Donnerstag, 20. November 2025

Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse


„Marschland ist nicht gleich Sumpf.“ (Seite 11)

Ach, es hätte so schön sein können. Eine idyllische, abgeschiedene Marschlandschaft, also Schwemmland an der Küste North Carolinas. In einer kleinen, wackeligen und verwitterten Hütte lebt eine Familie fernab der nächsten kleinen Stadt. Doch nach und nach verlassen alle Kya, das jüngste Kind: erst die Geschwister, dann die Mutter und schließlich der Vater, vor dem die anderen alle geflohen sind.

In Armut und mit nur gelegentlichen Kontakten zu einem Händler lebt die kleine nun allein und schafft es, mit ihrer besonderen Nähe zur Natur, den Pflanzen und den Tieren, tatsächlich zu überleben. Für die Bewohner der kleinen Stadt ist sie fast ein Geist, das Marschmädchen halt. Dass eine Zehnjährige ohne Familie, ohne Schule oder sonst irgendjemanden mitten im Nichts aufwächst, scheint im North Carolina der 60er Jahre niemanden weiter zu stören. Zu starr sind noch die Trennungen in Weiß und Nichtweiß, in Arm und Reich. Wer sollte sich da um das Gesindel in der Marsch kümmern?

Einen Freund allerdings hat Kya – den etwas älteren Tate. Er weiß, dass sie Federn, Muscheln, alles Mögliche in der Marsch sammelt und legt zunächst einfach nur kleine Geschenke auf einem Baumstamm ab, wo sie sie in jedem Fall findet. Nach und nach nähern sich beide an, werden enge Freunde, die die Liebe zur Landschaft und ihren Bewohnern teilen. Da Kyla nicht mehr als nur einen Tag in der Schule war, bringt Tate ihr Lesen und Schreiben bei, versorgt sie mit Büchern, aus denen sie ihr Wissen über die Welt um sie herum ergänzt und erweitert.

Er ist es schließlich auch, der sie ermuntert, ihre Sammlungen und Zeichnungen dazu in Form von Büchern zu teilen. So wird aus dem Marschmädchen eine bekannte Autorin und Forscherin. Nur mit der Liebe bleibt es so eine Sache. Der, der für sie bestimmt zu sein scheint, braucht einen langen Umweg zu ihr. Der, mit dem sie stattdessen zunächst zusammenkommt, belügt, betrügt und benutzt sie.

Achja, einen Tod, der möglicherweise ein Mordfall ist, gibt es auch noch. Es folgen Ermittlungen, die Kya auf die Anklagebank bringen werden. Dort hängt ihr Leben buchstäblich davon ab, dass die Geschworenen über die engen und engstirnigen sozialen Grenzen dieser Zeit hinwegsehen können.

Es hätte so schön sein können. Die Bilder im Buch zeichnen sich im Kopf ja quasi von selbst. Und doch kann ich dem Hype, den der Roman eine Zeit lang erlebt hat, nicht teilen.

Die Geschichte begleitet die Hauptfigur ab einem Alter von vielleicht acht Jahren bis zu ihrem Tod. Hauptsächlich werden ihre Kindheit, Jugend und die frühen Erwachsenenjahre erzählt. Der Rest wirkt etwas wie drangebastelt. Insgesamt empfand ich die Entwicklung der Figur nicht überzeugend. Zu viel blieb für meinen Geschmack offen, was doch wirklich erzählenswert gewesen wäre. Dass eine Zehnjährige es schafft, sich zu ernähren und zumindest genug Geld zu verdienen, um sich das Allernotwendigste kaufen zu können, das bin ich ja gewillt einfach mal hinzunehmen. Aber gerade ihr Aufwachsen in so viel Einsamkeit, die Erfahrung der Natur in dieser Einsamkeit – das bleibt bei Postkartenkitsch stehen. Und der ist nicht einmal besonders poetisch gelungen.

Natürlich fällt einem Mädchen, das unter solchen Bedingungen und fern von sozialen Einflüssen aufwächst, nichts Besseres ein, als sich dann doch irgendwie an die breite Brust eines Sporthelden der Stadt zu wünschen – auch wenn sie ihm letztlich den Laufpass gibt. Es bleibt beim Versuch die sepiagoldene Vergangenheit so zu beschreiben, wie sie vermutlich nie war.

Selbst die Verhandlung, in der die gesellschaftliche Spaltung dieser Zeit, die Vorurteile, die Gewalt gut hätten verhandelt und gezeigt werden können, bleibt blass, nur auf ein bisschen Effekt hin beschrieben, der dann auch nur klischeehaft ausfällt.

Auch die Dialoge wirkten auf mich unglaublich blutleer. Dazu passt, dass so viel im Buch zwar behauptet aber gar nicht erzählt, gezeigt wird.

In den 90ern, meine ich mich zu erinnern, wurden nach erfolgreichen Filmen immer mal wieder „Romane zum Film“ veröffentlicht. Das waren öfter geringfügig aufbereitete Drehbücher, Merchandise halt. Dieses Buch erinnerte mich stark daran. Schade, wirklich schade. Ich hätte es gern gut gefunden.

Kurz und gut: Nur die Verfilmung schauen geht schneller und lässt mehr Zeit für andere Bücher. Muss man nicht lesen!

(Übersetzung: Ulrike Wasel/ Klaus Timmermann)

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