„Isabel
quiekte. Dabei war ich noch gar nicht zu der Sache mit dem Kopf gekommen.“
(Seite 5)
Das waren
Zeiten, als mir noch wichtig war, dass ich ja schon fast 14 Jahre alt wäre. Also
früher, als Gefühle noch so richtig groß, bedeutend und natürlich noch nie von
jemandem zuvor gefühlt worden waren. Als ich so vieles zum ersten Mal erlebte,
durchlebte, fühlte, aber noch keine Ahnung hatte, wie wehmütig ich dann auch
wenige Jahrzehnte später darauf zurückblicken würde. – Ok ok, genug der
Klischees. 😉
Aber das Erschütternde
ist ja, dass so ein kleines Stückchen davon sich immer echt anfühlt und fast
alle sich darin irgendwie wiedererkennen können. Also spricht auch so gar
nichts dagegen, sich schmökernd in eine Geschichte zu stürzen, die für eine
deutlich jüngere Zielgruppe geschrieben wurde, und es einfach sehr zu genießen.
Die letzten
beiden Lesenächte habe ich mit Leon verbracht. Ich war wirklich hautnah dabei,
wie er sein Referat versemmelt und es filmreif gut wiederholte und in der schier
endlos langen Zeit dazwischen, in der er zwar immer noch nicht 14 geworden ist
aber um so vieles gereifter.
Im Fach Ethik
soll sich die 8. Klasse, in die Leon geht, mit dem Tod auseinandersetzen. Das
ist starker Tobak für Teenies, denen die eigene Endlichkeit vermutlich gerade
erst langsam bewusst wird. Ein Holzkreuz, an dem seit drei Jahren regelmäßig
frische Blumen stehen, wird zum Ausgangspunkt von Leons Referat. Es steht auf
einer Verkehrsinsel mitten auf einer großen Berliner Straßenkreuzung direkt an
auf seinem Schulweg. Das wenige, dass er herausfinden kann, macht sein Referat
aus. Ein 23-jähriger Radfahrer wird von einem abbiegenden LKW überfahren und
stirbt. Dazu, den Zuhörer:innen vorzurechnen, was es bedeutet, wenn ein vollbeladener
LKW über einen Kopf … die Lehrerin bricht das Referat quasi ab, keine Fragen
mehr, die Schüler:innen schauen komisch und Leon weiß nichts mehr zu sagen.
Wenn der
Unfall schon drei Jahre her ist, wer stellt dann eigentlich und warum immer noch
und immer wieder frische Blumen auf? Auf die Frage weiß Leon keine Antwort. Die
Frage ist aber der Auftakt zu einer zweiten Chance. Er soll noch einmal recherchieren
und das Referat noch einmal halten.
Einigermaßen
verzweifelt fragt Leon ausgerechnet Rouven um Hilfe. Der einer der beiden
letzten Emos an der Schule und hielt selbst ein Referat über Friedhöfe. Da Leon
sonst keine Freunde hat und den stillen Rouven auch vorher eigentlich schon
sympathisch fand, spricht er ihn an. Das ist der Anfang einer eigentlich
unglaublichen Recherche und einer Freundschaft, bei der sich beide fragen, wieso
sie eigentlich erst jetzt entstehen konnte.
Unglaublich
ist die Suche nach Antworten nicht, weil der Unfall so außergewöhnlich wäre.
Aber sie bringt Leon dazu, herauszufinden, warum genau er eigentlich auf dieses
Kreuz aufmerksam wurde, er stellt sich seiner tiefsitzenden Traurigkeit und er kann
endlich einmal vor einem anderen weinen, ohne vor Scham im Boden zu versinken.
Wenn wir
älter geworden sind, erwachsen, wie es so schön heißt, haben wir allerhand
emotionale Zustände schon einmal oder zumindest so ähnlich erlebt. Wir konnten
einen Umgang damit finden, also wenn es gut lief. Wir können total gut alles
Mögliche vollkommen rational erklären, weil Erwachsene das halt so machen. Kinder
haben Fragen, vielleicht auch noch Jugendliche. Aber Erwachsene geben Antworten.
Verrückterweise
vergessen wir so unglaublich schnell im Laufe unseres Lebens, wie es war, als
wir noch nicht alles erklären konnten und so viel Ungeahntes, noch nie
Gefühltes auf uns einstürmte, so dass wir nur den Kopf einziehen konnten. Und
dann sollten wir trotzdem noch alles richtig machen.
Während der
Recherche zu seinem zweiten Referatsversuch und während Leon und Rouven sich
besser kennenlernen und anfreunden, müssen sich beide so manchen ihrer je
eigenen Dämonen stellen. Und trotz der Traurigkeit, die beiden tief in den
Knochen sitzt, entdecken sie auch die Leichtigkeit, die einen vor Lachen
glucksen lässt, wenn man einander vertraut und sich einander anvertraut.
Volker
Surmann gelingt es mit Leons und Rouvens Geschichte eine ganze Reihe von Themen
anzusprechen, die für 13-Jährige untereinander aber auch mit den Eltern eine
ziemliche Herausforderung sind und es gar nicht sein sollten: Gefühle, Traurigkeit,
Mutlosigkeit aber auch Verliebtheit, Sexualität, Anderssein oder sich
Andersfühlen. Sehr dankbar bin ich, dass auch Homosexualität eine Rolle spielt,
und vor allem, dass das trotzdem nicht das Haupttema ist – nicht der Story und
auch nicht der beiden Hauptfiguren.
Sehr
gelungen finde ich die Whatsapp-Verläufe von Leon und Rouven, gerade weil die
Frage der Jugendsprache in Büchern für jugendliche Leser:innen ja so wichtig
ist. Wie klingen Teenies denn authentisch in literarischen Texten? Seit „Tschick“
von Wolfgang Herrndorf beschäftigt mich das immer wieder, auch weil der dort
die Messlatte so unglaublich hochgelegt hat. Herrndorf kreierte in seinem Roman
eine Sprache, die reale Jugendliche so nie sprechen würden, schaffte es aber,
dass jedes Wort absolut authentisch wirkte. Surmann geht hier einen leicht
anderen Weg und legt den Teenies hier durchaus trendige Formulierungen in den
Mund. Das funktioniert für mich selbst, weil ich mich durchaus auch an Sprüche aus
den letzten 30 Jahren erinnern kann. Sie sind aber eben doch oft eher zeitgebunden.
Besonders authentisch finde ich Leons und Rouvens Stimme immer da, wo der Autor
auf Jugendsprache im eigentlichen Sinn verzichtet. Da glaube ich den beiden
wirklich jedes Wort. Und falls das jetzt wie Meckern klang, dann war es Meckern
auf wirklich krass hohem Niveau. 😊
Ich habe
mich, dass kann ich ganz ohne Übertreibung schreiben, heftig in diese Story und
ihre Charaktere verliebt. Die Geschichte, Leon als Erzähler, die
Konstellationen und die vielen kleinen treffsicheren Bemerkungen und
Erkenntnisse – all das hat mich das Buch ungelogen in zwei Lesenächten wegschmökern
lassen. Ich habe geschmunzelt, gelacht und oft genug feuchte Augen bekommen und
hätte am liebsten die Hälfte des Personals des Romans in die Arme genommen. Klarer
und unmissverständlicher lässt sich die Weisheit, die wir alle in jungen Jahren
mal instinktiv fühlen konnten und auf dem Weg durchs Erwachsenenleben so oft
dann doch vergessen haben, eigentlich nicht in Worte fassen, als es dieser
Roman schafft: zuhören, miteinander reden und wirklich zuhören!
Noch einmal sage
ich danke für dieses Leseexemplar und die Stunden, die ich mit ihm verbringen
durfte!
Kurz und
gut: Für alle, die wie ich die Vierzig knapp *hüstel* überschritten haben: Lest
mehr Jugendbücher und ganz unbedingt dieses! Und schenkt es euren Kindern oder
Teenies, die ihr kennt! 😉
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