Mittwoch, 30. August 2023

Mosaik #573


Wenn der August wettermäßig schon in Grautönen ausschleicht, dann bringen wenigstens die Abrafaxe etwas Farbe zurück. Von der guten Unterhaltung mal ganz abgesehen, gelle. 😊

 

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Sonntag, 27. August 2023

Philipp Staab: Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit


„Die Verbreitung digitaler Technologien verändert unsere Wirtschaftsweise ebenso grundlegend wie unser Alltagsleben. Wie der Soziologe Philipp Staab darlegt, bringt dieser Wandel nicht nur einen weiteren Schub in der Rationalisierung der Güterproduktion mit sich, der bestimmte Tätigkeiten überflüssig macht und andere hervorbringt. Vielmehr verändere sich die Funktionsweise des Kapitalismus selbst: Bei den großen Digitalkonzernen, die mittlerweile führende Industrieunternehmen in ihrem Wert hinter sich gelassen haben, stehe nicht mehr die Produktion knapper Güter für einen marktwirtschaftlichen Wettbewerb im Zentrum. Worum es gehe, sei die Erschaffung und der Besitz von Märkten selbst. Wer über Plattformen verfügt, könne die Regeln und Bedingungen des Zugangs bestimmen und daraus enormen Gewinn schlagen. Staab analysiert die politische und ökonomische Logik hinter den Strategien und Praktiken der führenden Unternehmen des kommerziellen Internets und zeigt deren historische Wurzeln auf. Dabei hat er nicht nur die amerikanischen Tech-Riesen im Blick, sondern beschäftigt sich auch mit dem digitalen Kapitalismus chinesischer Prägung.“ (Umschlagtext)

Vor etwas über acht Jahren hab ich begonnen, meine Lektüren und Bücherstapel in Posts zu kommentieren. Obwohl das Ganze immer als „Projekt für mich“ gedacht war, bei dem ich andere mitlesen lassen möchte, war unausgesprochen von Anfang an klar, dass ich soziale Medien dafür nutzen würde. Nur mittels dieser Plattformen wäre es möglich, wenigstens ein bisschen Publikum an meinen Gedanken teilhaben zu lassen. Alternative Wege dazu habe ich keine gesehen.

Nun, acht Jahre später ist das nicht viel anders. Eher scheint es so, als wenn, wenigstens für Normal-Nutzer, eigentlich alle Zugänge nur noch über soziale Medien zu haben wären. Du willst etwas verkaufen, eine Dienstleistung anbieten, User für deine App oder Website finden – Plattformen sind der Zugang. Und damit ist auch klar, dass der Zugang immer nur zu den jeweiligen Bedingungen dieser Plattformen zu haben ist.

Auch wenn sich dieser Band der digitalen Wirtschaft widmet, ist schon klar, dass die Konsequenzen natürlich weit über die Wirtschaft hinausweisen und auch wieder zurück. So wie industrielle Nahrungsmittelproduktion dafür gesorgt hat, dass Menschen sich gar nicht mehr vorstellen können, wie die Sachen eigentlich hergestellt werden, so entzieht sich für viele, insbesondere die Jüngeren, auch die reale Wirtschaft mit ihren konkreten Arbeiten immer mehr der Vorstellungswelt. Und dabei bleibt es einfach Kapitalismus, nur in noch bunter und interaktiver.

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Samstag, 26. August 2023

Mikita Franko: Die Lüge


Die Lüge ist ein virtuos erzählter Roman über die Kindheit und Jugend eines Jungen, der in einer russischen Kleinstadt mit zwei Vätern aufwächst. Für ihn ist es die beste aller Welten, aber die allgegenwärtige Stimmung ist geprägt von kruden Vorurteilen und Ablehnung.“ (Umschlagtext)

Angesichts der seit Jahren schlimmer und schlimmer werdenden Lage für queere Menschen in Russland bin ich sehr gespannt auf diesen Roman. Leider weitet sich der Blick aber schnell auch über Russland hinaus, weil Minderheitenrechte ebenso wie Gleichberechtigung weltweit unter Beschuss stehen.

So sehr ich mich mit Blick auf Repräsentation darüber freue, heute viele und vielfältige Geschichten lesen zu können, so sehr ist aber leider die Erkenntnis auch, wie fragil Minderheitenrechte weltweit letztlich sind. Und ich glaube schon, dass sich eine Gesellschaft sehr gut danach beurteilen lässt, wie sie mit Minderheiten und ihren schwächsten Mitgliedern umgeht.

Der Verlag schreibt, es sei ein unterhaltsames Debüt. Das wäre das Beste, was Rückwärtsentwicklungen entgegenzusetzen wäre. Wollja!

(Übersetzung: Maria Rajer)

„Mikita wird nach dem Tod seiner Mutter von ihrem Bruder adoptiert, er ist fünf Jahre alt. Mit Slawa und dessen Partner Lew genießt er eine fröhliche Kindheit. Aber mit der Einschulung beginnt das Versteckspiel, und Mikita schlagen Vorurteile entgegen. Erst die Freundschaft mit einem Jungen aus dem Waisenhaus beruhigt ihn. Und dann merkt Mikita, dass der sich zu Jungs hingezogen fühlt. Ausgerechnet! Er beschuldigt sich, zum Beweis für die Propaganda geworden zu sein, die behauptet, gleichgeschlechtliche Paare würden homosexuelle Kinder großziehen. All seine Versuche, sich in Mädchen zu verlieben, scheitern. Es wird noch dauern, bis Mikita Frieden mit sich selbst und seiner Sexualität findet. Die Lüge ist ein ausgesprochen unterhaltsames Debüt, schnörkellos und am Puls der Zeit.“ (Verlagstext)

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Freitag, 25. August 2023

Damien Cuvillier/ Bertrand Galic/ Kris: Nacht über Brest. September 1937. Der spanische Bürgerkrieg landet in der Bretagne


„Sonntag, 29. August 1937

Im Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 setzt die spanische Republik ihre U-Boot-Flotte ein, um Waffenlieferungen aus Italien und Deutschland über das Meer zu verhindern.

Nach einem Gebrechen taucht das U-Boot C-2 am 29. August 1937 völlig unerwartet aus den stürmischen Gewässern des Atlantiks im Hafen von Brest in der französischen Bretagne auf. Dringende Reparaturen sind nötig, doch die völkerrechtliche Situation ist völlig unklar.

Franco entsendet ein Rollkommando, um die Kontrolle über das Boot zu erlangen. Dabei wird es von den örtlichen Rechtsextremisten unterstützt. Sie haben die Rechnung allerdings ohne die Kräfte der Matrosen und Hafenarbeiter gemacht, denn diese verteidigen das spanische U-Boot samt seiner Besatzung unter der Losung ‚No Pasaran‘ auf Leben und Tod.“ (Umschlagtext)

Ja, ich liebe immer noch Geburtstage und Geschenke, auch wenn die Feier mal nur nachträglich möglich ist. Lustigerweise heißt es immer wieder, dass es sehr riskant wäre, mir Bücher zu schenken, weil es gut sein könne, dass ich das Geschenk schon habe. Papperlapapp, sag ich da. Ich habe nur einen Bruchteil der Bücher, die ich gern hätte, schon zuhause. 😉

Eine Sache, die mit Comics offenbar echt gut geht, ist das Erzählen historischer Momente in Form einer Story. Ich bin gespannt auf diese Story, deren zugrunde liegender historischer Moment mir bisher unbekannt war. Und wie aktuell das klingt: Demokraten verteidigen die Republik und ihre Werte gegen die Gewalt von Rechts. Beide Seiten agieren dabei international vernetzt. Was es braucht, ist Solidarität, die sich keine Grenzen setzt.

(Übersetzung: Mathias Althaler)

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Mittwoch, 23. August 2023

Lilian Thuram: Das Weisse Denken


„Der frühere französische Fußballstar Lilian Thuram, seit langem in der antirassistischen Bildungsarbeit aktiv, beschreibt, wie die europäischen Gesellschaften die Kategorien Schwarz und Weiß erfunden haben, um Kolonialismus, Versklavung und Ausbeutung zu rechtfertigen. Bis heute zementiert das Weiße Denken Herrschaftsverhältnisse und Ungleichheit in der ganzen Welt.
Mit Bezug auf postkoloniale Diskurse, von Frantz Fanon über Toni Morrison bis Achille Mbembe, hinterfragt Thuram diese eingeschliffenen Denkmuster und plädiert für neue Solidaritäten – damit wir einander endlich wieder als Menschen begegnen.“ (Umschlagtext)

Es ist gut und richtig, dass es inzwischen so viele Texte darüber gibt, wie Rassismus funktioniert, konstruiert wurde, wie er sich im Alltag auf Menschen auswirkt etc. Es ist auch gut, dass dies nicht mehr nur Themen von kleinen, linken Verlagen sind. Ich finde, dass gerade sie dafür viel Aufmerksamkeit verdienen.

All denen, die behaupten, wir hätten gerade Wichtigeres zu tun, als uns auch noch mit Rassismus zu beschäftigen, kann man nur laut und deutlich widersprechen. Angesichts von Rechtspopulismus und gesellschaftlichen Polarisierungen wäre es fahrlässig, den Antidemokraten auch nur einen Fußbreit preiszugeben. Das Schleifen gesellschaftlicher Errungenschaften und auch von Diskursfähigkeit schwächt demokratische Gesellschaften in ihren Grundfesten. Also gut, dass es solche Bücher und Debatten gibt!

(Übersetzung: Cornelia Wend)

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Sonntag, 20. August 2023

Téa Obreht: Herzland

„Arizona, um 1890. Für Nora Lark bricht ein neuer Morgen eines viel zu heißen Sommers an. Ihre Farm ist bedroht von Dürre und mächtigen Viehzüchtern, neuerdings aber auch von einem Monster, so glaubt zumindest ihr kleiner Sohn Toby. Seit Tagen ist auch Noras Mann verschwunden, nachts sind die beiden älteren Söhne im Streit davongeritten. Doch es stehen noch weitere Prüfungen bevor, die über das Schicksal ihrer Familie entscheiden werden. Das liegt auch an Lurie, der vom kleinen Ganoven zum verfolgten Outlaw wurde und schließlich in einem Trupp der U.S. Army untergetaucht ist.

Téa Obreht erzählt in ihrer bildhaft leuchtenden Sprache den amerikanischen Gründungsmythos neu. ‚Herzland‘ zeigt die Siedlerzeit mit all ihrer Härte und zugleich einen schillernden, unbekannten Wilden Westen – in dem die Konflikte der heuten USA schon aufscheinen.“ (Umschlagtext)

Wilder Westen, raue Menschen in einem rauen Land – so recht fallen mir keine Geschichten dazu ein, in denen Frauen im Mittelpunkt stehen, oder die von Frauen geschrieben wurden. Aber dass diese Welt mich erzählerisch immer wieder anspricht, kann ich nicht leugnen. Früher war es mal Karl May, später dann Geschichten wie die von Cormac McCarthy oder Sebastian Barry. Also auf nach Arizona! 😉

(Übersetzung: Bernhard Robben)

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Dienstag, 15. August 2023

Oliver Marchart: Die politische Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben


„Politisches Denken muss sich als Denken des Politischen neu erfinden.“ (Umschlagtext)

Reine politikwissenschaftliche Theorie ist ja nicht so meins – es sei denn, sie verbindet sich für mich, für mein Verständnis mit ganz konkreten Fragen, die mich beschäftigen. Eine davon könnte derzeit so klingen: Warum hören sich politische Erklärungen in Zeitungen, Talk Shows etc. wie BWL-Lektionen an? Warum wirkt so vieles so kurzfristig, also eben nicht strategisch gedacht? Oder anders formuliert: Warum klingen Behauptungen von Politik irgendwie so oft so unpolitisch?

Die einfachste Antwort wäre natürlich, weil mir die Erklärungen zumeist nicht gefallen. Das wäre jetzt aber doch etwas unterkomplex gestrickt. 😊

Warum also nicht mal ein bisschen Wissenschaft. So gern ich diese Suhrkampreihe mag, muss ich ja zugeben, dass mir die Schriftgröße und der Satzspiegel am Limit den Spaß echt etwas vergellen. Umso mehr, wenn der Text fordernd zu werden verspricht. Also darf ich gespannt sein. 😊

„Kaum ein Begriff wird derzeit heftiger diskutiert als der des Politischen, der im starken Kontrast zu dem steht, was gemeinhin unter ‚Politik‘ verstanden wird. Oliver Marchart legt nun den ersten systematischen Vergleich der Denker des Politischen vor. Er unterzieht die Schriften von Jean-Luc Nancy, Claude Lefort, Alain Badiou, Ernesto Laclau und Giorgio Agamben einer kritischen Analyse, verortet sie in den breiteren Strömungen eines Linksheideggerianismus und bezieht sie auf den systematischen Horizont eines Denkens ohne Letztbegründungen. In diesem Horizont zeigen sich die philosophischen, politischen und ethischen Implikationen eines Denkens der politischen Differenz: die heutige Rolle politischer Ontologie, die Möglichkeiten einer ‚minimalen Politik‘ und eine demokratische Ethik der Selbstentfremdung.“ (Verlagstext)

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Sonntag, 13. August 2023

André Aciman: Call me by your name. Ruf mich bei deinem Namen


(Übersetzung: Renate Orth-Guttmann)

„‘Später!‘ Das Wort, die Stimme, die Attitüde.“ (Seite 9)

Über die wundersame Anziehung, die Geschichten von jungen Menschen, Kinder oder Jugendliche, auf uns auszuüben scheinen, habe ich an dieser Stelle ja schon das eine oder andere Mal nachgedacht. Und ich kann mich dem ja auch nicht wirklich entziehen. Also, hier hätten wir die Verwirrungen rund um eine erste Liebe, Hormone und Sex und die Lektionen, die uns Enttäuschungen lehren. Da es sich hier um eine queere, bzw. schwule Liebesbeziehung handelt, geht es auch um Repräsentation. Voilá!

Die überaus erfolgreiche Verfilmung des Stoffes von 2017 dürfte auch dem Roman eine zusätzliche Aufmerksamkeit beschert haben, die er vermutlich zuvor nicht erfahren hatte. Auch ich wurde erst durch den Film auf das Buch aufmerksam. Wie so oft mochte ich den Film erst nach dem großen Hype darum sehen. Der Roman musste dann noch einmal eine ganze Weile warten, bis ich befand, das sei jetzt eine gute Sommerlektüre. Und einmal mehr mag ich den Lobeshymnen auf beides gar nichts absprechen.

Die Geschichte von Elio führt uns ins sommerlich träge Italien der 80er-Jahre. Wie jeden Sommer residiert der 17-Jährige mit seinen Eltern in einer alten, großen Villa am Meer. Elio wächst in einem akademischen Elternhaus auf, spielt Gitarre und Klavier, transkribiert Musik nach Gehör und hat philosophische, sprachwissenschaftliche, literarische Themen schon mit der Muttermilch aufgesogen. Jeden Sommer verbringt ein Doktorand einige Wochen als Gast in der Familie, um dem Vater bei Korrespondenzen etc. zur Hand zu gehen und um an den eigenen Forschungen weiterzuarbeiten. Für Elio ist das eine mitunter willkommene Abwechslung.

Oliver, ein junger Dozent aus den USA, ist mehr als willkommen. Der junge Elio entwickelt eine von Beginn an schon fast obsessive Faszination auf den Gast. Das Gefühlschaos verschlingt die Wochen, die der Besuch andauert, und wird ihn für sein weiteres Leben prägen.

Erinnert ihr euch noch an das erste Mal, das ihr diese unbenennbare Anziehung zu jemandem gespürt habt. Jedes Wort dieser Person verursachte ein Kribbbeln, die Stimme hätten wir unter tausenden sofort herausgehört, ein Blick konnte uns versteinern oder dahinschmelzen lassen. Niemals zuvor konnte eine Armbeuge, ein Halsansatz, die Hände – alles an dieser Person eben – so sehr den Blick fesseln, dass allein schon die Vorstellung einer Berührung alles knistern ließ. Das in etwa ist der Zustand, in dem Elio sich befindet. Ausnahmezustand. Alles ist auf Oliver ausgerichtet.

Ist der junge Amerikaner da, wiegt jede Geste, jedes Wort, jeder Blick tonnenschwer. Elio fühlt sich ungenügend, unbeachtet und ein Seitenblick reicht aus, um ihn alle Sonnenstrahlen dieser Welt zu bündeln und reine Seligkeit durch seine Adern zu pumpen.

Die Geschichte wäre aber nur halbherzig erzählt, wenn der ältere Elio, der die Geschichte erzählt, nicht auch von dem Hormonchaos berichten würde, in das das jüngere Ich stürzte. Der junge Mann will Oliver intellektuell beeindrucken, in seine Schranken weisen und fantasiert sich gleichzeitig in seine Arme, in sein Bett und kann gar nicht aufhören, sich alle möglichen Formen der Hingabe auszumalen. Allein Oliver bleibt die meiste Zeit über ein Mysterium, das Elio einfach nicht entschlüsseln kann.

Die Story wäre natürlich nur halb so fesselnd, wenn Elio bekäme, was er ersehnt, und dann würde dieser Zustand den Rest seines Lebens anhalten. Er muss sich folgerichtig dem stellen, was andere, seine Familie, Freunde oder Fremde wohl denken mögen. Und Elio muss zur Kenntnis nehmen und aushalten, dass Oliver noch ein anderes Leben führt. Eines, an dem er keinen Anteil hat.

Der Film endet hier, mit Elio, der vor dem Kamin kniet, durch die Kamera hindurchschaut, während seine Tränen von den Wangen in die Glut tropfen. Ein wehmütig wissendes Lächeln drängt sich in seine Miene.

Der Roman erzählt weit darüber hinaus. Zum Glück, auch wenn ich den Film vollkommen rund erzählt finde. Um denjenigen, die das Buch noch vor sich haben, nicht den Spaß zu rauben, spare ich mir hier den Spoiler.

André Aciman schreibt wirklich gut. Gleich zu Beginn empfand ich bei seiner Sprache eine ähnliche Irritation wie bei den ersten Bildern des Filmes. Es wirkte auf mich allzu ältlich. Spannenderweise wurde dieser Effekt sowohl beim Text als auch bei den Bildern des Filmes von Sequenz zu Sequenz, von Szene zu Szene plausibler.

Auch die sich auftuende Innenwelt von Elio erschien mir im ersten Moment allzu dramatisch, pathetisch, launenhaft. Aber auch hier gelang es Aciman, diese unheimlich intensive Phase im Leben eines jungen Menschen bestens in Worte und Szenen zu fassen. Genauso schwülstig, feucht verträumt und vieles mehr fühlte es sich doch schließlich früher einmal an. Also in meinem Früher. Ihr könnt jetzt still nicken, lächeln oder euch euren Teil denken. 😊

Und ja, zum Stichwort Repräsentation, natürlich hätte auch ich so etwas gern sehr viel früher in meinem Leben lesen wollen. Gegen das Gefühl, mit all diesem Chaos in Hirn, Bauch und Herz allein zu sein.

Kurz und gut: Noch einmal einen Sommer mit Elio und Oliver verbringen! Einfach lesen!

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Donnerstag, 10. August 2023

Mathias Wörsching: Faschismustheorien. Überblick und Einführung (Reihe theorie.org)


„Faschismus – kaum ein Begriff steht so für Unfreiheit und Massenmord, kaum ein Wort wird quer durch die politischen Lager so inflationär als Kampfbegriff benutzt. In den Diskussionen von heute und damals sucht das Buch nach Anregungen für eine Gegenwart, in der die Gefahr von Rechtsaußen nicht nur in Europa wieder zunimmt. Dieses Einführungsbuch stellt die relevantesten Faschismustheorien überblicksartig vor. Es fragt nach den Stärken und Schwächen der einzelnen Ansätze und nach dem Kontext ihrer Entstehung. Viel Raum bekommen die neuen Faschismustheorien der letzten Jahrzehnte, die in Deutschland noch immer nicht sehr breit diskutiert werden. Ebenso geht es um teils heiß umstrittene historische und aktuelle Themen wie das Verhältnis von Nationalsozialismus und Faschismus, die heutige extreme Rechte und religiös-fundamentalistische Bewegungen.“ (Umschlagtext)

Haste den schon gesehen? Der Spitzenkandidat der AfD für die Europawahlen gibt Datingtipps. Ein lustiger Nazi. *hihihi*

So oder so ähnlich läuft das wohl gerade, und schon wurde wieder einmal ein Meme geboren. Das stellt zwar eigentlich diesen rechtsextremistischen Haufen bloß, wofür es aber offenbar dennoch ein Umfragehoch nach dem nächsten gibt. Was läuft da falsch?

Vieles – mag da die Antwort sein. Und mir fiele auch etliches ein. Fürs Erste halte ich Begriffsklarheit und das Bemühen um eine Analyse für wichtig. Das erscheint in Zeiten alternativer Fakten schon fast etwas aus der Zeit gefallen. Ich möchte aber dennoch gern daran festhalten.

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Sonntag, 6. August 2023

Reinhard Kleist: Nick Cave. Mercy on me


„Es war Montag, als ich alles hinter mir liess.“ (Seite 7)

Jaja, ich weiß, Nick Cave und seine Musik cool zu finden gilt schon auch selbst als cool. Also vielleicht nicht in der Eckkneipe. Ihr wisst schon, was ich meine. Ich muss aber zugeben, dass ich, bis auf bei einzelnen Liedern, eher nicht so recht Zugang zu Caves Musik finden konnte. Dieser Comicband von Reinhard Kleist war also ein willkommener Anlass, mich beim Lesen dieses herrlich dicken Schickens mal einzuhören.

Eingefleischte Fans von Kleist und Cave wissen natürlich, dass dieser 2017 erschienene Band keine klassische Biografie ist. Dank des Cave-Zitats auf dem Backcover war ich vorgewarnt und hab sicherheitshalber vorher mal ein paar biografische Daten im Netz nachgeschaut, nur so zur Einordnung.

Ansonsten kann ich zum Genuss dieser grandios verworrenen und verwirrenden Story in nicht weniger grandios beeindruckenden Bildern nur empfehlen, Nick Cave Songs in Dauerschleife aufzulegen und in dem Moment mit Schmökern loszulegen, da der Sound, der Text, Caves Stimme das Herz zu berühren beginnen.

Comics zu Songs oder auch als visuelle Übersetzung sind ja zum Glück keine bloße Randerscheinung mehr. Das Filmische, das Comics ja immer als ihnen innewohnende Wurzel nachgesagt wird, erleichtert vermutlich die Kombination aus Reizen, die das Hirn über die Ohren erreichen, Zeichnungen, die den Sehnerv stimulieren und in dem Bereich des Gehirns zusammenfinden, der dem Herzen am nächsten sitzt.

Ihr merkt schon, ich drücke mich davor auch nur den Versuch zu wagen, die Story des Comics zusammenzufassen. Letztlich braucht es das aber vermutlich auch gar nicht, weil Musik und Bilder hier so aufeinander einwirken, dass auch ich als großer Freund klassischen Erzählens einfach eintauchen und mich der Stimmung hingeben konnte.

Fun Fact am Rande, wie es neudeutsch so gern heißt: Der MM hatte doch tatsächlich in einem Gewinnspiel zum Erscheinen des Bandes eine signierte Ausgabe gewonnen. Mit Autogrammen vom Zeichner und vom Musiker. Himmel, war ich was neidisch. 😊

Was mich zum letzten Punkt führt und was, so glaube ich zumindest, diesem Comicstoff einen zusätzlichen Zauber verliehen hat. Wenn ich mich recht entsinne, ging der Veröffentlichung eine Zusammenarbeit von Kleist und Cave wenigstens dergestalt voraus, dass Kleist in Gesprächen mit Cave recherchieren und seine Idee zum Comic formen konnte. Sollte ich das falsch in Erinnerung haben, dann fände ich die Vorstellung dennoch schön. 😊

Kurz und gut: Kleist Fans müssen. Cave Fans auch. Alle dazwischen und darüber hinaus sollten aber auch – lesen! 😉

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Freitag, 4. August 2023

Mosaik #571 und #572


Yeah, heute gibt’s mal wieder einen Doppelpack Abenteuer in Farbe.

😉

Das Juli-Heft war das 800. Also gab es eine Jubiläumsausgabe – nur für Abonnenten. Und ja, ich gebe
hier gerade an. 😊

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Mittwoch, 26. Juli 2023

Michael Seemann: Die Macht der Plattformen. Politik in Zeiten der Internetgiganten


„Facebook, Youtube, Airbnb, Netflix, Google, Tinder: Sie alle sind Online-Plattformen. Sie eint, dass sie digitale Infrastrukturen zum wechselseitigen Austausch bereitstellen, kurzum: Sie schaffen Verbindungen. Besitzerinnen von Ferienwohnungen verbinden sich mit Reisenden, Webvideoproduzenten mit Zuschauerinnen, Singles mit anderen Singles. Der Kulturwissenschaftler Michael Seemann liefert die theoretische Grundlage für das Phänomen der digitalen Plattformen, deren Gesellschaftsmodelle und Strategien sich grundlegend von denen konventioneller Unternehmen unterscheiden. Seemann widmet sich der Geschichte des Aufstiegs wichtiger Internetgiganten, skizziert ihren Kampf um Einfluss, charakterisiert ihre Macht und beleuchtet aktuelle Souveränitätskonflikte mit dem Staat. So stünden wir heute beispielsweise vor der paradoxen Situation, dass wir von Plattformen verlangen, mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, etwa beim Thema Hate Speech, während wir gleichzeitig ihre zunehmende Macht beklagen.“ (Umschlagtext)

So hilflos, wie wir seit geraumer Zeit die offenbar unbeherrschbaren Effekte von Plattformen auf unser Konsumverhalten, unsere Diskurse, unsere Kommunikations- und Beziehungsgeflechte zur Kenntnis nehmen, so sehr festigt sich die Einschätzung, dass wir dem, was wir als Menschheit hier in die Welt gesetzt haben, noch lange nicht wirklich gewachsen sind. Tja, da müssen wir wohl sehr schnell noch allerhand lernen – und das Gelernte vielleicht mal nicht nur für höhere Börsenkurse einsetzen.

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Sonntag, 23. Juli 2023

T.C. Boyle: Die Terranauten


(Übersetzung: Dirk van Gunsteren)

„Man hatte uns von Haustieren abgeraten, desgleichen von Ehemännern oder festen Freunden, und dasselbe galt natürlich für die Männer, von denen, soviel man wusste, keiner verheiratet war.“ (Seite 13)

In den frühen 90ern fand in Arizona, USA, das Biosphere2-Experiment statt. Ein Milliardär finanzierte eine Glaskuppel über ca. 1,6 Hektar, unter der ein sich selbst erhaltendes, ökologisches System entstehen und über jeweils zwei Jahre von einer menschlichen Crew bewohnt und betrieben werden sollte. Die erste Mission dauerte tatsächlich zwei Jahre. Allerdings wurde der Anspruch eines geschlossenen Systems durchbrochen, weil es wegen einer medizinischen Behandlung eines Crewmitglieds kurzzeitig zu einer Öffnung und einem Materialaustausch kam. Der zweite Einsatz dauerte dann nur sechs Monate. Warum er offenbar abgebrochen wurde, darüber konnte ich nichts finden.

T.C. Boyle nahm diese für sich schon fantastische Geschichte, um daraus einen Science-Fiction-Stoff zu weben, der auf der Erde der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts angesiedelt ist. Er erzählt die Geschichte der zweiten Mission, die in seiner Version aber tatsächlich die gesamten zwei Jahre andauert.

Die Prämisse des Romans ist die Vorgeschichte der ersten Mission in Biosphere2, auch mit ihrem Scheitern an der kurzzeitigen Kontamination. Daraus folgt hier der unbedingte Wille der Nachfolgecrew, die gesamten zwei Jahr durchzustehen. Welche Fokussierung und eigentlich Zurichtung der Terranauten und welches ideologische System drumherum dafür notwendig sind, das breitet Boyle vor uns aus.

Die Zeit vor dem Einschluss, das erste und das zweite Jahr sowie den Wiedereintritt, wie es hier in schönster Astronautenart heißt, berichten drei Menschen: Dawn, Ramsey und Linda. Ihre Leben sind eng miteinander verwoben und aufeinander bezogen, auch während Dawn und Ramsey unter der Glaskuppel eingeschlossen sind, während Linda außerhalb damit hadert, nicht selbst dort zu leben, und stattdessen die Mission mit Überwachungsaufgaben unterstützt.

Wie viel Idealismus es braucht, um sich auf solch ein Unterfangen einzulassen, wie viel Überzeugung und Überwindung, das lässt sich gut an den Berichten vor und kurz nach dem Einschluss erahnen. Und, ganz erwartbar, bekommt dieser Idealismus im Fortschreiten des Experimentes erst feine und später immer klaffendere Risse. Dass dieses Großexperiment nicht nur ein biologisch-ökologisches sein kann, sondern eben auch ein menschliches sein muss, das erschließt sich sofort. Und so ist es neben technischen Fragen eben hauptsächlich der Faktor Mensch, der hier über Gelingen oder Scheitern bestimmt.

Bei allem Training, aller Routinen, die das Leben der Terranauten prägen und bestimmen, sind es in Boyles Version der Geschichte eben individuelles Verhalten, persönliche Bedürfnisse und die Dynamik innerhalb eine abgeschlossenen, auf sich selbst bezogenen Kleingruppe, die hier alles am Laufen – oder eben auch nicht.

Boyle ist auch mit den drei Erzählstimmen, die hier abwechselnd berichten, ein grandioser Autor. Es braucht gar nicht die vollkommen unvorhersehbaren Ereignisse und Schocker, um es im sozialen Gefüge dieser Versuchsanordnung ordentlich krachen zu lassen. Es reichen die Abgeschlossenheit der Gruppe drinnen, sowie die eben doch vorhandenen sozialen Interaktionen mit denen draußen. Und spannenderweise ließ mich der Eindruck nicht los, dass die Crew, die die Mission von außen betreibt und am Laufen hält, nicht weniger hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen wirkt als die unter der Glaskuppel.

Kurz und gut: T.C. Boyle beobachtet und schreibt hervorragend. Lesen, unbedingt!

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Samstag, 22. Juli 2023

Dana Kaplan/ Eva Illouz: Was ist sexuelles Kapital?


„Die Sphäre der Sexualität ist kaum noch von der Sphäre der Produktion zu unterscheiden.“ (Umschlagtext)

Immer gibt es jemanden, der oder die behauptet, dies oder das Gesellschaftliche sei „naturgegeben“, um gleichzeitig von der Allmacht der menschlichen Spezies in der Welt zu fabulieren. Wir können froh sein, dass uns wissenschaftliches Arbeiten schon so viel an Wissen und Verständnis zugänglich gemacht hat. Das ist doch ein wunderbarer Ausgangspunkt, von dem aus wir darüber nachdenken können, wie die Welt besser werden kann. Ups, da ist mir ganz idealistisch der Konjunktiv abhandengekommen. 😊

„Nicht die Natur bestimmt unsere Vorstellungen von Sexualität, sondern die Gesellschaft. War es früher die Religion, die den Sex regulierte, so ist es heute die Ökonomie. Kein Wunder also, dass ‚sexuelles‘ oder ‚erotisches Kapital‘ in der Soziologie, den Gender Studies, der Sexualwissenschaft und sogar in der Alltagssprache zu einer gängigen Metapher geworden ist, um die Motive und Konsequenzen von Praktiken etwa zur Steigerung der sexuellen Attraktivität zu beschreiben.
In ihrem konzisen und mit zahlreichen Beispielen angereicherten Buch verteidigen Dana Kaplan und Eva Illouz den Begriff des sexuellen Kapitals als analytische Kategorie, machen ihn jedoch komplexer und befreien ihn von Gender-Klischees sowie von rationalistischen und identitätspolitischen Kurzschlüssen. Sie zeigen, das sexuelles Kapital verschiedene, historisch bedingte Formen annehmen kann, die zeitweise auch nebeneinander bestehen. Ihr Hauptaugenmerk gilt den Spezifika der neoliberalen Sexualität, die mit einer ganz eigenen Sorte von sexuellem Kapital einhergeht. Dieses zirkuliert längst nicht mehr nur im Bereich privater Intimbeziehungen, sondern in der gesamten Sphäre der kapitalistischen Reproduktion. Aus dieser Perspektive erscheint dann auch die Frage nach Klassen- und Geschlechterhierarchien in einem neuen Licht.“ (Klappentext)

(Übersetzung: Michael Adrian)

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Donnerstag, 20. Juli 2023

Deborah Feldman: Unorthodox. Eine autobiographische Erzählung


„Ich habe keine Vergangenheit, an die ich mich klammern könnte; die letzten dreiundzwanzig Jahre gehören jemand anderem, jemandem, den ich nicht mehr kenne.“ (Umschlagtext)

Deborah wächst in einer ultraorthodoxen, jüdischen Gemeinde in den Staaten auf. Strenge Sitten, Regeln, Verbote, Strafen. Als säkular aufgewachsenem Europäer fällt es mir schwer, auch nur zu erahnen, wie anders ein Weltbild, das moralische Koordinatensystem und das eigene Verständnis von Freiheit aussehen können, wenn man in eine so eng gefasste Gemeinschaft, oder auch Sekte, hineingeboren wird. Um so schwerer noch ist vorstellbar, was es an Kraft kosten muss, sich daraus zu lösen.

Bei der schönen und etwas teureren ersten deutschen Ausgabe, die bei #secession erschien, hatte ich noch etwas gezögert. Bei der späteren Taschenbuchausgabe habe ich dann zugegriffen. Wie so oft wartet auch dieser Band noch aufs Schmökern. In der Zwischenzeit habe ich allerdings schon die vierteilige, bedrückende Verfilmung bei Netflix gesehen. Jetzt kann ich mich immer noch auf den Text freuen.

„Am Tag seines Erscheinens führte ‚Unorthodox‘ schlagartig die Bestsellerliste der New York Times an und war sofort ausverkauft. Wenige Monate später durchbrach die Auflage die Millionengrenze.
In der chassidischen Satmar-Gemeinde in Williamsburg, New York, herrschen die strengsten Regeln einer ultraorthodoxen jüdischen Gruppe weltweit. Deborah Feldman führt uns bis an die Grenzen des Erträglichen, wenn sie von der strikten Unterwerfung unter die strengen Lebensgesetze erzählt, von Ausgrenzung, Armut, von der Unterdrückung der Frau, von ihrer Zwangsehe. Und von der alltäglichen Angst, bei Verbotenem entdeckt und bestraft zu werden. Sie erzählt, wie sie den beispiellosen Mut und die ungeheure Kraft zum Verlassen der Gemeinde findet – um ihrem Sohn ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Noch nie hat eine Autorin ihre Befreiung aus den Fesseln religiöser Extremisten so lebensnah, so ehrlich, so analytisch klug und dabei literarisch so anspruchsvoll erzählt.“ (Klappentext)

(Übersetzung: Christian Ruzicska)

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Dienstag, 18. Juli 2023

Philip Manow: (Ent-)Demokratisierung der Demokratie. Ein Essay


„Krisendiagnosen begleiten die Geschichte moderner Demokratien seit ihren Anfängen, häufen sich aber zunehmend. Woraus resultiert die wahrgenommene Bedrohung der Demokratie? Der Politikwissenschaftler Philip Manow sieht sie als Ausdruck einer paradoxen Gleichzeitigkeit von Demokratisierungs- und Entdemokratisierungstendenzen. So sei Demokratie einerseits als Legitimationsprinzip politischer Herrschaft inzwischen unabdingbar und habe sukzessive weitere Personengruppen in ihre Beteiligungsräume einbezogen. Zugleich aber seien durch neue Medientechnologien die Barrieren für die Teilnahme an der öffentlichen Willensbildung radikal gesenkt worden. Hierin sieht Manow entdemokratisierende Effekte: Wurde die politische Meinungsbildung im 20. Jahrhundert wesentlich durch professionelle Medien und Parteiapparate eingehegt und geformt, sei nun ein tiefgreifender Wandel zu beobachten, der es polarisierenden Stimmen einfacher mache, sich Gehör und Einfluss zu verschaffen. Dies berge die Gefahr, aus demokratischen Gegnern, die gemeinsame Spielregeln achten, unversöhnliche Feinde zu machen. Des Weiteren beschneide, so Manows Befund, die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf supranationale Institutionen zunehmend die Handlungsspielräume kollektiver Selbstbestimmung.“ (Umschlagtext)

Das große Versprechen von immer mehr politischer Teilhabe scheint direkt in die Selbstabschaffung der Demokratie durch ihre inneren Feinde zu führen. Anstelle von mehr sachlicher, informierter Debatte mit allen sind scheinbar nur die destruktiven Stimmen lauter und lauter geworden, die demokratische Spielregeln und Notwendigkeiten miesmachen und immer weiter aushöhlen.

Ja haben wir eigentlich gar nichts gelernt, mag man sich da fragen. Was passiert, wenn wir vergessen, dass all die gesellschaftlichen Fortschritte, die wir im Alltag erleben und als naturgegeben hinnehmen, dass jeder einzelne dieser Fortschritte bitter und hart erkämpft werden musste?

Es ist ja nicht so, dass wir das letztlich nicht alle wüssten: Demokratie muss fortlaufend gepflegt, hinterfragt und verteidigt werden. Ich bin immer wieder gespannt auf Bücher rund um dieses Thema, weil die Frage „Was tun?“ mit der Erkenntnis halt auch noch nicht beantwortet ist. Und vermutlich braucht es auch immer wieder mal neue oder zumindest verschiedene Antworten zu verschiedenen Zeiten.

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Montag, 17. Juli 2023

Zoë Beck: Das zerbrochene Fenster


„Auf einem verschneiten Anwesen in Schottland wird die Leiche einer Frau gefunden. Wenig später meldet sich bei der Polizei Philippa Murray, die behauptet, ihr Freund Sean habe die Tat begangen. Bei der Überprüfung des mutmaßlichen Täters kommt heraus, dass dieser gerade für tot erklärt wurde. Als die Polizei Philippa zu Hause aufsucht, ist die junge Frau spurlos verschwunden …“ (Umschlagtext)

Interessanterweise habe ich Zoë Beck zuerst als Verlegerin des von mir innig geliebten Indieverlags #culturbooks kennengelernt. Erst später fiel sie mir auch als Autorin auf. Nicht verwunderlich eigentlich, weil Thriller/Krimis eher selten auf meinem Lesestapel landen. Hier mache ich aber gern eine Ausnahme. 😉

Die ersten Thriller, die ich von der Autorin entdeckt habe, waren mit „Die Lieferantin“ und „Paradise City“ die aktuellen. Nun bin ich auf diesen Thriller von 2012 gespannt, der ursprünglich bei Bastei Lübbe erschien und nun von Suhrkamp neu aufgelegt wurde. Let´s go! 😉

„Schneechaos in Schottland. Auf einem einsam gelegenen Anwesen wird die Leiche einer Frau gefunden. Zunächst gerät der junge Cedric Darney, Stiefsohn der Toten und Herausgeber einer großen Tageszeitung, unter Verdacht. Doch wenig später meldet sich bei der Polizei in Edinburgh Philippa Murray, die behauptet, ihr Freund Sean habe die Tat in seinem Notizbuch angekündigt. Bei der Überprüfung des mutmaßlichen Täters kommt heraus, dass Sean Butler vor sieben Jahren verschwunden und inzwischen für tot erklärt worden ist. Als die Polizei Philippa zu Hause aufsucht, ist die junge Frau spurlos verschwunden.“ (Verlagstext)

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Mittwoch, 12. Juli 2023

Kai Strittmatter: Die Neuerfindung der Diktatur. Wie Chinas den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert


„Was bedeutet Chinas Griff nach der Macht für uns?

In China erfindet sich der autoritäre Staat neu, in offener Konkurrenz zum Westen. Unter Parteichef Xi Jinping marschiert China selbstbewusst in die Welt, gleichzeitig gewährt sich sein System ein Update mit den Instrumenten des 21. Jahrhunderts. Peking setzt auf Big Data und künstliche Intelligenz wie keine zweite Regierung. Die Partei glaubt, den perfektesten Überwachungsstaat schaffen zu können, den die Erde je gesehen hat. Kai Strittmatter beschreibt die Mechanismen der digitalen Diktatur, er zeigt, wie uns das herausfordert und wie die Coronavirus-Pandemie diese Entwicklungen wie im Brennglas hervortreten lässt.“ (Umschlagtext)

Strittmatter ist Journalist und gilt als ausgewiesener China-Kenner. Ich kann also eine gute Recherche erwarten, bin aber insgesamt gespannt, welches Bild von China gezeichnet wird. Im Kopf habe ich natürlich die im Westen üblichen Chinabilder. Viel mehr Ahnung habe ich im Grunde von dem Land und seiner Geschichte nicht, geschweige von der Mentalität, der Kultur, von dem, was diese Gesellschaft antreibt und ggf. zusammenhält. Also mal schauen, was dieses Buch an Perspektive und Einblicken zu bieten hat.

„Chinas wirtschaftliche Entwicklung ist eine Erfolgsstory: Aus einem Dritte-Welt-Land ist einer der dynamischsten Motoren der Weltwirtschaft geworden. Doch politisch erlebt China gerade eine Rückkehr zur Ein-Mann-Autokratie. Staatspräsident Xi Jinping vereint in sich eine Machtfülle wie vor ihm nur Mao. Nun baut er das Land grundlegend um. Nach innen entwickelt es sich zu einer perfekten Diktatur: Modernste Technologien sollen Chinas Wirtschaft in die Zukunft katapultieren und gleichzeitig in gigantischen Datenmengen möglichst jeden Schritt und jeden Gedanken von Bürgern und Besuchern erfassen, verknüpfen und auswerten. Das Ziel ist die totale Kontrolle der Partei über alle und alles. So entsteht ein neues China, das zur direkten Herausforderung der Demokratien des Westens wird. Denn nach außen tritt China immer selbstbewusster auf und treibt seinen Einfluss in der Welt voran. Kai Strittmatter, einer der besten China-Kenner Deutschlands zeigt in diesem Buch, was diese Entwicklungen für uns bedeuten.“ (Verlagstext)

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