„Schwungvoll kracht mein kleiner Kinderkörper gegen die
Wohnzimmerwand. Auf allen vieren krieche ich zum Stahlofen in der hinteren Ecke
des Raums. Ich spüre Tränen auf meiner Wange und wische sie weg. Während ich
aufstehe, sehe ich den Behälter mit dem zum Verfeuern zurechtgeschnittenen
Holz. Blitzartig reift ein Entschluss in mir.“ (Seite 9)
Mit einer drastischen Darstellung von Gewalt, Ohnmacht und
Auflehnung beginnt Christian Baron seinen persönlichen Bericht über das
Verhältnis der Gesellschaft zur Unterschicht – und des politisch linken Teils
der Gesellschaft insbesondere.
In der Eingangsszene wird der Achtjährige von seinem
betrunkenen Vater gegen die Wand geschleudert. Der Junge steht schließlich
ohnmächtig wütend, trotzig mit einem über den Kopf erhobenen Holzscheit schlagbereit
vor dem schon wieder apathischen Trinker auf dem Sofa.
Ein zweiter wichtiger Moment, den Baron schildert, ist der
seiner akademischen Abschlussprüfung. Mit Angstschweiß auf der Stirn und zitternden
Fingern bangt er dem Urteil der Prüfer entgegen – und hat es schließlich
geschafft. Der Junge aus der Unterschicht, dessen Weg ganz gewiss nicht in
dieser Weise vorgezeichnet war, hat es zum Akademiker gebracht.
Von früher kenne ich noch den Spruch: „Man bekommt zwar den
Jungen aus dem Dorf, aber nie das Dorf aus dem Jungen.“ Daran musste ich beim
Lesen dieses Buches oft denken, beschreibt Baron doch sehr eindringlich entlang
seiner persönlichen Erfahrungen, wie sehr die Herkunft offenbar am Individuum
haften bleibt, einer vielleicht unsichtbaren, aber immer präsenten und
wahrnehmbaren Aura gleich.
Christian Baron hat sich aus einer nach seiner Schilderung
nahezu beispielhaften Unterschichtenfamilie nach oben gearbeitet. Der Vater ein
Trinker, die Mutter hilflos, bis sie dem Krebs viel zu jung erliegt. Christian
und seine drei Geschwister haben Glück und kommen bei einer Tante unter. Die
dort herrschenden „kleinen Verhältnisse“ eröffneten den Weg des sozialen
Aufstiegs über Bildung. Das Buch schreibt er schließlich als Journalist und
Redakteur bei der Tageszeitung neues
deutschland. Der Ausbruch aus der vorgefertigten Biografie ist also gelungen.
Wie kommt es aber, dass er, der sich seinen Aufstieg im
politisch linken Umfeld erarbeitet hat, immer wieder an Grenzen stieß, die
durch diese Aura des Unterschichtenkindes provoziert scheinen: Unsicherheiten,
wenn alle um einen herum so eloquent die Welt erklären können; Gefühle der
Minderwertigkeit, weil andere so selbstsicher ihren Platz in der Welt
behaupten; der Impuls, sich wegducken zu wollen, wenn die Mittelstandslinken beim
stilechten Rotwein die Nase rümpfen über die sozial Abgehängten und deren
Unfähigkeit, kulturell oder habituell mitzuhalten.
Trotzdem Baron die eigene Biografie als roter Faden seines
Buches dient, beschreibt er doch das gesamtgesellschaftliche Phänomen des
unentwegten Nach-unten-Tretens. Es lässt sich auch bei jenen feststellen, die
selbst nicht viel haben und sich am unteren Rand der Mittelschicht bewegen.
Baron schildert, wie das mediale Bild von der verblödeten, verrohten,
arbeitsscheuen und versoffenen Unterschicht durchsickert und wiederkehrt in
politischen Diskursen à la Hartz IV, aber gleichsam in Haltungen von politisch
links orientierten und aktiven Menschen, die sich letztlich oft genug ebenso
akademisch-elitär gebärden wie andere auch, von denen sie sich eigentlich abzugrenzen
suchen.
Ich habe Barons Buch nicht als Anklage gegen linke
Akademiker gelesen, sondern vielmehr als einen Hinweis darauf, dass die politische
Haltung allein noch keinen besseren Menschen macht. Der Autor liegt mit seinen
Schilderungen und Schlussfolgerungen durchaus im Trend, wenn ich an die
umfangreichen Besprechungen zu Didier Eribon im letzten Jahr denke: Die
Abgehängten unserer Gesellschaft müssen endlich wieder ernst genommen werden, es
muss ihnen eine eigene Stimme zugebilligt werden, und zur Beschreibung der Gesellschaft
sollte endlich wieder auf den Begriff der Klasse zurückgegriffen werden.
Beim Lesen konnte ich in jedem Fall eine ganze Reihe von
Mechanismen wiederentdecken, die ich selbst aus dem politischen Betrieb kenne.
Es bleibt zu hoffen, dass dieses Buch viele Leser*innen findet. Für heftige
Debatten sorgte es wohl schon, wenn ich Gerüchten dazu glauben darf. ^^
Also: Lesen!
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