Donnerstag, 25. April 2019

Lukas Kummer: Die Verwerfung. Eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg



„Seit Tagen stapfen wir durch das Eis und über die harten Äcker, auf der Suche nach einem Quartier für den Winter. Zu dieser Jahreszeit ist das Reisen sehr gefährlich, deshalb meiden wir die Straßen und Wege.“ (Seite 5)

Wir – das sind Johanna Krainer und ihr kleiner Bruder Jakob. Der Winter ist der des Jahres 1646. Der Dreißigjährige Krieg dauert nun schon länger an als die Anzahl an Lebensjahren, die das Geschwisterpaar zusammenbringt. Ein Ende ist für sie nicht abzusehen oder auch nur vorstellbar.

Auf sich allein gestellt ziehen sie durch ausgezehrte Landschaften, vorbei an menschenleeren Dörfern und Häusern. Einzig das Grauen, das Menschen einander antun können wächst und gedeiht. Galgenbäume, zermarterte Körper, Leichenteile, Verwesungsgeruch – all das schmückt die Welt der Geschwister, die das kaum noch wahrzunehmen in der Lage sind. Etwas zu essen zu finden, Dinge zum Eintauschen und die ständige Sorge um den eigenen Schutz vor Soldaten oder anderen Hungerleidern – das bestimmt ihr Denken.

Die Geschichte, die Lukas Kummer bereits 2015 präsentierte, dreht sich um die schier unendliche Vergeblichkeit mit der sich die beiden Geschwister durch diese Welt des Krieges ihren Weg suchen. Erbaulich ist hier gar nichts. Auf jeden erfreulichen Fund folgt ein hinterhältiger Angriff, eine fast beiläufige Attacke, weil sie gerade da sind oder im Weg stehen.

Kummer illustriert so die alltäglich gewordenen Schrecken eines Krieges, der Menschen und Länder auszehrt. Dem eine Sinn oder auch nur eine fassbare Begründung zu verleihen ist Sache von Historikern.  Für Johanna und Jakob geht es nur um eines: irgendwie bis morgen überleben. Und dann bis übermorgen. Und immer so weiter.

Dabei können sie der Verrohung der Welt um sie herum nichts entgegen setzen als die kurzen und seltenen Momente, in denen der kleine Jakob sehnsüchtig zu den am nächtlichen Himmel blinkenden Sternen aufschaut. Johanna, die allein die ganze Last zu tragen hat, fügt sich darein, indem sie als Junge verkleidet für beide kämpft. Die Vergeblichkeit ihres Kampfes kroch mir beim Lesen eiskalt den Rücken herauf, als ich versuchte mir vorzustellen, wie sie in einer Zeit und an einem Ort nach dem Ende des Krieges ankommen könnten. Vergeblich. Sie sind, im schlimmsten Sinne, Kinder dieses sinnlosen Krieges.

Lukas Kummer hat Bilder und einen Zeichenstil gefunden, die all diese Trostlosigkeit widerspiegeln und einfangen. Es ist zutiefst beklemmend, Johannas Stimme über diesen Bildern zu hören.

Nicht unerwähnt lassen will ich, dass ich die Aufmachung des Comics durch den Indieverlag Zwerchfell wirklich toll finde.

Kurz und gut: Beklemmend und eine überzeugende, gelungene Darstellung von Kriegsgräueln und Trostlosigkeit. Lesen!

#lesefrühling #comic #lukaskummer #zwerchfellverlag #geschichte #30jährigerkrieg #kinder #grauen #deutschland #indiecomic #lesen #leselust #lesenswert #bücher #literatur #yesyoucomican

Sonntag, 21. April 2019

Walter Moers: Die Zamonien-Romane (Bände 1 – 4)



„Ein Blaubär hat siebenundzwanzig Leben. Dreizehneinhalb davon werde ich in diesem Buch preisgeben, über die anderen werde ich schweigen. Ein Bär muß seine dunklen Seiten haben, das macht ihn attraktiv und mysteriös.“ (Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär, Seite 6)

Walter Moers als Teenie zu lesen geht voll klar, weil das keine Kinderbücher mehr sind und noch kein dröger Erwachsenenstoff die Seiten beschwert. In den Zwanzigern Moers zu lesen passt gut zur künstlich verlängerten Jugend und der Weigerung, endgültig erwachsen zu werden. In den Dreißigern ist es eine kurze Zeitlang grenzwertig. Moers in den Vierzigern zu entdecken verspricht den höchsten Genuss. Vertraut mir, ich weiß, wovon ich rede! 😉

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als bei vielen um mich herum in den ersten eigenen Wohnungen in den IKEA-Regalen Ausgaben der „13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär“ auftauchten. „Doch, das musst du mal lesen. Das ist voll gut.“ Damals hab ich andere Bücher für mich entdeckt und war ziemlich genervt von dem quietschigen Hype von Leuten, die nur keine richtigen Bücher lesen wollten. Dachte ich mir damals jedenfalls. Und dieses damals ist jetzt auch schon wieder fast zwanzig Jahre her. ^^

Lange hab ich also nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen, dass da immer mal wieder neue Moers-Romane aufgetaucht sind. Ob der Hype immer noch so groß ist, weiß ich gar nicht zu sagen. Jedenfalls haben die Leute von damals ohnehin schon ihre zweite oder eher dritte Wohnung, wenn nicht ein Eigenheim und anständige Jobs, wohlerzogene Kinder und die meisten vermutlich eher nicht mehr so viele Bücher im Regal. Es könnte aber auch sein, dass ich gerade abschweife. Egal, es ist ja mein Text. ;p

Im letzten Jahr jedenfalls bekam ich ein hinterhältiges Geschenk zum Geburtstag. Der erste von zwei Bänden der Comicadaption der „Stadt der träumenden Bücher“ war bereits erschienen. Ich hatte ihn schon in der Hand gehabt, fand aber immer wieder etwas, was mir interessanter erschien. Zum Geburtstag schließlich kam ein Päckchen mit eben genau diesem ersten Band. Und es ist nun wirklich hinterhältig, einem Leser mit Hang zum Sammeln und Horten von irgendetwas den ersten Band zu schenken. Noch dazu, wenn dicht unter der Haut Zwangsneurosen hausen wie die, gar nichts gegen Adaptionen zu haben, aber dann wenigstens das Original zuerst lesen wollen zu müssen. Das letzte Mal zuvor erhielt ich so ein wirklich schlimmes Geschenk anlässlich der Comicversion von Stephen Kings „Dunklem Turm“. Und ja, die acht Bände des Romanzyklus stehen durchgesuchtet im Regal. Ich hatte ja bereits darauf hingewiesen, dass dies hier mein Text ist. Ich darf also abschweifen, wie und so oft ich will! ^^

Wenn das Original dann aber nicht einmal der erste sondern der vierte Roman einer mehrbändigen Reihe ist und diese neben den nett gemachten, günstigen Taschenbuchausgaben auch noch als liebevoll hergestellte und lustvoll illustrierte Hardcoverausgaben zu haben ist – dann offenbart sich die ganze Hinterhältigkeit eines solchen vergifteten Geschenks. Buhuuu …

Die Neurose säuselte mir also ins Ohr: Das ist sie, die bisher ausgebliebene Gelegenheit. Nun hol sie dir schon, diese wunderschönen Bücher. Am besten alle auf einmal. Sonst gibt es sie womöglich nicht wieder. Und schau, „Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär“, die ursprünglich nur mit schwarz-weißen Illustrationen erschienen waren, die gibt es nun sogar in einer aufwendig kolorierten Ausgabe. Der Kolorist ist zugleich auch noch der junge Zeichner, mit dem der Moers zusammen die Comicadaption schuf. Wie könntest du also nicht zugreifen?

Alter, du nervst!

Ich habe die Zwangsneurose ausgetrickst. Von wegen alles auf einmal kaufen. Ich habe mich auf die ersten drei Bände beschränkt. Band 4 war dran, als ich Band 3 zu lesen anfing. Band 5 – das ergibt sich ja schon von selbst. Nur damit die Neurose nicht so scheußlich selbstzufrieden grinsen kann, habe ich die Bände 6 und 7 gleich zusammen gekauft. Den Weihnachtsband bekam ich zu Weihnachten geschenkt. Aber Band 8 – den hebe ich mir jetzt einfach noch auf. Nimm das, du doofe Neurose, und troll dich!

Da ich ja ohnehin vermutlich der Letzte bin, der die Route nach Zamonien entdeckt hat, brauch ich euch auch nicht mit detaillierten Inhaltsangaben zu langweilen. Viel mehr beschäftigt mich auch eigentlich die Frage, was es ist, das diese Romane so fürchterlich gut verschlingbar macht. Mit welchen teuflischen Tricks schreibt dieser Moers? Welches so unglaublich süchtig machende Pulver streut er unter die Worte und zwischen seine Sätze? Gibt es eine anerkannte Therapieform, und warum sollte sich irgendjemand überhaupt aus Zamonien wieder heraustherapieren wollen?

Meine erste und grundlegende Erkenntnis ist: Diese Bücher sind ernst gemeint und darum sind sie echt. Jedes Wort ist wahr!

Das unterscheidet Moers’ Werk von unzähligen anderen Fantasywerken mit und ohne pädagogischen Anspruch. Diese Romane wollen nicht belehren. Es geht nicht um „Wir sprechen hier von Wolpertingern, meinen aber natürlich Menschen. Und du, lesendes Menschlein, lerne nun daraus!“. Damit war der Weg zu einem x-beliebigen Kinder- und Jugendbuchverlag schon grundlegend verbaut. Puh, ein Glück aber auch. ^^

Wer bisher glaubte, Walter Moers würde sich als Autor nur hinter den Erzählstimmen von Käpt´n Blaubär oder von Hildegunst von Mythenmetz verstecken, dem sei versichert: Wenn eine Welt wie Zamonien so echt ist, dann braucht sie keine Versteckspiele oder literarischen Rochaden, sondern nur ein Medium mit der Fähigkeit, bisher Unsichtbares sichtbar zu machen, in Worte zu fassen. Wir sollten Walter Moers dafür danken, dass er sich dafür hergegeben hat und hoffentlich weiter hergibt. Schließlich kann sich all diese Gestalten und Kreaturen und deren Abenteuer ja kein Mensch einfach so ausdenken, oder?!

Ich hab es schon bei den ersten Zeilen des ersten Romans gespürt. Es kribbelte in der Nase, vibrierte tief in mir drin, so in der Gegend um das Zwerchfell herum. Wie auf einem silbernen Faden aufgefädelt und durch einen sanften Wind angepustet tanzte Seite um Seite vor meinen Augen, wirbelten Volten, Wendungen, schöne Sätze und die Ahnung von monströsem Monstergeschrei vorbei.

Für die Superskeptischen unter der Leserschaft sorgte Moers mit den Querverweisen auf das lexikalische Werk von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller vorsorglich für eine hinreichende und nachweisliche Faktenlage. Wie ich schon erwähnte: Jedes Wort ist wahr!

Meine zweite Erkenntnis erschüttert jedes postmodern-ironische Gefüge: Es gibt es noch, das Gute in der Verlagswelt.

Großformatig hergestellte, liebevoll und aufwendig illustrierte, mit angemessen viel Raum für den Satz versehene, auf elegantem Papier gedruckte Bücher gibt es nur, wo auch das Gute noch ein Zuhause hat.

Nach Zamonien als Teenager zu reisen macht das Herz weit und weitet den Blick auf das, was da vor einem liegt und entdeckt werden will. In den Zwanzigern sorgt eine solche Reise dafür, dass die magischen Kräfte aus Kindheit und Jugend nicht einfach so verschwinden. In den Dreißigern ist es eine kurze Zeitlang grenzwertig. Aber Zamonien in den Vierzigern zu entdecken, bedeutet zu verstehen, dass es nie zu spät ist.

Kurz und gut: Leider hatten alle recht. Würde Walter Moers nicht von Zamonien berichten, müsste sich dringend jemand finden, der oder die das nachholt. Lesen! 😉

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Mittwoch, 17. April 2019

Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes



"Die 'Neue Rechte' wird breit diskutiert - der Begriff dabei immer diffuser. Der Historiker und Journalist Volker Weiß ermöglicht mit diesem Band tiefenscharf und auch für Laien verständlich einen Überblick: über Akteure, Ideen, Begriffe und deren Geschichte. [...] Neben den Strategien der Neuen Rechten analysiert Weiß ihre häufig auf intellektuelle der Konservativen Revolution zurückgehenden ideologischen Grundlagen und deren Aneignungsgeschichte. Schließlich plädiert Weiß für ein konsequentes Eintreten zugunsten des zentralen Feindbildes der Neurechten: den Universalismus. Dieser dürfe auch keinem Kulturrelativismus geopfert werden." (Umschlagtext)

Für die Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten gibt's viel Material. Die Arbeit von Volker Weiß erschien bereits 2017.

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Dienstag, 16. April 2019

Naoki Urasawa: 20th Century Boys. Band 3 ULTIMATIVE EDITION



"Der Megaroboter wurde Beweis gebaut und wartet auf seinen scheinbar unaufhaltsamen Einsatz, der Freund wurde jedoch noch immer nicht identifiziert. Gleichzeitig rückt der 31. Dezember 2000, der Tag, an dem die Erde zerstört werden soll immer näher ...
Die 'neun Freunde', die in ihrer Kindheit das 'Buch der Prophezeiungen' geschrieben haben, sind die einzigen, die dieses Schicksal jetzt noch abwenden können. Kann die Welt Welt gerettet werden?" (Umschlagtext)

Den dritten Band der Ultimative Edition habe ich mir als Mitbringsel von der #lbm2019 gegönnt. Jetzt heißt es warten bis auf Band 4, der im Juni erscheinen soll. Dann noch Band 5 und 6 und ... *seufz* 😅🤓😘

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Montag, 15. April 2019

Walter Moers: Wilde Reise durch die Nacht. Nach einundzwanzig Bildern von Gustave Doré



"Der zwölfjährige Gustave bricht zu einer wahrlich fantastischen Reise auf: Er fliegt über den Mond hinweg, kämpft gegen Riesen und befreit eine Jungfrau aus den Klauen eines Drachen. Er trifft auf höchst sonderbare Kreaturen und schaut sogar dem Tod bei der Arbeit zu. In einer einzigen Nacht muß Gustave von der Erde zum Mond, einmal quer durch das ganze Universum und wieder zurück reisen. Denn er hat eine Wette abgeschlossen, bei der sein Leben und seine Seele auf dem Spiel stehen ..." (Umschlagtext)

Moers, illustriert und mal nicht Zamonien. Aber ehrlich, kann da irgendwas schiefgehen? 😉😅

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Samstag, 13. April 2019

Ulrich Teusch: Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten



„Die Politiker sagen uns nicht die Wahrheit! Die Politik lügt uns an, heute mehr denn je! Wir glauben denen da oben gar nichts mehr!“ (Seite 9)

Ulrich Teusch ist Publizist und Autor für Hörfunkfeatures. Die ersten Sätze seines Vorwortes beschreiben eine Haltung von Bürger*innen, der er während der Recherchen für ein Feature zu Lügen in der Politik oft begegnete. Medien braucht es als Mittler, um Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Teusch findet, dass das Mediensystem krankt und so seine Aufgabe nicht mehr erfüllen kann.

Medienkritik also. Zunächst stellt Teusch klar, dass er den Begriff „Lügenpresse“ für falsch hält. Auch weil der Begriff der Lüge so schwer zu fassen sei. Die Erläuterung, warum er „Lückenpresse“ die geeignetere Formulierung findet, fußt auf der nicht so sehr aufsehenerregenden Erkenntnis, dass bei allen journalistischen Bemühungen der Blick der Einzelnen eben auch wertebasiert, interessengeleitet ist, wie auch die Rahmenbedingungen der Medien selbst. Aus der schieren Masse an Informationen muss ausgewählt werden. Dies geschieht nach Kriterien, die zwangsläufig dazu führen, dass über Eines berichtet wird über Anderes aber eben nicht.

Diesen Mechanismus an sich beklagt Teusch weniger als die Art und Weise der Auswahl. Hier bezieht er sich im Wesentlichen auf die Mainstreammedien – also die Leit- und Qualitätsmedien – und insbesondere auf den Mainstream des Mainstreams. Auch wenn er hier letztlich doch schwammig in seiner Definition bleibt, lässt sich aus seinen immer wieder angeführten Beispielen schlussfolgern, dass er damit hauptsächlich die Öffentlich-Rechtlichen meinen dürfte.

Soweit, so gut. Ab da lässt mich Teuschs Buch aber ehrlicherweise recht unbefriedigt zurück. Er führt zahllose Beispiele für Sendungen, Kommentare etc. an, in denen seiner Ansicht nach, tendenziös, manipulierend, meinungsmachend und eben nicht berichtend gearbeitet wird. Der Vorwurf, dass Öffentlich-Rechtliche Medien zu sehr der Schmissigkeit privater bzw. der Konzernmedien hinterherlaufen und auf Quote statt auf Qualität bauen – nunja, der ist nicht neu und wenigstens in Teilen so richtig wie banal.

Was mich aber beim Lesen richtig geärgert hat, ist Teuschs Art der Beweisführung. Die besteht zum überwiegenden Teil darin, die Leser*innen aufzufordern sich vorzustellen, dieser oder jener Bericht oder Kommentar hätte einen anderen Schwerpunkt gehabt oder eine andere Aussage. Daraus, dass der konstruierte Konjunktiv so unwahrscheinlich ist oder sei, schließt Teusch messerscharf – tja, dass etwas ganz schlimm und schief sei.

Gemischt mit einem Thema, dass sich ebenso als roter Faden durch das Buch zieht, seine Kritik an der Berichterstattung über Russland, bekommen seine ja nicht falschen Beispiele leider einen genauso tendenziösen Schlag wie der, den er den Mainstreammedien gerade vorwirft. Er findet, dass in manipulativer Absicht über Russland nur das Schlechte berichtet wird und dahinter ein transatlantischer Klüngel stecken müsse. Leider argumentiert er selbst hier insgesamt so oberflächlich, dass ich mich streckenweise gefragt habe, ob Teuschs Kritik nicht nur die ist, dass die Mainstreammedien nicht für wichtig halten, was er selbst für wichtig hält.

Immerhin betont er immer wieder, dass es natürlich genügend Journalist*innen gibt, die einen guten Job machen und outet sich auch als grundsätzlicher Befürworter öffentlich-rechtlicher Medien.

Bedauerlich bis ärgerlich empfand ich, dass der Autor eigentlich übers Raunen nicht hinausgeht und im Grunde auch nicht wirklich Ross und Reiter als Ziel seiner Kritik benennt. Ebenso unterkomplex kommen die Bedingungen zur Sprache, unter denen journalistische Arbeit geleistet wird. Was ließe sich nicht alles über konkrete Arbeitsbedingungen, Prekarität, Outsourcing, die Übermacht der PR, Kommerzialisierung bis in den letzten Winkel und Besitzverhältnisse in der Medienbranche, Verquickungen und Verflechtungen berichten und daraus schlussfolgern? Leider spricht Teusch an der Stelle dann lieber ausführlich über den amerikanischen Markt als über die Medienbranche hierzulande.

So bleibe ich nach der Lektüre zurück mit vielen Fragezeichen, weil ich nicht wirklich entschlüsseln konnte, was genau die Absicht dieses Buches war. Für die Schlussfolgerung, dass das Publikum mehr Mediennutzungskompetenz braucht, um emanzipierter Medien nutzen zu können, dafür hätte es dieses Buch nicht gebraucht.

Kurz und gut: Zuviel Raunen und Konjunktiv für eine brauchbare und weiterführenden Analyse. Am Ende irgendwie doch nur ein Meinungsstück zwischen Buchdeckeln, wo ein paar Kommentarspalten es vielleicht auch getan hätten. Schade!

#lesefrühling #sachbuch #ulrichteusch #westendverlag #medien #journalismus #medienkritik #gesellschaft #kapitalismus #demokratie #lesen #leselust #bücher

Mittwoch, 10. April 2019

Sarah Khan/ Isabel Kreitz: Den Nachfolgern im Nachtleben



"Die Regeln für eine Gruselgeschichte werden scheinbar eingehalten: ein unheimlicher Ort, finstere Figuren, ein überraschendes Ende. Und doch bröseln, ja verschwimmen sie bei Khan & Kreitz auf interessant-vertrackte Art. So lernen wir früh: Das Grauen hat viele Gesichter, und manche davon kennt man aus der Wirklichkeit!" (Umschlagtext)

"Die Unheimlichen" heißt die kleine Reihe, in der Schauergeschichten auf Comic neu interpretiert werden. Das ist doch eine nette - äh gruselige Idee. 😱😉

(Aber den Graphic-Novel-Stempel find ich für diesen feinen, kleinen Comic echt unnötig. ^^)

#lesefrühling #comic #sarahkhan #isabelkreitz #carlsencomics #gruselig #schauergeschichen #dieunheimlichen #adaption #lesen #leselust #bücher #yesyoucomican

Montag, 8. April 2019

Fernanda Melchor: Saison der Wirbelstürme



"La Matosa, eine gottverlassene Gegend in der mexikanischen Provinz. In der brütenden Hitze bewegt sich eine Gruppe von Kindern durchs Zuckerrohrdickicht. Zwischen Plastiktüten und Schilf stoßen sie auf eine Tote, ihr Gesicht ist zu einer Grimasse entstellt: La Bruja, die Hexe, eine von den Dorfbewohnern so gefürchtete wie fasziniert umkreiste Heilerin. [...]
Fernanda Melchor schafft eine brodelnde Atmosphäre, in der jede Geste der Zärtlichkeit im nächsten Augenblick in Brutalität UK knacken kann, gegen die kein Kraut, kein Zauberspruch mehr hilft." (Klappentext)

Das Hexenthema verweist schon deutlich darauf, dass es um Gewalt gegen Frauen geht, eine unheimliche Spirale, die sich unerbittlich dreht.

Das ist mein Fundstück vom #indiebookday 2019. Wollte ich noch nachtragen. 

#lesefrühling #roman #fernandamelchor #wagenbachverlag #mexiko #gewalt #frauen #hexen #gesellschaft #indiebook #lesen #leselust #bücher #literatur

Samstag, 6. April 2019

Mosaik #520



Himmelnocheins, dieses Frühlingswetter macht ja ganz kirre im Kopf und ließ mich fast verpassen, das nächste Abenteuer der #abrafaxe zu posten. Tztztz ... 🙈🤷‍♂️😅

#lesefrühling #comic #mosaik #mittelalter #hanse #lübeck #nowgorod #abenteuer #indiecomic #lesen #leselust #lesenswert #yesyoucomican

Freitag, 5. April 2019

Christian Fuchs/ Paul Middelhoff: Das Netzwerk der Neuen Rechten. Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern



"Rechts zu sein galt in Deutschland lange Zeit als Ausschlusskriterium: zu verstaubt, zu ewiggestrig, zu nah an Neonazis und Hitler-Verehrung. Das hast sich in fern vergangenen fünf Jahren geändert. Heute sitzen Rechte in den Parlamenten, bringen Tausende auf die Straße, beeinflussen den Diskurs und sorgen für einen Rechtsruck in der Gesellschaft. Das ist kein Zufall. Den Neuen Rechten ist es gelungen, in dieser kurzen Zeit eine eigene Gegengesellschaft zu erschaffen - mit Verlagen, Trollarmeen, Modemarken, Politikern, Denkfabriken, Künstlern, Jugendbewegung und einer Gewerkschaft. Das Milieu ist gut vernetzt und hat mächtige Unterstützer. Darum wird die Gefahr, die vom rechten Rand der Gesellschaft ausgeht, so schnell nicht wieder verschwinden." (Umschlagtext)

Ich bin sehr gespannt, wie tief diese Analyse zweier Reporter der ZEIT reicht. Gerade wenn die Schlussfolgerung richtig ist, dass dieser Rechtsruck so schnell nicht wieder verschwinden wird, sollten die tragenden Strukturen, Köpfe und Finanziers klar benannt werden.

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Donnerstag, 4. April 2019

Elena Ferrante: Meine geniale Freundin. Band 1 der Neapolitanischen Saga



„Heute Morgen hat mich Rino angerufen, ich dachte, er wollte wieder einmal Geld, und wappnete mich, es ihm zu verweigern. Doch der Grund seines Anrufs war ein anderer. Seine Mutter war unauffindbar.“ (Seite 17)

Jaja, natürlich hatten alle Recht, die in der ersten Welle vom #ferrantefieber erfasst wurden. 😉 Dass ich all den gesungenen Lobliedern gar nicht widersprechen möchte, zeigt vielleicht das Foto. Immerhin fand Band 2 der Saga, gleich als ich den ersten beendet hatte, den Weg auf meinen Lesestapel – nach ganz oben. ^^

Ferrante schafft es tatsächlich auf angenehm-leichtfüßige Weise sowas wie Binge Reading zu provozieren, dass ich neidlos anerkennen muss: Die Frau kann echt unglaublich gut erzählen.

Gibt es eigentlich noch jemanden, der oder die eine Inhaltsangabe braucht? 😉

Na gut, vielleicht so viel: Im Neapel der fünfziger Jahre wachsen zwei Mädchen in einem Viertel auf, in dem rohe Umgangsformen, Armut, Ausbeutung und eine sehr traditionelle Lebensweise vorherrschen. Aus der zögerlich wachsenden Zuneigung der Mädchen wird – so viel ist bei den insgesamt vier Bänden kein Geheimnis – eine lebenslange Freundschaft.

Aber diese Freundschaft hat es doch ziemlich in sich. Elena, die Erzählerin, beschreibt sich selbst als die weniger Begabte, weniger Attraktive, als die Gewöhnlichere von den beiden. Lila hingegen ist ein nicht zu bändigender Wildfang, willensstark und unbeugsam, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat.

Die Kinder- und frühen Jugendjahre, um die es im ersten Band geht, sind geprägt von ständigem Wettkampf zwischen den beiden, der keine großen Erklärungen braucht. Ob in der Schule oder bei Mutproben – was Lila mühelos zuzufallen scheint, muss sich Elena hart erarbeiten, blüht aber dabei auf, wenn sie die Zweite nach Lila sein kann.

So richtig klar, warum genau die beiden Mädchen und jungen Frauen eigentlich befreundet sind, ist mir immer noch nicht klar. Diese Faszination, die Menschen auf andere ausüben können, auch wenn es keine letztgültige Erklärung dafür gibt, die kenne ich aber wohl. Vielleicht ist auch das ambivalente im Verhältnis der Mädchen zueinander, das angezogen und auch wieder abgestoßen werden, die wechselseitigen Nadelstiche beim Wetteifern – vielleicht ist es auch genau diese Ambivalenz, die die Geschichte dieser Freundschaft so anschlussfähig macht.

Auf vier Bände wäre Ferrante sicher nicht gekommen, wenn sie ihre Coming-of-Age-Geschichte nicht auch mit hinreichend Hintergrund und Nebenfiguren gespickt hätte. Binnen kürzester Zeit gelingt ihr ein erzählerischer Sog, der das Viertel, in dem die beiden leben, lebendig werden lässt. Um die Charaktere greifbar werden zu lassen, braucht sie nicht viele Worte.

Das Anekdotenhafte Erzählen bietet genügend Möglichkeiten, das gesamte Personal durch sein alltägliches Agieren sehr real werden zu lassen. Die Familienverhältnisse, die Rolle der Mütter, die Art und Weise wie sich die Kinder von klein auf und in die tradierten Rollenbilder fügen und dennoch glauben, sie würden es so viel anders machen als ihre Eltern – all das lebt, krakeelt und schimpft und liebt herrlich bunt und durcheinander.

Ferrantes Art, all die vielen kleinen Situationen und Anekdoten zu verknüpfen, gekonnt zwischen Handlungssträngen hin und her zu schreiben, und am Ende eines fast jeden Kapitels einen Cliffhanger zu platzieren – doch, doch, das macht schon mächtig Spaß beim Lesen.

Dabei verzichtet die Autorin auf langatmige Reflexionen, in der die Handlung und die Spielräume der Figuren ausgeleuchtet werden. Sie lässt die Erzählung ganz dicht an ihrer Erzählerin Elena. Einerseits sorgt das für den erzählerischen Sog, andererseits sind manche der Anekdoten im Grunde aber auch nicht mehr als das und damit noch nicht zwingend große Literatur – um meinen Beitrag fürs Phrasenschwein beizubringen. ^^

Wenn ich das eben Beschriebene als ein Wandeln auf einem Grat verstehe, dann schafft es Ferrante aber tatsächlich nicht zu schwanken und die Balance zu halten. Ich würde das, ich stecke gerade mitten im zweiten Band, als ihre große erzählerische Stärke beschreiben.

Zu guter Letzt sei noch angemerkt, dass ich die Gestaltung und Ausstattung der Taschenbuchausgabe vom Suhrkamp Verlag wirklich sehr gelungen finde. Suchtfaktor beim Lesen, und ich nehme die Bände auch noch sehr gern in die Hand. Alles richtig gemacht. 😊

Kurz und gut: Schon Staffel – ähem Band 1 reicht aus, um wirklich süchtig zu werden. Der einzige Nachteil ist, dass ich jetzt schon weiß, dass nach Band 4 Schluss ist. Und ich sehe dem Serienfinale – ähem Band 4 mit gemischten Gefühlen entgegen. Hoffentlich bald, hoffentlich nicht zu bald. 😉

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Mittwoch, 3. April 2019

Vojin Saša Vukadinović (Hrsg.): Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik



"Die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen hat einmal bemerkt, dass vermutlich jede Bewegung irgendwann ihre eigene Karikatur hervorbringt. Der Genderfeminismus, der Antirassismus und der Queerfeminismus sind ebendies: Karikaturen geschlechter-, migrations- und sexualpolitischer Emanzipationsbewegungen. Dieser Sammelband geht jenem Verrat an der Mündigkeit auf den Grund. Am Beispiel von Antisemitismus, Migration, Rassismus und Religionskritik widmen sich rund vierzig Beiträge den zugehörigen Fehlentwicklungen in Wissenschaft und Aktivismus und zeigen zugleich Alternativen auf, indem sie an das doppelte Glücksversprechen der Emanzipation und der Freiheit erinnern." (Umschlagtext)

Die Debatten gehen also weiter. Identitätsfragen und die Frage, wie gehen wir eigentlich progressiv und konstruktiv damit um, sind weiter aktuell. Ich bin gespannt.

Ein dickes Danke geht an den Querverlag für das Rezensionsexemplar von der #lbm🤓😘

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