Donnerstag, 15. September 2016

Baru: Die Sputnik-Jahre



Es gibt da so eine Zwischenzeit, in der noch immer die spielerische Unbeschwertheit der Kindheit nachhallt, aber jede kleinste Handlung beginnt, mit unbedingtem Ernst die weiteren Geschicke mindestens der ganzen Welt zu bestimmen. Eben noch waren die Familie, Eltern, Geschwister vielleicht und Verwandte, der Kosmos, in dem dir dein Platz zugewiesen und sicher war. Aber von heute auf morgen liegt das lange zurück, und du findest dich wieder in einer sehr viel größeren Welt.

Da sind die Klassenkameraden, all die anderen auf dem Schulfhof, die Kinder aus der Nachbarschaft, deine Freunde, die du seit euren Sandkastentagen kennst. Plötzlich gibt es nichts Wichtigeres als deinen Platz in der Clique deines Viertels zu finden. Und weil es allen anderen genauso geht, gibt es ein großes Gerangel, das alle mit unglaublicher Ernsthaftigkeit betreiben.

Wie zum Beispiel in den kriegerischen Auseinandersetzungen mit denen aus der Unterstadt. Nur weil da mit Indianergeheul und Pfeil und Bogen aufeinander losgegangen wird, ist das noch lange kein Spaß mehr. Nein, hier geht es um alles.

Ein wenig fühlte ich mich, während ich Igor und seine Clique in einem Industriestädtchen in Lothringen begleitete, an den „Krieg der Knöpfe“ erinnert – und an meine eigene Zwischenzeit. Wahrscheinlich macht genau das auch immer den Reiz solcher Geschichten von damals aus. Gefangen im konkreten Erwachsenenleben, zwischen Anforderungen und eigenen Zielen feststeckend, ist die Erinnerung an dieses herrlich unbeschwerte Dazwischen eingetaucht in sepiafarbenes, mildes Licht.

Baru belässt es aber nicht beim romantisiert gehauchten „Ach, wie schön war das doch damals“. Igors Geschichte spielt in den späten Fünfzigern. Es wird gestreikt, Kommunisten und ihre Gegner halten Kundgebungen ab, selbst in den Familien finden politische Auseinandersetzungen statt – und der Sputnik fliegt.

Mit einem Stil, der das Dazwischen ganz wunderbar einfängt und den Figuren Ernsthaftigkeit und Kindliches gleichermaßen zugesteht, gewährt uns Baru einen mitreißenden und authentischen Blick auf diese inzwischen doch so ferne Zeit.

Beim Schmökern einfach mal ein wenig aus der Zeit purzeln und sich wieder etwas dazwischen fühlen – Check!

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