Für die einen ist es das bittersüß, melancholische Spiel mit
dem rückblickenden „was wäre wenn“ – für die anderen ein sehnsuchtsvoller Blick
auf die zukünftigen Möglichkeiten. Sind die Figuren und Situationen nur
authentisch genug beschrieben, finden sich dann alle wieder in einem dieser
coming-of-age Romane, die ich zugegebenermaßen selbst durchaus gern lese.
#julianmars liefert uns genau das in seinem Debutroman. Und
das in durchaus gelungener Art und Weise. Er hat eine flotte Schreibe, zeichnet
die einzelnen Szenen immer wieder mit Esprit und Witz und füllt so locker und
unterhaltsam gut dreihundert Seiten.
Felix Lipfels wächst in einer Hamburger Wohlstandsblase auf.
Der Vater ist Journalist, ein Arschloch und ohnehin nie da. Die Mutter ist eine
depressive Russin. Emilie, die beste Freundin, ist die Tochter eines Puffbesitzers.
Felix ist schwul und hat keine Ahnung, wie das gehen soll, mit dem
Erwachsenwerden.
Obwohl er um sich eine illustre Schar an Freunden hat wie
Gabriel, einen echten Nerd, der ein ganz unnerdiges, ausschweifendes
Sexualleben zu haben scheint, oder auch Tamara Testicles, ein herrlich
überzeichnetes Mischwesen, mit ganz sicher das Zwerchfell vibrieren lassenden
tiefer Stimme – trotzdem bleibt Felix selbst recht konturlos. Vielleicht liegt
es daran, dass er mit wenig Empathie ausgestattet, durch seine Tage driftet.
Der Liebe ist er bisher nur einmal begegnet. Das ist auch
der Aufhänger des Romans. Aber die Beziehung mit Martin scheiterte. Der
verschwand für ein gutes Jahr spurlos und ist nun unangekündigt wieder zurück.
Die Begegnung mit ihm und damit die immer noch ausstehende große Aussprache sind
unausweichlich.
In Rückblenden liefert Felix die Vorgeschichte. Ob es nun
wirklich fast ein Drittel des Buches gebraucht hätte, in dem sexuelle Eskapaden
in aller Breite und Ausführlichkeit beschrieben werden, das sei mal
dahingestellt. Wie Felix seinen Martin kennenlernt und die beiden ein Paar
werden wiederum beschreibt Julian Mars mit gutem Gespür für das aneinander
Herantasten in der Liebe noch nicht zu routinierter junger Menschen und deren
Scheitern.
Auch wenn ich die einzelnen Szenen in sich wirklich gut
gelungen fand, liegt eine Schwäche des Buches im Zusammensetzen des großen
Erzählbogens. Julian Mars liefert richtig viele spannende Aufhänger, deren
Verfolgen aus diesem trotzdem gelungenen Debut einen wirklich großen Wurf hätte
werden lassen können.
Wenn das Coming Out selbst gar nicht mehr die große
gesellschaftliche Hürde darstellt, wie bitte lernt man dann als schwuler Mann
erwachsen zu werden? Wie geht man mit Eltern um, die die Sexualität des Sohnes
als Ausweis ihrer eigenen Liberalität vor sich hertragen? Warum fühlt es sich
so trostlos an, wenn man sich als junger Angehöriger einer gesellschaftlichen
Minderheit seinen Platz irgendwie gar nicht mehr so recht selbst erkämpfen muss?
Und welche Geschichte steckt eigentlich hinter der Figur der depressiven,
russischen Mutter, die einmal im Jahr nach Sankt Petersburg fliegt, um dort tagelang
einfach nur vor einem Gemälde in einer Galerie zu sitzen?
Bei aller Kritik, es bleibt ein gutes Debut, das Julian Mars
hier vorgelegt hat. Ich bin gespannt, ob er in weiteren Büchern entschlossener
seinen erzählerischen Eingebungen folgt.
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