Montag, 7. November 2016

Nnedi Okorafor: Lagune



Warum müssen Außerirdische, wenn sie denn schon auf der Erde landen, eigentlich immer über New York oder Los Angeles herunterkommen? Erfurt, Kassel oder wenigstens Berlin wären doch auch mal nett, oder?

Ok, ich gebe ja gern zu, dass auch meine Vorstellung für diese Fälle gerade auch nur zu sehr trashigen oder gähnend langweiligen Storys reicht. Wie wäre es stattdessen mit einer chaosträchtigen, farbenfreudigen, quirligen Metropole, in der Arm und Reich aufeinanderprallen, Korruption und Kriminalität echte Wirtschaftsfaktoren sind, weil die Menschen kaum anders überleben können, die für uns Wohlstandsleser abgedreht exotisch wirkt und in der trotzdem ganz normale Menschen leben?

Nnedi Okorafor führt uns in ihrem Roman genau das vor und lässt die fremden Wesen vor der Küste von Lagos, der bevölkerungsreichsten Metropole Afrikas, landen. Am Strand entführen die dann gleich als Erstes einen mit der korrupten Armee hadernden Soldaten, eine für ihren Ehemann viel zu moderne Meeresbiologin und einen in ganz Afrika berühmten Rapper ohne allzu große Starallüren. Damit ist der erste Kontakt hergestellt, und die Hauptfiguren sind ordnungsgemäß eingeführt.

Wie es sich für eine Science-Fiction-Story mit Außerirdischen gehört, dienen diese natürlich zum großen Teil als willkommener Anlass, einen Blick auf uns selbst zu werfen. Wie wir auf das Fremde reagieren, offenbart immer wieder eindringlich, wer und wie wir selbst sind.

Okorafor erzählt dies anhand von Studenten, die sich ihren Lebensunterhalt in Internetcafés mit betrügerischen Mails verdienen, anhand gewalttätiger und machtgieriger Soldaten, anhand eines christlichen, psychopathischen Sektenführers mit Hang zum Luxus und auch anhand einer LGBTTI-Gruppe, die endlich ihre Chance gekommen sieht, sichtbar für die eigenen Rechte einzutreten.

Sie alle könnten unsere Klischees über das Leben in diesem afrikanischen Moloch bedienen, stehen aber gleichsam eher für das postkoloniale Erbe, das afrikanische Gesellschaften zu zerreißen droht zwischen Traditionellem und der Macht, der Gewalt und der Strahlkraft der westlichen Moderne.

Das Eintreffen der Außerirdischen setzt wiederum in den drei Hauptfiguren Kräfte frei, die den tiefen, auch mythischen Wurzeln afrikanischer Kultur entstammen. Diese drei sind es, die im Ringen mit sich selbst, mit ihrer Umwelt als Einzige in der Lage sind, den Besuchern nicht gleich mit Verwertungsfantasien zu begegnen, sondern neugierig und mitfühlend gegenüberzutreten.

Während ich am Anfang des Buches noch den Eindruck hatte, dass die Szenen zu oberflächlich gezeichnet vorbeiziehen, konnte ich mich dann bei herrlich überzeichneten Dialogen köstlich amüsieren. Obwohl sowohl Lagos als Schauplatz und auch die Außerirdischen als die Auslöser der gesteigerten Chaos eigentlich wenig Kontur erhalten, nimmt das dem Fortgang der Handlung nichts.

Ich könnte zwar nach dem Roman noch nicht sagen, was genau Afrofuturismus als literarische Form ausmacht. Wenn Nnedi Okorafors literarischer Sound dem entspricht, dann mag ich ihn aber jetzt schon mal pauschal.

Spannend fand ich auch mal wieder die Beobachtung, wie sehr Satzspiegel und Typografie den Eindruck vom Text beeinflussen. Der recht großzügig und luftig gesetzte Text wirkt damit auf den ersten Blick sehr viel leichter und weniger anspruchsvoll, als er tatsächlich ist. Und das Cover ist in jedem Fall ein ungewohnter Hingucker.

Nach der Ankündigung des Verlages, dass 2017 mehr von Okorafor auf Deutsch erscheinen wird, bin ich nun einfach mal gespannt.

Für die Lektüre des Romans konnte ich ein Rezensionsexemplar des Verlages nutzen.

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