Montag, 7. März 2016

Julian Mars: jetzt sind wir jung



Für die einen ist es das bittersüß, melancholische Spiel mit dem rückblickenden „was wäre wenn“ – für die anderen ein sehnsuchtsvoller Blick auf die zukünftigen Möglichkeiten. Sind die Figuren und Situationen nur authentisch genug beschrieben, finden sich dann alle wieder in einem dieser coming-of-age Romane, die ich zugegebenermaßen selbst durchaus gern lese.

#julianmars liefert uns genau das in seinem Debutroman. Und das in durchaus gelungener Art und Weise. Er hat eine flotte Schreibe, zeichnet die einzelnen Szenen immer wieder mit Esprit und Witz und füllt so locker und unterhaltsam gut dreihundert Seiten.

Felix Lipfels wächst in einer Hamburger Wohlstandsblase auf. Der Vater ist Journalist, ein Arschloch und ohnehin nie da. Die Mutter ist eine depressive Russin. Emilie, die beste Freundin, ist die Tochter eines Puffbesitzers. Felix ist schwul und hat keine Ahnung, wie das gehen soll, mit dem Erwachsenwerden.

Obwohl er um sich eine illustre Schar an Freunden hat wie Gabriel, einen echten Nerd, der ein ganz unnerdiges, ausschweifendes Sexualleben zu haben scheint, oder auch Tamara Testicles, ein herrlich überzeichnetes Mischwesen, mit ganz sicher das Zwerchfell vibrieren lassenden tiefer Stimme – trotzdem bleibt Felix selbst recht konturlos. Vielleicht liegt es daran, dass er mit wenig Empathie ausgestattet, durch seine Tage driftet.

Der Liebe ist er bisher nur einmal begegnet. Das ist auch der Aufhänger des Romans. Aber die Beziehung mit Martin scheiterte. Der verschwand für ein gutes Jahr spurlos und ist nun unangekündigt wieder zurück. Die Begegnung mit ihm und damit die immer noch ausstehende große Aussprache sind unausweichlich.

In Rückblenden liefert Felix die Vorgeschichte. Ob es nun wirklich fast ein Drittel des Buches gebraucht hätte, in dem sexuelle Eskapaden in aller Breite und Ausführlichkeit beschrieben werden, das sei mal dahingestellt. Wie Felix seinen Martin kennenlernt und die beiden ein Paar werden wiederum beschreibt Julian Mars mit gutem Gespür für das aneinander Herantasten in der Liebe noch nicht zu routinierter junger Menschen und deren Scheitern.

Auch wenn ich die einzelnen Szenen in sich wirklich gut gelungen fand, liegt eine Schwäche des Buches im Zusammensetzen des großen Erzählbogens. Julian Mars liefert richtig viele spannende Aufhänger, deren Verfolgen aus diesem trotzdem gelungenen Debut einen wirklich großen Wurf hätte werden lassen können.

Wenn das Coming Out selbst gar nicht mehr die große gesellschaftliche Hürde darstellt, wie bitte lernt man dann als schwuler Mann erwachsen zu werden? Wie geht man mit Eltern um, die die Sexualität des Sohnes als Ausweis ihrer eigenen Liberalität vor sich hertragen? Warum fühlt es sich so trostlos an, wenn man sich als junger Angehöriger einer gesellschaftlichen Minderheit seinen Platz irgendwie gar nicht mehr so recht selbst erkämpfen muss? Und welche Geschichte steckt eigentlich hinter der Figur der depressiven, russischen Mutter, die einmal im Jahr nach Sankt Petersburg fliegt, um dort tagelang einfach nur vor einem Gemälde in einer Galerie zu sitzen?

Bei aller Kritik, es bleibt ein gutes Debut, das Julian Mars hier vorgelegt hat. Ich bin gespannt, ob er in weiteren Büchern entschlossener seinen erzählerischen Eingebungen folgt.

#lesewinter #roman #albinoverlag #comingofage #comingout #hamburg

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