„Mehrere Jahre sollte Daniel Kaminsky brauchen, um sich an
den pulsierenden Lärm einer Stadt zu gewöhnen, die in allgegenwärtiges
Stimmengewirr eingehüllt war.“ (Seite 17)
Die fröhlich-lärmende Stadt ist natürlich Havanna. Daniel
kam als kleiner Junge hier an, vorausgeschickt von seiner jüdischen Familie,
die noch bis 1939 in Deutschland ausharrte, bevor sie sich schließlich auf der
MS „St. Louis“ einschiffte. Dieses Kreuzfahrtschiff erlangte traurige
Berühmtheit, weil sich auf ihm auf dieser Fahrt 937 jüdische Flüchtlinge
befanden, die darauf hofften, in Havanna ein neues Leben zu beginnen. Angekommen
im Hafen von Havanna, wurde den Flüchtlingen jedoch das Verlassen des Schiffes
verwehrt. Alles Verhandeln hatte keinen Erfolg, die erkauften Passagen und
Einreiseerlaubnisse blieben wirkungslos. Nach Tagen zäher Gespräche wurde das
Schiff zur Abfahrt gezwungen – die Flüchtlinge waren immer noch an Bord. Daniel
wurde im Hafen an der Hand seines Onkels, bei dem er untergekommen war, Zeuge
dieser beschämenden Szene. Das Schiff landete nach weiterer Irrfahrt wieder in
Europa, viele der Flüchtlinge kamen in den Lagern der Nazis ums Leben.
(Mehr über diese beschämende Geschichte findet sich u.a. in
diesen beiden Artikeln, die in der Zeit bzw. im Spiegel erschienen: http://www.zeit.de/online/2009/20/flucht-kuba
sowie http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/judenverfolgung-kreuzfahrt-in-den-tod-a-421002.html
)
Die Geschichte des Schiffes und der Flüchtlinge ist nur der
Ausgangspunkt des Romans, der im weiteren Verlauf von Daniels Leben erzählt. Er
wächst bei seinem Onkel auf, der gläubiger Jude ist, und gerät mehr und mehr in
Streit mit ihm, weil er nur eines sein möchte – ein echter Kubaner. Während der
Onkel an den Traditionen festhält, versucht Daniel alles, um der engen und ihm
engstirnig erscheinenden Welt der jüdischen Gemeinde zu entkommen. Der Gott
seiner Familie und er werden keine Freunde.
Doch auch mit Kuba und Daniel geht es nicht gut. Seine
Eltern führten auf dem Schiff ein Gemälde mit sich, dass sich seit jeher im
Familienbesitz befand und vermutlich ein echter Rembrandt war. Noch im Hafen
vor Havanna sollte es ihre Versicherung werden, an Land gehen zu dürfen, oder
wenigstens Daniels Leben absichern. Doch er verschwand in dunklen Kanälen der
Korruption, wie Daniel sehr viel später herausfindet. Nach dem zunächst
unaufgeklärten Mord an dem korrupten Beamten, bei dem sich dieses Gemälde
befand, verlässt Daniel in den 60er Jahren Kuba mit seiner Frau und lebt fortan
in den USA.
Als dieses Gemälde nun 2007 auf einer Auktion plötzlich
wieder auftaucht, tritt Daniels Sohn in die Geschichte ein. Auf Kuba versucht
er mithilfe des ehemaligen Polizisten Mario Conde Licht in das Dunkel rund um
den Mord zu bringen, dessen Daniel so sehr verdächtig ist, wie auch in die
Geschichte des Gemäldes. Handelt es sich wirklich um einen echten Rembrandt?
Diese Frage führt im Roman zurück in das Amsterdam des
Jahres 1648. Hier lebt ein junger Jude, der nichts mehr begehrt, als bei dem
großen Meister Rembrandt das Malen zu erlernen. Damit verstößt er gegen
jüdische Gebote, was ihn in schwere Gewissensnöte bringt. Er erkämpft sich
seinen Traum, ohne seinem Glauben aufzugeben, verteufelt und verstoßen von
seiner Gemeinde.
Im Havanna der Gegenwart kommt Mario Conde, der sich seit
seinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst als Privatdetektiv in Sachen
antiquarischer Bücher verdingt, bei seinen Ermittlungen an seine Grenze. Auch im
sozialistischen Kuba wuchert die Korruption. Bei seinen Ermittlungen stößt er
auf dunkle Machenschaften von Beamten und schließlich auf einen weiteren Mord –
dieses Mal an einem jungen Mädchen aus der Emo-Szene der Großstadt.
Ein Jude, der der Religion seiner Familie abschwört; ein
anderer Jude, der sich mit seinem Begehren zu malen gegen die Tradition stellt;
ein ehemaliger Polizist, der sich mit seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst
für ein freieres Leben entscheidet; eine Jugendkultur, deren Anhänger*innen
sich bewusst abseits der Gesellschaft stellen – der rote Faden in diesem
backsteindicken Epos ist unübersehbar und erklärt den Titel.
Am stärksten fand ich das Werk von Leonardo Padura in den
Passagen zum Leben von Daniel Kaminsky in Havanna, der Suche von Mario Conde
und in dem langen Teil, der im Amsterdam des Jahres 1648 spielt. Das Auftreten
der kubanischen Emos ist eine grandiose Idee, weil es so herrlich unerwartet
kommt. Aber hier empfand ich den Ton als etwas zu flapsig, was vielleicht an
der Distanz des Älteren zu dieser Jugendkultur liegen mag.
Der erzählerischen Kraft des Buches nimmt dies nichts. Langeweile
oder Langatmigkeit spürte ich an keiner Stelle. Meine Lust, mehr von Padura zu
lesen ist eindeutig geweckt, weil es ihm gelingt, eine in weiten Teilen
tieftraurige Geschichte mit Leichtigkeit und auch Humor zu erzählen. Auch wenn
die Menschen in seinem Roman so oft verzweifeln und an ihrer Gegenwart leiden,
vermeidet er Betroffenheitsklischees.
Kurz und gut: Das gibt eine klare Leseempfehlung. Der Autor
bleibt unbedingt auf der Leseliste! J
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