Freitag, 31. Mai 2019

Viet Thanh Nguyen: Der Sympathisant



"Im April 1975 wird eine Gruppe südvietnamesischer Offiziere unter dramatischen Bedingungen aus Saigon in die USA geflogen. Darunter ein als Adjutant getarnter kommunistischer Spion. In Los Angeles soll er weiterhin ein Auge auf die politischen Gegner haben, ringt jedoch immer mehr mit seinem Doppelleben, den Absurditäten des Spionagewesens, der Konsumgesellschaft und seiner eigenen Identität [...]
Ein literarischer Polit-Thriller über den Vietnamkrieg und seine Folgen, eine meisterhafte Aufarbeitung über die Missverständnisse zwischen Kapitalismus und Kommunismus, ein schillerndes Werk über das Scheitern von Idealen, ein bravouröser Roman über die universelle Erfahrung von Verlust, Flucht und Vertreibung." (Verlagstext)

Wenn das nicht einen richtigen Schmöker verspricht ... 😱🤓😉 Das war aber tatsächlich ein ziemlicher Zufallsfund, was ja nicht ausschließt, dass der Roman gut und lesenswert ist. ^^

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Dienstag, 28. Mai 2019

José Saramago: Die Geschichte der Belagerung von Lissabon



"Der Korrektor Raimundo Silva hat den Auftrag ein Buch über die Historie Lissabons auf Fehler durchzusehen. Als er das Manuskript an einer entscheidenden Stelle eigenmächtig ändert, bekommt nicht nur das Buch eine ganz und gar neue Ausrichtung, sondern auch Silvas Leben. Portugals bedeutender Romancier erzählt vom Schreiben, vom Sieg der Phantasie über die Fakten und vom Beginn einer wunderbaren Liebe." (Umschlagtext)

Abgesehen davon, dass es ein Roman von Saramago ist, klingt das doch mehr als spannend, wenn man ohnehin seinen eigenen Lektor/Korrektor/Texter Zuhause hat. 🤷‍♂️🤓😉

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Donnerstag, 23. Mai 2019

Fabien Vehlmann/ Yoann: Die tollsten Abenteuer von Spirou. SPIROU+FANTASIO spezial #24



"Der neueste Band der Reihe Spirou Spezial versammelt als deutsche Erstveröffentlichung die Kurzgeschichten des regulären Spirou-Teams Vehlmann und Yoann." (Verlagstext)

Ey, flirtet Taira, unsere neue Mitbewohnerin, da etwa mit Spirou? 😱🤔🐕🤓♥️

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Sonntag, 19. Mai 2019

Philipp Winkler: Hool



„Ich wärme meinen neuen Zahnschutz in der Hand an. Wende ihn mit den Fingern und presse ihn etwas zusammen. So mache ich es vor jedem Kampf.“ (Seite 7)

Der Kampf, auf den sich die Hauptfigur vorbereitet, ist eine verabredete Schlägerei zwischen zwei Hoolgruppen irgendwo auf einer Wiese. Ein Haufen Kerle prügelt wild aufeinander ein, auch wenn es Regeln zu beachten gilt wie die, dass jemand, der wehrlos auf dem Boden liegt, in Ruhe gelassen wird.

Irgendwas hat das Ganze auch mit Fußball zu tun, zumindest aber mit den Mannschaften der Städte, aus denen auch die Hools stammen. Heikos Mannschaft ist aus Hannover. Hier ist er selbst aufgewachsen, bevor seine Eltern mit ihm und seiner Schwester in eine kleinere Stadt in der Umgebung Hannovers zogen. Von da führte, so würde Heiko es vielleicht selbst beschreiben, ihn sein Weg direkt auf diese und andere Wiesen, mitten rein ins Getümmel.

Heiko erzählt seine Geschichte selbst und immer wieder mit Rückblenden, die seine Entwicklung beschreiben. Der erste Besuch im Stadion mit seinem Vater. Die Mutter, die die Familie ohne Erklärung verlässt, als er noch zu klein ist, um zu verstehen. Der Job beim Bruder des Vaters im Gym, das gleichzeitig Dreh- und Angelpunkt der Hoolgruppe ist, in der Heiko selbst langsam aufsteigt …

In Heikos Vorstellung könnte alles einfach so seinen Gang gehen. Er wird nach und nach zum neuen Anführer der Hoolgruppe, hat ein schäbiges, aber immerhin ein Dach über dem Kopf und seine Freunde um sich. Doch weder in den Rückblenden noch im Hier und Jetzt läuft es gut. Und dann erklären ihm auch noch enge Freunde, dass sie aussteigen und bei den blutschwangeren Ausflügen der Hools nicht mehr dabei sein werden. Heikos Welt gerät ins Schwanken. Immer stärker spürt er, dass eigentlich seit seiner Kindheit nichts festgefügt und sicher war.

Gut lesbar ist Heikos Geschichte, umgehauen hat sie mich aber nicht. Das lag zum einen an der Erzählstimme. Philipp Winkler lässt Heiko als Erzähler fluchen, rumknödeln aber eben auch beschreiben. Dabei nervte mich die betont schnodderige Stimme Heikos schon ziemlich. Natürlich ist der Versuch, Heiko auch authentisch sprechen zu lassen, nur recht und billig. Ich hab auch keinen Vorschlag, wie das besser zu bewerkstelligen sei. Aber beim Lesen fand ich das maulfaule Formulieren von Sätzen und auch das Herumfluchen ziemlich nervig.

Die Charaktere bleiben für meinen Geschmack recht holzschnittartig. Schwere Kindheit, der Vater ein Säufer, fußballgestählte Männlichkeitsrituale, Drogenhandel im Gym – all das lässt sich hübsch in die Klischeekästchen im Hinterkopf einsortieren. Nur worin die Faszination besteht, sich gegenseitig die Fressen blutig zu schlagen, das bleibt für mich nebulös.

Auf dem Backcover wirbt der Verlag mit einem Ausriss aus einer Rezension in der FAS. Hier würde von der deutschen Wirklichkeit erzählt. Und natürlich gibt es so viele Wirklichkeiten in einem so großen Land wie Deutschland, dass es schwer ist, sich das am heimeligen Schreibtisch vorzustellen. Ich suche noch vergeblich nach dem, was es genau ist, was mich Figuren und Tonfall eben nicht als authentisch empfinden lässt. Vielleicht ist alles eine Spur zu bemüht, und ich spreche jetzt nur von der literarischen Umsetzung, um mich wirklich „deutsche Wirklichkeit“ erkennen lassen zu können.

Vielleicht sind aber auch Beschreibung und Ankündigung des Romans selbst ein Missverständnis. Die Wut, der Hass, das Gewalttätige jedenfalls bleibt unergründet und nur notdürftig erklärt stehen. Das ist mir für einen Roman aber eigentlich zu wenig.

Kurz und gut: Kann man lesen, muss man aber nicht. Und ich hätte gern was Netteres über den Roman gesagt.

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Freitag, 17. Mai 2019

Moga Mobo #114: Das ewige Fleisch. Töten Leben Glauben



"Eines Tages beschloss der Affe vom Baum zu steigen, andere Organismen zu erschlagen und die genießbaren Teile zu fressen.
Fleisch. Genügend Nährstoffe, um den Mensch vom Tier zu trennen. So gestärkt schwang sich der Homo sapiens zum Herrscher über die Erde auf. Sein Hunger nach Fleisch ist bis heute ungebrochen.
Ob man dem Thema mit einer gewissen Wurstigkeit begegnet oder Fleischgenuss unter aller Sau findet, Fleisch geht uns alle an." (aus dem Vorwort, Seite 3)

Indiecomic goes Fleischmuseum, jedenfalls was die Ausstellung zum Heft angeht. Witzig, finde ich und bin gespannt, was die Moga Mobos an Geschichten rund um Fleisch zu erzählen haben. 

Das Vorwort, das ich hier nur im Auszug zitiere, verspricht schon mal eine lohnenswerte Lektüre.

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Montag, 13. Mai 2019

Clemens Meyer: Im Stein



"Prostituierte, Engel und Geschäftsmänner kämpfen um Geld und Macht und ihre Träume. Schonungslos und zärtlich schreibt Clemens Meyer von den Menschen, den Nachtgestalten, von ihrem Aufstieg und Fall, vom Schmutz der Straße und dem Fluss des Geldes. Ein vielstimmiger Gesang der Nacht. Mit großer Kraft und Emotion erzählt er die Geschichte einer Stadt, die zum Epochen-Roman unserer Zeit wird." (Umschlagtext)

Ok ok, der Verlag war 2013 offensichtlich sehr überzeugt von dem Roman. Mal schauen, ob ich mich dem werde anschließen können. ^^

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Mittwoch, 8. Mai 2019

Robert Seethaler: Jetzt wirds ernst



"Mit ungestümer Zärtlichkeit und entwaffnendem Humor schildert Robert Seethaler den Werdegang eines Jungen aus der Provinz, der auf Umwegen seinen Traum verwirklicht. Ein liebevoller Roman über Freundschaft, Mädchen, Sex, Geburt, Tod, das Theater, schlechte Frisuren und pinkfarbene Chevrolets." (Umschlagtext)

Mit Seethaler kann ich gar nichts falsch machen. Da bin ich absolut sicher! Oder sieht das etwa jemand anders? 🙈😉

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Dienstag, 7. Mai 2019

Naomi Alderman: Die Gabe



„Liebe Naomi,
das verdammte Buch ist fertig. Ich schicke es dir, inklusive aller Fragmente und Zeichnungen, in der Hoffnung, Rat von dir zu erhalten oder zumindest endlich das Echo zu hören, wenn ich diesen Stein von Buch in den Brunnen werfe.“ (Seite XI)

Dem MM fiel einmal auf, dass der größere Teil der Bücher, die ich so lese, offenbar von Männern geschrieben wurden. In den letzten Wochen habe ich das bewusst durchbrochen und Bücher von und über Frauen gelesen. Erst ließ ich mich bereitwillig vom #ferrantefieber anstecken, dann folgten die Schocktherapie mit Anke Stelling und ein futuristischer Ausflug mit Naomi Alderman.

So sehr ich die Entdeckungen genossen habe, hätte vielleicht jemand einen Vorschlag für etwas Tröstliches und trotzdem Emanzipatorisches? Irgendwas, wo es ein Happy End gibt? 😉

In ferner, ich glaube wirklich sehr ferner Zukunft, schreibt ein Neil Adam Armon einen historischen Roman mit dem Titel „Die Gabe“. Ein Briefwechsel zwischen ihm und einer guten Freundin Naomi rahmt diesen Roman und liefert, dass darf ich verraten, einen letzten Kick am Ende des Buches.

Der Kniff ist sicher nicht neu, aber in der überaus gut lesbaren Erzählung von Alderman funktioniert das wunderbar. Und ehe man sich versieht, ist man auch schon mittendrin, in einer Story, die gut hier und heute spielen könnte.

Mit einem Schlag entdecken junge Frauen eine Gabe in sicher. Mit einer einfachen Berührung können sie anderen Menschen Schmerzen zufügen oder sie gar töten. Die Gabe taucht zwar scheinbar plötzlich auf, Alderman lässt uns aber anhand von einigen wiederkehrenden Figuren erleben, wie einzelne Frauen diese neue Kraft entdecken, ausprobieren, daran leiden, scheitern oder sie zu nutzen lernen. Das alles passiert nicht von jetzt auf gleich, woraus die Autorin einen dichten Teppich an unterschiedlichsten Geschichten webt.

Eine Waise, die genügend Leid am eigenen Leib ertragen musste, reißt aus der Pflegefamilie aus und wird zur spirituellen Führerin einer neuen Bewegung von Frauen. Die Tochter aus einer Verbrecherfamilie in London schwingt sich auf, die männliche Dynastie in ihrer Familie zu brechen und scheint mit ihren enormen Kräften unbesiegbar geworden zu sein. Eine Politikerin in den Staaten nutzt die Entwicklung, um sich Stück für Stück die Kariereleiter heraufzuarbeiten und sich dabei ihre eigene Machtbasis auch mittels der neuen Stärke der Frauen auszubauen.

All das wird von einem jungen Journalisten aus dem Niger dokumentiert, der die einzige männliche Hauptrolle in dem Roman spielt. Er ist zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Ihm gelingt es, so über die das eruptive Auftreten dieses neuen Phänomens zu berichten, dass nicht nur die Frauen, das neue starke Geschlecht, ihm vertrauen, sondern auch der sich formierende männliche Widerstand.

Da das Phänomen global auftritt, kann Alderman verschiedene Geschichten darüber erzählen, wie Frauen mit einer solchen Macht umgehen könnten, was das für Gesellschaften bedeuten könnte.

Die ehemalige Waise wird zur Hohepriesterin einer Glaubenslehre, in der Gott sich als Frau zeigt. Sie liefert einer alten Gewissheiten entleerten Welt eine Erklärung, und viele brauchen und suchen genau das. Vor allem, da die Wissenschaft dem Phänomen ratlos gegenübersteht.

In der Gangsterwelt Londons werden immer noch Gangstersachen gemacht. Frauen setzen ihre Stärke ein, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Männer werden zu Handlangern, den Frauen hoffnungslos unterlegen.

Die Politikerin steigt zur Senatorin auf und hegt das Phänomen ein, indem sie Lager schafft, in denen Frauen und Mädchen ihre Kräfte zielgerichtet einzusetzen lernen. Der militärische Drill dabei dient der Disziplinierung und schafft der Politikerin eine eigene Armee zur Untermauerung und Durchsetzung ihrer Interessen.

Im fernen Moldawien kommt der bisherige Diktator ums Leben. Seine Frau übernimmt das Zepter und errichtet einen ersten Staat der Frauen, in dem Männer in die Rolle gedrängt werden, die Frauen jahrhundertelang innehatten. In diesem entlegenen Winkel der Welt entbrennt ein Kampf zwischen der männerdominierten Vergangenheit und einer frauendominierten Zukunft, der von beiden Seiten erbittert, brutal und erbarmungslos geführt wird.

Der Journalist als Berichterstatter ermöglicht die Perspektive eines Mannes auf das Geschehen, ohne sich der einen oder anderen Seite zuschlagen zu müssen. Gleichwohl erlebt er sowohl das freundliche Gesicht der starken Frauen wie auch rücksichtslose Gewalt. Mit ihm erleben die Leser*innen den ganzen Zwiespalt eines eigentlich gutherzigen Mannes, der qua Geschlecht privilegiert aufwuchs, trotzdem nichts patriarchales an sich hat, sich aber eben auch erst im Verlauf der Geschichte bewusst wird, wie sehr auch er Teil einer so lange gewachsenen gesellschaftlichen Realität war und ist. In ihm und mit ihm erzählt Alderman von altbekannter Erniedrigung und Demütigung, die nun Männer im fernen Moldawien erfahren.

Der historische Roman von Neil Adam Armon endet, ohne dass das Ende der Entwicklung vorweggenommen wird. Erst im abschließenden Briefwechsel in ferner ferner Zukunft wird das historische Ausmaß der Umwälzungen deutlich.

„Die Gabe“ ist spannend und packend erzählt, fast schnörkellos und unterscheidet sich damit deutlich sowohl vom sonnigen Neapel ebenso wie vom rau-desillusionierten Tonfall Anke Stellings. Ich tippe auf eine baldige Verfilmung und wäre da sehr gespannt drauf.

Achja, einen Fehler des Verlags muss ich dann doch noch festhalten. Im Klappentext wird aus dem Journalisten, den ich im Roman als eindeutig männlich kennenlernte, mal eben eine „junge Nigerianerin“. Das ist ein bisschen peinlich. Beim Thema des Buches aber auch fast schon wieder witzig oder gewitzt. ^^

Kurz und gut: Packend, aufrüttelnd, emanzipatorisch und auch noch unterhaltend. Naomi Alderman ist definitiv eine Leseempfehlung!

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Montag, 6. Mai 2019

Frank Pé & Zidrou: Das Licht von Borneo. SPIROU + FANTASIO SPEZIAL #23



"Als Spirou infolge eines allzu kritischen Artikels von der Redaktion der Zeitschrift 'Le Moustique' vor die Tür gesetzt wird, beschließt er, eine Auszeit zu nehmen und das Leben zu genießen. Doch eine rasant sich ausbreitende Flut geheimnisvoller schwarzer Pilze und eine Furore machende Ausstellung mit Gemälden von unerhörter Schönheit aber unbekannter Herkunft, machen Spirou einen Strich durch die Rechnung. Und dann ist da noch eine äußerst schwierige Jugendliche, die ihm den letzten Nerv raubt - die Tochter des genialen Dompteurs Noe ..." (Verlagstext)

Ich sach ma: Käffchen und rauf aufs Sofa! 

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Sonntag, 5. Mai 2019

Anke Stelling: Bodentiefe Fenster



„Als Sandra Anfang der Siebziger geboren wurde, war es Mode, den Kindern kurze Namen zu geben. Leicht auszusprechen, unprätentiös.“ (Seite 5)

Ich folge ja eher selten einem Lektüreplan und greife mir meist, was mich unmittelbar anspricht. Manchmal wird man als Leser*in ja aber auch vom Buch ausgesucht. Ich vermute, ihr wisst, was ich meine.

Nachdem ich gerade noch viele Seiten lang mit Elena Ferrante in Neapel zugebracht hatte, immer irgendwie mit so einem atmosphärischen Gefühl, wie in einem Film aus den Fünfzigern, der in Süditalien spielt, und bei dem die Bilder so eine warme, leicht verwaschene Patina zu haben scheinen, drängelte sich dieser Roman von Anke Stelling in der Lesereihe ganz nach vorn. Das gab eine echt harte Landung in Berlin, im Prenzlauer Berg, quasi in der Nachbarschaft.

Die ersten Seiten von Sandras Bericht waren eine echte Herausforderung, was ich aber gern auf den Kontrast zwischen den beiden Lesewelten schiebe. Plötzlich war nichts mehr verspielt, Gefühle, auch die schweren, kamen nicht mehr so leichtfüßig daher, das Klima war – in jeder Hinsicht – so ungleich rauer als im Neapel von Elena Ferrante.

Sandras Geschichte also. Sandra ist offenbar wenig älter als ich, hat zwei Kinder und einen Mann. Gemeinsam leben sie in einem Mehrgenerationenhaus in Berlin, dass sie mit anderen Familien als großes Gemeinschaftsprojekt gebaut haben. Es hat bodentiefe Fenster, was für die Offenheit stehen sollte, mit der diese Gemeinschaft sich der Welt und eben auch sich selbst präsentiert. So ein echtes „Gutmenschenprojekt“ eben.

Sandras Geschichte ist aber eigentlich gar nicht so recht eine Geschichte, vielmehr eine langes Sinnieren, Lamentieren, Reflektieren und Leiden – während im Grunde kaum etwas passiert, also handlungstechnisch.

Es gibt Treffen mit Freundinnen, Gemeinschaftsaktivitäten im Haus, der Jüngste muss in die Kita gebracht werden und alles steuert ziemlich unvermeidlich auf einen Burnout zu. Wenn ich das gerade selbst noch einmal so lese, merke ich, wie nervig ich Sandras Bericht beim Lesen fand. Ich meine das aber durchaus in einem literarisch guten Sinne. Und ich versuche das zu erklären.

Sandras Mutter dürfte in etwa zu der Generation gehören wie auch Elena in Neapel. Sie hat viel auf sich genommen, um mit Bildung und Haltung der miefig-patriarchalen Welt der Nachkriegszeit und der Aufbaujahre zu entkommen. Ihren Kindern ein anderes Aufwachsen zu ermöglichen, mit Kinderladen und Co, war Teil ihrer eigenen Emanzipation. Mutter zu sein, wie sie es verstand und lebte, war aber zugleich anscheinend das, was sich nicht emanzipatorischer leben und ausfüllen ließ. Selbstaufopferung, damit die Kinder es mal besser haben und besser machen, dieses irgendwie grundkonservative Motto bestimmte dann eben doch ihr Leben.

Es bestimmt aber eben auch Sandras Leben, deren Bericht eine lange Frage ist, was dieses „besser haben“ denn eigentlich sein und wie das gehen soll. Der Burnout ist das anscheinend unausweichliche Scheitern an dieser Mitgift ihrer Mutter.

Beim Lesen drängte sich mir unweigerlich der rote Faden auf, der sich durch meine ja eigentlich zufällige Lektürefolge schlängelte. Hier Elena, die durch Bildung entdecken kann, wie weit sie sich aus den engen Küchen ihres Viertels, dem üblichen Platz für die Frauen, befreien kann. Die aber auch die Grenzen zu spüren bekommt, die ihre Herkunft ihr zieht. Auf der anderen Seite Sandra, die ihre Tochter sein könnte und im Berlin der Jetztzeit eigentlich alles ganz selbstverständlich im Gepäck hat, was sich Elena erst erarbeiten, erkämpfen musste. Sandra bräuchte das Erbe nur anzutreten und es eben besser machen und das „es besser haben“ zu genießen.

Sandras Problem ist, dass ihr genau das nicht gelingt. Und Anke Stellings Text seziert diese eigentliche Nichthandlung Stück für Stück. Der unangenehme Geschmack beim Lesen kam wenigstens für mich auch dadurch zustande, dass ich keine Frau sein muss, um immerhin so manche Szene deutlich mitfühlen zu können. Als nur ein Beispiel will ich das Plenum des Mehrgenerationenhauses nennen, das ja eigentlich der offene Raum für alle sein sollte. Transparenz, fairer Umgang miteinander, das gemeinsame Ringen um gemeinsame Entscheidungen. Sandra leidet daran, dass da dann doch nur Machtfragen auf der Tagesordnung stehen, und zwar nicht im aufklärerischen, emanzipatorischen Sinn.

Überrascht hat mich, dass der Spielraum für die Eroberung gesellschaftlichen Raums für Elena so viel größer wirkt als der von Sandra, die viel mehr gefangen scheint zwischen Kita, Haushalt und Freundinnen, die alle irgendwie auch nur die besseren Mütter und Frauen sein wollen. Was bleibt also von dem: Du sollst es mal besser haben und es besser machen?

Der Roman von Anke Stelling ließ mich da mit vielen Fragen zurück, zum Glück. Er war, glaube ich, auch nicht dazu gedacht, die Antworten gleich mal mitzuliefern. Geschlechtergerechtigkeit ist ganz offenbar keine Sache von nur zwei Generationen, wenn sie mehr sein soll als formale Quoten, wenn sie das „es besser haben“ wirklich lebbar machen will. Offen scheint mir auch die Frage zu sein, auf welche Siege die Töchtergeneration verlassen kann, und welche Kämpfe sie möglicherweise auch selbst noch einmal ausfechten muss.

Kurz und gut: „Klar und unerbittlich, witzig und ironisch“ steht auf dem Backcover, und das ist nicht übertrieben. Dass der Roman auch derbe in die Magengrube boxt, füge ich anerkennend an. Lesen!

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Freitag, 3. Mai 2019

Jens Wernicke: Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung. Das Medienkritik-Kompendium



"Viele haben erkannt: Eine von Konzerninteressen, Hochglanzwerbung und politischer Agitation à la 'Deutschland geht es so gut wie nie zuvor' (Angela Merkel) geprägte 'Berichterstattung' hat mit der sozialen Realität wenig gemein. Eine 'Kernschmelze des Vertrauens' (Edelman Trust Barometer 2017) findet statt.

Der Medienmainstream antwortet auf Kritik üblicherweise mit Aussagen wie 'Wir sind nichtgesteuert, Fehler passieren jedem', oder er verortet die Krisenursachen mit der Behauptung 'Verschwörungstheorie!' beim Publikum. Eine umfassende und vielstimmige Medienkritik tut not, die den Bürgern die 'intellektuellen Waffen' (Pierre Bourdieu) an die Hand gibt, derlei Ausflüchte und Entmündigungsversuche zu entlarven. Jens Wernicke hat mit zahlreichen Medienexperten über die verschiedenen Facetten der Vertrauenskrise gesprochen und liefert ein unverzichtbares Kompendium der Medienkritik." (Umschlagtext)

Nach dem für mich enttäuschenden Band zum gleichen Thema von Ulrich Teusch "Lückenpresse" würde ich was Gutes sehr schätzen. Die Liste der Interviewten in dem Band klingt ein wenig speziell. Noam Chomsky neben Daniela Dahn und dann Daniele Ganser - nun ja ... Ok, auch dieses Buch vom Westend Verlag bekommt seine Chance. So ganz unvoreingenommen bin ich aber gerade nicht mehr, fürchte ich. 🙈🤷‍♂️

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Donnerstag, 2. Mai 2019

Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens. Jugendjahre. Band 2 der Neapolitanischen Saga



„Im Frühling 1966 vertraute Lila mir in höchster Aufregung eine Blechschachtel mit acht Schreibheften an.“ (Seite 17)

Als ich meinen Text zum ersten Band des Vierteilers aus Neapel schrieb, steckte ich mit meiner Nase schon tief mitten im zweiten Roman. Ich habe inzwischen zwei andere Romane zwischen mich und das aufgeflammte #ferrantefieber gebracht, und kann so mit etwas Abstand auf die Lektüre schauen.

An meiner Beschreibung der erzählerischen Kunst von Elena Ferrante muss ich nichts zurücknehmen. Im Gegenteil, mein Eindruck davon, wie gut sie zu erzählen, ihr Mosaik zusammenzusetzen weiß, hat sich eher noch bestärkt. Das Buch zwischendurch mal wegzulegen war einfach keine Option. 😊

In den Jugendjahren entfaltet sich das Leben der beiden jungen Frauen weiter. Lila hat geheiratet und nach den herkömmlichen Maßstäben des Viertels alles erreicht. Ihr Mann ist wohlhabend und von der neuen Wohnung bis hin zu hübschen Kleidern scheint es ihr an nichts zu mangeln.

Aus den im ersten Satz des Romans erwähnten Schreibheften rekonstruiert die Erzählerin Elena die Geschichte Lilas hinter der Fassade. Lilas Mann, der ihr zwar anscheinend jeden Wunsch zu erfüllen scheint, ist zugleich und mit jedem Versuch von Unabhängigkeit seitens Lilas mehr dem traditionellen Bild einer Ehe verhaftet. Seine Frau gehört ihm und hat ihm im Zweifelsfall zu Willen zu sein. Vor allem, wenn er glaubt, das vor dem Viertel beweisen zu müssen, um weiterhin als ganzer Mann akzeptiert zu werden.

Eine erste Schwangerschaft endet abrupt, eine zweite bahnt sich an, nachdem Lila sich auf eine Affäre eingelassen hat – ausgerechnet mit dem jungen Studenten, den Elena seit Jahren glaubt zu lieben. Doch die Liebesbeziehung hat keine Zukunft, obwohl Lila bereit ist, ihr abgesichertes Leben in Wohlstand hinter sich zu lassen. Am Ende bricht sie aus dem Viertel aus und mit ihrem bisherigen Leben, um für sich und ihren Sohn ein neues Leben zu finden.

All das berichtet die Erzählerin Elena zum größeren Teil aus den Heften, denn die Beziehung zwischen Lila und ihr ist in diesen Jahren – kompliziert. Einerseits unterstützt Lila Elena dabei, weiter zur Schule gehen zu können. Abitur und Studium führen Elena weiter über das hinaus, was für Frauen aus dem Viertel auch nur vorstellbar wäre. Zugleich entfremden sich die jungen Frauen immer weiter voneinander, weil die eine scheinbar im Viertel gefangen bleibt, während die andere vor allem die geistige Welt jenseits des eng gezogenen Kreises entdeckt, in dem beide aufgewachsen sind und zumindest formell noch leben.

Im ersten Band nervte mich die Erzählerin Elena ja noch etwas mit ihrem ständigen Zweifel an sich selbst und an ihren Fähigkeiten. Und ich meine das „nerven“ in dem Fall nicht wirklich negativ. ^^ Im zweiten Band mischen sich diese Selbstzweifel noch zusätzlich mit dem Erkennen, wie weit die sozialen Klassen in diesem Italien auseinanderliegen. Hier das Viertel, aus dem sie stammt, mit einfachen Menschen, für die Elena allein mit ihrem Bildungsweg schon fast unerreichbar weit weg ist, auf der anderen Seite das Bildungsbürgertum, in dem es normal ist, dass auch Frauen lernen, diskutieren, politisieren.

In zahlreichen Szenen beschreibt Elena, wie klein und unsicher sie sich fühlt und wie dünn und zerbrechlich die Schicht der Anerkennung für sie ist, die sie von diesen unerreichbaren Klassen dafür erfährt, dass sie sich daran macht, über Bildung aufzusteigen. Immer wieder ahnt oder erfährt sie ungeschminkt, dass sie nur eine Aufsteigerin ist, die sich über gute Noten halten kann. Dazugehören kann sie scheinbar nie wirklich.

Und wieder funktioniert Ferrantes Erzählkonzept über all die vielen scheinbar auch nur lose verbundenen Anekdoten so viel sichtbar zu machen. Vielleicht ist es gar nicht zufällig, dass Elena Ferrante und Didier Eribon in ähnlicher Zeit in Deutschland zu viel rezipiert und besprochen wurden.

Kurz und gut: Auch Band 2 der Saga aus Neapel ist kein „Frauenbuch“ und so gut, dass ich fast froh bin, jetzt etwas auf die nächsten Bände warten zu müssen. Lesen! 😉

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