Samstag, 22. November 2025

Zoran Drvenkar: ASA


„Sie warten, dass du auftauchst.“ (Seite 7)

Du, das ist Asa. Zu diesem Zeitpunkt ein junges Mädchen, dass unter dem Eis in einem zugefrorenen See schwimmt. Sie, das sind die Jäger. Asa ist ihre Beute, wenn sie es zulässt. Und die Stimme, die hier erzählt, die Asa erzählt, was passiert, das ist Jasper, ihr späterer Mann, den sie ertränken wird.

Dieser Thriller ist eine Familiengeschichte über mehrere Generationen, eine Art Sittengemälde einer dörflichen Gemeinschaft, gestiftet, zusammengehalten und angeführt von Asas Familie. Und es ist eine Geschichte manipulierter, geschundener Kinderseelen.

Geschmiedet aus Fluchterfahrung, Vertreibung und Überlebenskampf zimmern sich Asas Vorfahren eine Ideologie, die Menschen in Jäger und Beute einteilt. Sie träumen von Autarkie und wollen nie wieder Beute sein. Um dies von Generation zu Generation weiterzugeben, ersinnen sie ein System von Ausbildung und Prüfung für ihre Kinder. Im Kampf und im Überleben geschult und trainiert sollen sich als stark genug erweisen, eben keine Beute zu sein. In der Abschlussprüfung geht es um Leben und Tod. Mit dieser Ideologie haben sie in der Gegenwart mehrere Dorfgemeinschaften um sich geschart, die Teil dieses Systems geworden sind.

Asa ist zu gut in dem, wofür sie trainiert wurde und zu wütend darüber, dass die Familie ihren Vater ermorden ließ. Sie wird in ihrem unbändigen Drang nach Rache und danach, dieses krude System ein für allemal abzuschaffen, zur Gefahr für die eigene Familie.

In verschiedenen Kapiteln wechselt Drvenkar die Perspektive zu verschiedenen Personen, deren Bedeutung für die Geschichte sich nach und nach erst erschließt. Die Kapitel zu Asa erzählt durchgängig Jasper, der schon längst tot ist. Jasper, der Teil dieser Gemeinschaft war, Asa über alles liebte und sich dennoch nicht von der Ideologie lossagen konnte, die sie so innig bekämpft.

Natürlich verzichte ich an der Stelle auf ganz viele Personen, Seitenstränge der Geschichte und Spoiler, weil sie in ihrer Fülle tatsächlich einen Reiz dieses Romans ausmachen. Das gilt nicht weniger für die Sprache und das dicht gewebte Erzählnetz und das wirklich gelungene Timing beim Aufbau und Verästeln der Story.

Wenn auch die Story natürlich fiktiv ist, erinnert mich diese Privatideologie doch an neurechte und Reichsbürger-Vorstellungswelten. Dieses Kreisen um die eigene Scholle in größtmöglicher Autarkie, dieses Hineinfantasieren in einen finalen Überlebenskampf, Jäger und Beute als Selektion zu schwachen und damit unwerten Lebens, das vor den eigenen Kindern nicht Halt macht – die Bezüge sind deutlich. Die Darstellung seziert dieses Konstrukt Stück für Stück und dekonstruiert, wie die Hölle im Inneren Einzelner zu einem allumfassenden System werden konnte. Heute können wir sowas in Echtzeit besichtigen, wenn ich neurechte Strukturen im ländlichen Raum denke.

Und, nicht zuletzt, hat mich zuallererst das für den Suhrkamp Verlag wirklich ungewöhnliche Cover zugreifen lassen. Spotlack und Farbschnitt inklusive. Jaja, da werd ich dann doch mal zum Opfer. 😉

Kurz und gut: Das ist Unterhaltung, und zwar gute. Lesen!

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