Warum müssen Außerirdische, wenn sie denn schon auf der Erde
landen, eigentlich immer über New York oder Los Angeles herunterkommen? Erfurt,
Kassel oder wenigstens Berlin wären doch auch mal nett, oder?
Ok, ich gebe ja gern zu, dass auch meine Vorstellung für
diese Fälle gerade auch nur zu sehr trashigen oder gähnend langweiligen Storys
reicht. Wie wäre es stattdessen mit einer chaosträchtigen, farbenfreudigen,
quirligen Metropole, in der Arm und Reich aufeinanderprallen, Korruption und
Kriminalität echte Wirtschaftsfaktoren sind, weil die Menschen kaum anders
überleben können, die für uns Wohlstandsleser abgedreht exotisch wirkt und in
der trotzdem ganz normale Menschen leben?
Nnedi Okorafor führt uns in ihrem Roman genau das vor und
lässt die fremden Wesen vor der Küste von Lagos, der bevölkerungsreichsten
Metropole Afrikas, landen. Am Strand entführen die dann gleich als Erstes einen
mit der korrupten Armee hadernden Soldaten, eine für ihren Ehemann viel zu
moderne Meeresbiologin und einen in ganz Afrika berühmten Rapper ohne allzu
große Starallüren. Damit ist der erste Kontakt hergestellt, und die
Hauptfiguren sind ordnungsgemäß eingeführt.
Wie es sich für eine Science-Fiction-Story mit
Außerirdischen gehört, dienen diese natürlich zum großen Teil als willkommener
Anlass, einen Blick auf uns selbst zu werfen. Wie wir auf das Fremde reagieren,
offenbart immer wieder eindringlich, wer und wie wir selbst sind.
Okorafor erzählt dies anhand von Studenten, die sich ihren
Lebensunterhalt in Internetcafés mit betrügerischen Mails verdienen, anhand
gewalttätiger und machtgieriger Soldaten, anhand eines christlichen,
psychopathischen Sektenführers mit Hang zum Luxus und auch anhand einer
LGBTTI-Gruppe, die endlich ihre Chance gekommen sieht, sichtbar für die eigenen
Rechte einzutreten.
Sie alle könnten unsere Klischees über das Leben in diesem
afrikanischen Moloch bedienen, stehen aber gleichsam eher für das postkoloniale
Erbe, das afrikanische Gesellschaften zu zerreißen droht zwischen
Traditionellem und der Macht, der Gewalt und der Strahlkraft der westlichen
Moderne.
Das Eintreffen der Außerirdischen setzt wiederum in den drei
Hauptfiguren Kräfte frei, die den tiefen, auch mythischen Wurzeln afrikanischer
Kultur entstammen. Diese drei sind es, die im Ringen mit sich selbst, mit ihrer
Umwelt als Einzige in der Lage sind, den Besuchern nicht gleich mit
Verwertungsfantasien zu begegnen, sondern neugierig und mitfühlend
gegenüberzutreten.
Während ich am Anfang des Buches noch den Eindruck hatte,
dass die Szenen zu oberflächlich gezeichnet vorbeiziehen, konnte ich mich dann
bei herrlich überzeichneten Dialogen köstlich amüsieren. Obwohl sowohl Lagos
als Schauplatz und auch die Außerirdischen als die Auslöser der gesteigerten
Chaos eigentlich wenig Kontur erhalten, nimmt das dem Fortgang der Handlung
nichts.
Ich könnte zwar nach dem Roman noch nicht sagen, was genau
Afrofuturismus als literarische Form ausmacht. Wenn Nnedi Okorafors
literarischer Sound dem entspricht, dann mag ich ihn aber jetzt schon mal
pauschal.
Spannend fand ich auch mal wieder die Beobachtung, wie sehr
Satzspiegel und Typografie den Eindruck vom Text beeinflussen. Der recht
großzügig und luftig gesetzte Text wirkt damit auf den ersten Blick sehr viel
leichter und weniger anspruchsvoll, als er tatsächlich ist. Und das Cover ist
in jedem Fall ein ungewohnter Hingucker.
Nach der Ankündigung des Verlages, dass 2017 mehr von
Okorafor auf Deutsch erscheinen wird, bin ich nun einfach mal gespannt.
Für die Lektüre des Romans konnte ich ein Rezensionsexemplar
des Verlages nutzen.
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