Montag, 16. September 2019

Roger Willemsen: Wer wir waren. Zukunftsrede



„Es ist jetzt fünf bis sieben Millionen Jahre her, da trennten sich die Hominiden von den afrikanischen Affen. Einstimmig.“ (Seite 7)

„Wenn man es genau bedenkt, ist vom Anfang aller Tage an alles immer schlechter geworden. Luft und Wasser sowieso, dann die Manieren, die politischen Persönlichkeiten, der Zusammenhalt unter den Menschen, das Herrentennis und das Aroma der Tomaten.“ (Seite 8)

Ich vermute ja langsam, dass auch früher schon früher alles besser war. Viel weniger hektisch, irgendwie menschlicher, selbst das Grün dürfte grüner gewesen sein. Obwohl ich mir selbst meine Eltern, bevor sie meine Eltern wurden, genaugenommen auch nur in schwarz-weiß vorstellen kann. In jedem Fall gab es früher ganz sicher mehr Zukunft als heute. Das ist auch ganz logisch, wenn man schaut, wie viel Zukunft heute schon Vergangenheit ist. Wo soll das denn nur hinführen? Und der Klimawandel ist da noch gar nicht eingerechnet.

Zukunft. Mmh …

Ich habe versucht eine Zusammenfassung dieses wirklich nicht langen Textes von Roger Willemsen hinzubekommen und bin gescheitert. Gescheitert, weil selbst beim mehrfachen Lesen mein Hirn damit beschäftigt war, andauernd andächtig und zustimmend zu nicken und dabei zugleich hin- und hergeworfen war von all den kurzen Assoziationen, Erinnerungen und Wiedererkennensmomenten, die beim Lesen so aufplöppten.

Ein mehrfach wiederkehrender Gedanke war, dass es doch eigentlich nicht so schwierig sein dürfte, uns klar zu machen, dass Morgen schon Heute beginnt und mehr ist als die Summe an neuesten Trends und Gadgets, die wir heute erst noch erahnen. Heute dagegen ist banalerweise natürlich eine Summe aus all den Gesterns und dem, was wir heute hinzufügen. Aber ist das dann auch schon gleich Morgen?

Toll an dieser „Zukunftsrede“ von Willemsen finde ich seine Sprache, seinen Tonfall. Jeder wehmütig klingenden Wendung wohnt zugleich ein Funke Hoffnung inne, dass es gar nicht nur so sein müsse. Damit bringt der Text wenigstens bei mir ganz persönlich eine Saite zum Klingen, die für mich immer eine tragende Rolle spielt beim Losspinnen, beim das Gute Sehen. Und plötzlich wächst die Zuversicht, dass auch für mich und die nach mir Kommenden noch genügend Zukunft übrig sein wird, um sie nicht nur anzunehmen sondern anzupacken, durchzuwalken und daraus etwas werden zu lassen, dass uns antreibt und uns voller Hoffnung auf Morgen blicken lässt.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich vor diesem letzten Text von Willemsen noch nichts von ihm gelesen habe. Das schreibe ich nicht, weil irgendeine höhere Literaturinstanz sagt, dass man Willemsen unbedingt gelesen haben müsse, sondern weil ich dieser Rede, dieser Stimme wirklich gern noch weiter zugehört hätte.

Im Klappentext und der editorischen Notiz zum Text wird beschrieben, dass Roger Willemsen ein Buchprojekt vorhatte, das er mit dem Bekanntwerden seiner Erkrankung zur Seite legte. Die Zukunftsrede ist Teil des Buches, das nicht weitergeschrieben wurde. Das Thema war ein Blick auf uns heute – mit den Augen zukünftiger Generationen. Auch dieses Drumherum zu diesem Text hebt ihn noch weiter hervor und fügt eine weitere Nuance hinzu, die ihn zum Klingen bringt.

Kurz und gut: Diesen Text werde ich immer mal wieder gelesen haben. Und es wird immer wieder inspirierend gewesen sein. Lesen!

#lesesommer #essay #rogerwillemsen #fischerverlag #zukunftsrede #zukunft #gestern #heute #gesellschaft #moderne #kultur #debatte #polbil #lesen #bücher #leselust #lesenswert #literatur

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen