Übersetzung: Dirk van Gunsteren
„Den ersten Poliofall in jenem Sommer gab es Anfang Juni, kurz
nach dem Memorial Day, in einem armen italienischen Viertel auf der anderen
Seite der Stadt.“ (Seite 7)
Diese Lobeshymnen, die Verlage auf die Buchumschläge drucken, sind
ja durchaus oft genug mit Vorsicht zu genießen. Bei Philip Roth sind sie leider
kaum mehr übertrieben. 😉
Nach einigen
Ausflügen zu neueren Autor*innen zog es mich mal wieder zu einem der Granden
der zeitgenössischen Literatur hin. Das zog dann eine interessante Unterhaltung
mit unserer Lieblingsbuchdealerin nach sich. Aber der Reihe nach. ^^
Knapp über 200
Seiten – mehr braucht Philip Roth nicht, um seine Geschichte von Mr Cantor im Newark
der frühen Vierzigerjahre zu entfalten. Und die hat es in sich.
Ausgangspunkt ist
die alljährlich wiederkehrende Polioepidemie, die im Jahr, in dem die
Geschichte spielt, besonders grassiert. Teile der Stadt sind stark betroffen,
während im jüdisch geprägten Viertel die Zahlen noch überschaubar bleiben. Mr
Cantor, die Hauptfigur des Buches, ist ein junger Mann, zu klein und mit zu
schlechten Augen für den Dienst in der Army, der als frischgebackener
Sportlehrer die Ferienaufsicht über einen Sportplatz führt. Hier betreut und
trainiert er die Kinder des Viertels, um sie von der Epidemie abzulenken und
zugleich körperlich zu stärken. Alles ist wohlgeordnet, sein Ruf tadellos – bis
die Polio dann doch ihren Weg ins Viertel findet.
Roth erzählt die
Geschichte von Mr Cantor, der alles richtig machen möchte und zugleich auch
geplagt davon ist, nicht wie seine Freunde dem Land im Krieg dienen zu können. Das
kompensiert er mit seinem Engagement für die Kinder des Viertels. Als nach und
nach Kinder, die er betreut hat, erkranken und auch sterben, gelingt es ihm gegen
jede Vernunft immer weniger, das als persönliches Versagen zu verstehen.
Seine Freundin,
die den Sommer über Kinder in einem Ferienlager außerhalb betreut, ihn endlich
überzeugen kann, eine freie Stelle in dem Camp anzutreten, scheint sich für ihn
zunächst alles zum Besseren zu wenden. Doch die Polio macht auch vor dem
entlegenen Ferienlager keinen Halt.
Der namenlose
Erzähler, eines der Kinder aus dem Viertel, berichtet Jahre später von Mr
Cantor und davon, wie dessen Leben nach diesem Sommer der Epidemie weiterlief.
Ein Leben, in dem der aufrechte Mr Cantor das Gefühl der Schuld nie wieder
verlassen sollte.
Schon nach
einigen wenigen Seiten musste ich das Buch gleich zu Beginn atemlos zur Seite
legen. Atemlos, weil ich fasziniert war, wie wenig Roth braucht, um mit einer
dichten Beschreibung, die dennoch unglaublich gut zu lesen ist, das Newark der
Vierzigerjahre zum Leben zu erwecken und die Lesenden direkt auf den Sportplatz
zu katapultieren, wo Mr Cantor gerade eine Pause zwischen den Ballspielen
beaufsichtigt.
Warum gelingt Roth
das so derart mühelos? Wie bekommt er das hin, dass jedes Wort sitzt, ohne zu
pathetisch zu geraten, ja fast nüchtern aber eben doch so lebendig? Warum gibt
es diese Großschriftsteller, die so erfolgreich sind, dass es ja schon fast
wieder gruselig ist. Vergleichbar ist das fast schon mit Musikern, wenn ich an
das eine oder andere Konzert mit den großen Alten denke: Elton John, Sting, Joe
Cocker … Du weißt, was du willst. Und das bekommst du auch, absolut zuverlässig
und ohne Wenn und Aber. Wie machen die das nur?
Ich will gar
nicht die ganze Unterhaltung mit unserer Lieblingsbuchdealerin wiedergeben.
Aber den Kerngedanken, der es auch für mich auf den Punkt brachte, den möchte ich
zitieren: Die haben etwas zu erzählen und nicht nur eine Idee.
Puh, zu diesem
Satz ließen sich ganz vortrefflich unzählige Schreibseminare und Workshops abhalten.
Natürlich ist das auch zugespitzt formuliert, trifft aber eben doch genau den
oft wunden Punkt beim Schreiben. Worum geht es im Kern wirklich? Ist das nicht
vollends klar, fransen Geschichten, selbst wenn sie gut erzählt sind, trotzdem
aus. Das ist, ganz nebenher, gar kein Argument dafür, Autor*innen mit ihren
Büchern nicht auch sich entwickeln zu lassen und sie auch zu lesen, zu
entdecken. Aber für den Moment möchte ich dem beeindruckenden Können von
jemandem wie Philip Roth auch gern einfach huldigen. 😉
Kurz und gut: Was
gäbe ich darum, so schreiben zu können! *seufz* Lesen! 😉
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