(Übersetzung:
Renate Orth-Guttmann)„‘Später!‘
Das Wort, die Stimme, die Attitüde.“ (Seite 9)
Über die
wundersame Anziehung, die Geschichten von jungen Menschen, Kinder oder
Jugendliche, auf uns auszuüben scheinen, habe ich an dieser Stelle ja schon das
eine oder andere Mal nachgedacht. Und ich kann mich dem ja auch nicht wirklich
entziehen. Also, hier hätten wir die Verwirrungen rund um eine erste Liebe,
Hormone und Sex und die Lektionen, die uns Enttäuschungen lehren. Da es sich
hier um eine queere, bzw. schwule Liebesbeziehung handelt, geht es auch um
Repräsentation. Voilá!
Die überaus
erfolgreiche Verfilmung des Stoffes von 2017 dürfte auch dem Roman eine
zusätzliche Aufmerksamkeit beschert haben, die er vermutlich zuvor nicht
erfahren hatte. Auch ich wurde erst durch den Film auf das Buch aufmerksam. Wie
so oft mochte ich den Film erst nach dem großen Hype darum sehen. Der Roman
musste dann noch einmal eine ganze Weile warten, bis ich befand, das sei jetzt
eine gute Sommerlektüre. Und einmal mehr mag ich den Lobeshymnen auf beides gar
nichts absprechen.
Die
Geschichte von Elio führt uns ins sommerlich träge Italien der 80er-Jahre. Wie
jeden Sommer residiert der 17-Jährige mit seinen Eltern in einer alten, großen
Villa am Meer. Elio wächst in einem akademischen Elternhaus auf, spielt Gitarre
und Klavier, transkribiert Musik nach Gehör und hat philosophische, sprachwissenschaftliche,
literarische Themen schon mit der Muttermilch aufgesogen. Jeden Sommer
verbringt ein Doktorand einige Wochen als Gast in der Familie, um dem Vater bei
Korrespondenzen etc. zur Hand zu gehen und um an den eigenen Forschungen
weiterzuarbeiten. Für Elio ist das eine mitunter willkommene Abwechslung.
Oliver, ein
junger Dozent aus den USA, ist mehr als willkommen. Der junge Elio entwickelt
eine von Beginn an schon fast obsessive Faszination auf den Gast. Das
Gefühlschaos verschlingt die Wochen, die der Besuch andauert, und wird ihn für
sein weiteres Leben prägen.
Erinnert ihr
euch noch an das erste Mal, das ihr diese unbenennbare Anziehung zu jemandem
gespürt habt. Jedes Wort dieser Person verursachte ein Kribbbeln, die Stimme
hätten wir unter tausenden sofort herausgehört, ein Blick konnte uns
versteinern oder dahinschmelzen lassen. Niemals zuvor konnte eine Armbeuge, ein
Halsansatz, die Hände – alles an dieser Person eben – so sehr den Blick
fesseln, dass allein schon die Vorstellung einer Berührung alles knistern ließ.
Das in etwa ist der Zustand, in dem Elio sich befindet. Ausnahmezustand. Alles
ist auf Oliver ausgerichtet.
Ist der
junge Amerikaner da, wiegt jede Geste, jedes Wort, jeder Blick tonnenschwer.
Elio fühlt sich ungenügend, unbeachtet und ein Seitenblick reicht aus, um ihn
alle Sonnenstrahlen dieser Welt zu bündeln und reine Seligkeit durch seine
Adern zu pumpen.
Die
Geschichte wäre aber nur halbherzig erzählt, wenn der ältere Elio, der die
Geschichte erzählt, nicht auch von dem Hormonchaos berichten würde, in das das
jüngere Ich stürzte. Der junge Mann will Oliver intellektuell beeindrucken, in
seine Schranken weisen und fantasiert sich gleichzeitig in seine Arme, in sein
Bett und kann gar nicht aufhören, sich alle möglichen Formen der Hingabe
auszumalen. Allein Oliver bleibt die meiste Zeit über ein Mysterium, das Elio
einfach nicht entschlüsseln kann.
Die Story
wäre natürlich nur halb so fesselnd, wenn Elio bekäme, was er ersehnt, und dann
würde dieser Zustand den Rest seines Lebens anhalten. Er muss sich folgerichtig
dem stellen, was andere, seine Familie, Freunde oder Fremde wohl denken mögen.
Und Elio muss zur Kenntnis nehmen und aushalten, dass Oliver noch ein anderes
Leben führt. Eines, an dem er keinen Anteil hat.
Der Film
endet hier, mit Elio, der vor dem Kamin kniet, durch die Kamera hindurchschaut,
während seine Tränen von den Wangen in die Glut tropfen. Ein wehmütig wissendes
Lächeln drängt sich in seine Miene.
Der Roman
erzählt weit darüber hinaus. Zum Glück, auch wenn ich den Film vollkommen rund
erzählt finde. Um denjenigen, die das Buch noch vor sich haben, nicht den Spaß
zu rauben, spare ich mir hier den Spoiler.
André Aciman
schreibt wirklich gut. Gleich zu Beginn empfand ich bei seiner Sprache eine
ähnliche Irritation wie bei den ersten Bildern des Filmes. Es wirkte auf mich
allzu ältlich. Spannenderweise wurde dieser Effekt sowohl beim Text als auch
bei den Bildern des Filmes von Sequenz zu Sequenz, von Szene zu Szene
plausibler.
Auch die
sich auftuende Innenwelt von Elio erschien mir im ersten Moment allzu
dramatisch, pathetisch, launenhaft. Aber auch hier gelang es Aciman, diese
unheimlich intensive Phase im Leben eines jungen Menschen bestens in Worte und
Szenen zu fassen. Genauso schwülstig, feucht verträumt und vieles mehr fühlte
es sich doch schließlich früher einmal an. Also in meinem Früher. Ihr könnt
jetzt still nicken, lächeln oder euch euren Teil denken. 😊
Und ja, zum
Stichwort Repräsentation, natürlich hätte auch ich so etwas gern sehr viel früher
in meinem Leben lesen wollen. Gegen das Gefühl, mit all diesem Chaos in Hirn,
Bauch und Herz allein zu sein.
Kurz und
gut: Noch einmal einen Sommer mit Elio und Oliver verbringen! Einfach lesen!
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