Montag, 28. Dezember 2020

Taiyo Matsumoto: Sunny. Band 1




"Das Kinderheim 'Star Kids' ist das Zuhause für eine Gruppe von Pflegekindern. Ihre Lebenswege sind so unterschiedlich wie ähnlich geprägt, ihr Heranwachsen unter der behutsamen Heimleitung abhängig von individuellen Erfahrungen und Träumen. Allen gemeinsam ist ihr Zufluchtsort, das Wrack eines Nissan Sunnys, in das sie sich zurückziehen - um dem Alltag zu entfliehen, Pläne zu schmieden, sich in Fantasien zu flüchten, die Welt in Gedanken zu bereisen oder ins Weltall abzuheben." (Umschlagtext)

Der WeihnachtsMMann hat an Comics gedacht. 🥰 Ob ihm dabei auch klar war, dass mein erstes eigenes Auto ein Nissan Sunny war? 🤫😉
(Übersetzung: Martin Gericke)

Sonntag, 27. Dezember 2020

Hilary Mantel: Wölfe



(Übersetzung: Christiane Trabant) 

„‘Und jetzt steh auf.‘

Niedergestreckt, benommen, stumm; er ist gefallen, der Länge nach hingeschlagen auf die Kopfsteine des Hofes. Sein Kopf wendet sich zur Seite; seine Augen richten sich auf das Tor, als könnte jemand kommen, um ihm zu helfen. Ein einziger gut platzierter Schlag könnte ihn jetzt töten.“ (Seite 13)

 

Jetzt also mal was Historisches, aber so richtig. Der da niedergeschlagen wurde, ist Thomas Cromwell. Man schreibt das Jahr 1500. Und der Junge bezieht gerade eine tierische Tracht Prügel von seinem Vater.

 

Kindheit und Jugend von Cromwell sind aber nur insofern interessant, weil sie den Mann formen, um den es hier eigentlich geht. Thomas Cromwell, der vom Gefolgsmann des geschassten Kardinals Wolsey zum engsten Berater des englischen Königs Henry VIII. wird. Vom Sohn eines Schmieds arbeitet er sich empor bis direkt ins Herzzentrum des Königtums. Wie ihm das gelingt, mit welchen Talenten und Fähigkeiten, das beschreibt Hilary Mantel in diesem dicken Brocken an Buch – überaus unterhaltsam.

 

Henry VIII. hat ein Problem. Er hat keinen legitimen Sohn und Erben, und er will seine Ehefrau loswerden, um eine andere zu heiraten. Dummerweise spielt seine Gattin da nicht mit und ist außerdem mit dem europäischen Hochadel verwandt. Und der ist deutlich dagegen, dass der Papst Henry die Scheidung und eine neue Hochzeit erlaubt.

 

Henry und seine Berater versuchen allerhand Tricks, um den päpstlichen Dispens zu erreichen. Auch der mächtige Kardinal Wolsey soll ihm dabei behilflich sein. Für den wiederum arbeitet Thomas Cromwell nach Jahren auf Reisen, die nach und nach aber auch nicht zur Gänze in Rückblenden erzählt werden. Wolsey scheitert und fällt in Ungnade. Aber dem umtriebigen Cromwell gelingt, nicht zusammen mit seinem Förderer unterzugehen. Nach und nach wird er für so viele Adlige unentbehrlich, dass auch der König auf ihn aufmerksam wird. Er bedient sich Cromwells, wie so vieler anderer, um seinen Willen durchzusetzen. Der Anwalt und Politiker Cromwell ist ihm dabei eine bessere Hilfe als alle anderen.

 

Wie kann man sich als allerchristlichster König dem Wort des Papstes widersetzen, ohne zugleich den Glauben infrage zu stellen? Cromwell weiß Rat und findet eine Möglichkeit, den König zum Oberhaupt der Kirche im eigenen Land zu machen, dass er gerade als absoluter Monarch zu festigen sucht. Der kirchliche Sonderweg der anglikanischen Kirche beginnt.

 

Und der Sohn eines Schmieds, der Geschäftsmann wurde und Anwalt und Politiker steht im Zentrum der Macht. Hilary Mantel folgt ihm dabei sehr eng und lässt uns beim Lesen gleichsam in sein Herz und in seinen Kopf schauen. So können wir Cromwell beim Strippenziehen und Schmieden von Allianzen und Abhängigkeiten beobachten. Und obwohl er der ist, der es schafft, so viele Fäden wie kaum jemand vor ihm in der Hand zu halten, bleibt die Diskrepanz zwischen ihm, dem ohne Titel Geborenen, und den ganzen Grafen und Earls um ihn herum überaus greifbar.

 

Rein zufällig hab ich, kurz bevor ich den Roman zu lesen begann, noch die Serie „The Crown“ gesehen. Da ist viel vom Königtum und dessen Selbstverständnis die Rede, auch davon, wie sich das Verhältnis des Adels zum politischen System verhält, in dem die konkrete Politik gemacht, also Macht ausgeübt wird. „Wölfe“ führt zurück in eine Zeit, in dieses System sich noch formte. Und einer, der es maßgeblich mitprägte, ist die Hauptfigur in diesem ersten Band der Tudor-Trilogie von Hilary Mantel.

 

Wer bei diesem Roman so eine klischeebeladene Mantel-und-Degen-Geschichte erwartet, der wird enttäuscht werden. Hilary Mantel beschreibt präzise und erzählt auch nicht einfach nur süffig dahin. Der Roman hat mir zumindest beim Lesen schon einige Aufmerksamkeit abverlangt. Dafür hat er mich aber auch mit einem angenehmen Suchtgefühl belohnt. Ganz passend also zu Weihnachtszeit, Lockdown und dem leicht schwebenden Gefühl zwischen den Jahren.

 

Kurz und gut: Ein wenig wie House of Cards aber mit besseren Kostümen. Lesen!

 

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Montag, 21. Dezember 2020

Frank Schmolke/ Marc O. Seng: Freaks. Du bist eine von uns





"Als Wendy sich von einem freakigen Stadtstreicher überzeugen lässt, ihre Psychopharmaka abzusetzen, macht sie eine unglaubliche Entdeckung: Die Medikamente haben weit mehr im Zaum gehalten als nur ihre Gefühle. Zunächst kann Wendy kaum fassen, wie ihr geschieht. Doch bald findet sie Gefallen an den neu gewonnenen Superkräften, dank derer sie nun all ihre bisherigen Alltagsprobleme mit links aus dem Weg schaffen kann. Ihre neuen 'Talente erwiesen sich aber auch mehr und mehr als Fluch ..." (Umschlagtext)

Gesehen, geblinzelt, gekauft! 🤓
Kater Wutz war ebenso angetan, dass es gleich drei Bilder brauchte. 🐈😅

Sonntag, 20. Dezember 2020

Christoph Hein: Trutz



„In diesen Roman geriet ich aus Versehen oder vielmehr durch eine Bequemlichkeit.“ (Seite 7) 

Mit diesen Worten begrüßt der Erzähler in der Rahmenhandlung dieses Romans, der ein paar einfache Leute zwischen die berüchtigten Mahlsteine der Geschichte wirft. Im Hier und Heute trifft er auf einen grummeligen alten Mann, der eine Veranstaltung in bester besserwisserischer Altherrenmanier stört. Quasi aus Höflichkeit findet sich der Erzähler wieder bei einer ausführlichen Schilderung der Lebensgeschichte der Familie Trutz.

 

Der Vater des merkwürdigen Alten aus der Rahmenhandlung, Rainer Trutz, kam in jungen Jahren so ganz ohne jede Perspektive aus einem kleinen Kaff in Vorpommern ins trubelige Berlin der Weimarer Republik. Mit nicht mehr als seinem Talent fürs Schreiben lernt er eine Mitarbeiterin der sowjetischen Botschaft kennen. Diese Freundschaft wird sein Leben lang anhalten. Über diese Freundin kann er tatsächlich mit Schreiben sein Brot verdienen und sogar seine Frau, eine Gewerkschaftsmitarbeiterin, heiraten. Als sie mit ihrer beider Arbeit ins Visier der Nazis geraten, verhilft ihnen die gut vernetzte Freundin in letzter Minute zur Flucht – nach Moskau.

 

Doch auch im Arbeiterparadies geht es für sie wenig paradiesisch zu. Gewartet hat hier auf sie keiner. Statt zu schreiben, bleibt Trutz nichts weiter übrig, als sich einer Bauarbeiterkolonne anzuschließen, die buchstäblich die Drecksarbeiten beim Bau der Moskauer U-Bahn zu erledigen hat und bunt zusammengewürfelt ist aus Menschen, die in früheren Leben in anderen Ländern ähnlich wie Trutz sicher auch nicht von einer solchen Zukunft geträumt hätten. Während Trutz also im Akkord und in Schichten schuftet, bringt seine Frau das gemeinsame Kind zur Welt und erringt ganz nebenbei die Liebe ihrer Brigade in der Schokoladenfabrik, in der sie selbst schuften muss.

 

Maykl, Trutzens Sohn, ist schließlich niemand anderes als der Alte, den der Erzähler viele, viele Jahre später in Berlin kennenlernen wird.

 

Wiederum durch die Freundin der Familie Trutz machen sie die Bekanntschaft eines Moskauer Professors, der an einer uralten Mnemotechnik forscht, die zunächst auch für die Regierung interessant erscheint. Parallel zu einer Übungsgruppe mit Erwachsenen mit verschiedenen beruflichen Hintergründen unterrichtet der Professor auch Maykl und seinen eigenen Sohn. Die Jungs werden Freunde fürs Leben. Aber die große Geschichte dreht sich unerbittlich weiter und wieder gerät die junge Familie Trutz zwischen deren Mahlsteine.

 

Das Erinnern erscheint der sowjetischen Führung so gefährlich, dass der Professor per Verbannung aus der Geschichte getilgt wird und die Familie Trutz gleich mit. Rainer Trutz überlebt einen langen Marsch in den Gulag getrennt von seiner Familie nicht. Ein kleiner Lichtschimmer glimmt, als zumindest Maykl als junger Erwachsener aber als Waise über Moskau nach Deutschland umsiedeln darf – in das ostdeutsche Nachkriegsdeutschland.

 

Dank der Mnemotechnik des Professors landet Maykl schließlich nach dem Studium in einem Archiv. Aber dieses Nichtvergessenkönnen und -wollen lässt ihn nicht mehr los. Statt ein stilles Glück zu genießen führt ihn auch sein Weg direkt zwischen die Mahlsteine, die der Familie Trutz schon so viel an Hoffnung auf Zukunft zu Asche zermahlen haben.

 

Zu guter Letzt verhilft die Fähigkeit sich zu erinnern Maykl wenigstens dazu, dem Erzähler seine Geschichte darlegen zu können. Hier schließt sich der Kreis.

 

Der Roman ist ein ziemlicher Ritt durch ein halbes Jahrhundert. Das Schicksal der Familie Trutz bietet auch keinerlei Trost. Wie gefährlich Erinnerung in Systemen wie denen werden kann, denen die Familie sich ausgesetzt sah, ist eine bittere Mahnung – aber auch eine Hoffnung. Denn ohne Erinnerung, und sei sie noch so bitter erkauft, gibt es nicht einmal mehr Hoffnung auf eine Zukunft.

 

Christoph Hein erzählt hier mit einer Stimme, die weniger poetisch als dokumentarisch wirkt. Die zeitlichen Sprünge fordern beim Lesen mitunter. Anders als manchen Rezensenten hatte ich aber den Eindruck, dass sie das Ausgeliefertsein der Familie Trutz atmosphärisch gestützt haben. Ich gebe aber auch gern zu, dass ich Heins Romane ohnehin gern mag.

 

Kurz und gut: Eine große Geschichte ganz unaufdringlich erzählt. Lest Christoph Hein! ;)

 

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Dienstag, 15. Dezember 2020

Hallgrimur Helgason: 60 Kilo Sonnenschein


"Das Erwachen der Moderne im tiefen Schnee Islands. Der große Roman von einem der originellsten Autoren des Landes. So schräg und humorvoll, wie man es von Hallgrimur Helgason kennt, so literarisch und episch wie nie." (Umschlagtext)

Titel und Cover hätten mich ja auch so schon neugierig gemacht. Das Interview mit dem Autor bei 'druckfrisch' hat es da nur noch bestätigt. Ich bin sehr gespannt, was mich erwartet. 🤓

(Übersetzung: Karl-Ludwig Wetzig)

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