wissenverbindet hat mir freundlicherweise mal wieder ein Rezensionsexemplar geschickt. Und da ich bisher ehrlicherweise nicht mehr über das Attentat weiß als ein Spielfilm zum Thema gezeigt hat, bin ich tatsächlich gespannt auf dieses Stück Zeitgeschichte.

"Kurz nach der Morgendämmerung betreten acht junge Männer das Treppenhaus zum Haus Connollystraße 31 in München, in dem die Olympia-Delegation Israels untergebracht ist. Die Trainingsanzüge, in denen sie zuvor über den Zaun des Olympischen Dorfes geklettert sind, haben sie gegen mitgebrachte Straßenkleidung ausgetauscht; aus den Sporttaschen hat jeder ein Sturmgewehr vom Typ Kalaschnikow genommen. Am Apartment Nr. 1 links im Erdgeschoss lesen sie jüdisch klingende Namen. Die Tür ist nur zugezogen, nicht verriegelt ..." (Klappentext)

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