Dienstag, 4. April 2017

Cormac McCarthy: Die Border-Trilogie



„Die Kerzenflamme und ihr im Wandspiegel gefangenes Ebenbild flackerten kurz auf, als er den Flur betrat; und noch einmal, als er die Tür schloss.“ (Seite 7)

Ich weiß gar nicht mehr so recht, wann ich das letzte Mal einen Western gelesen habe und auch nicht, warum Western irgendwann uninteressant für mich wurden. Natürlich habe ich, wie Generationen vor mir, meinen Karl May mit Begeisterung gelesen. Und zumindest an eine Leseerfahrung kann ich mich noch gut erinnern.

Es muss einer der Old Surehand Bände gewesen sein. In einer Nacht, in der ein kräftig krachender Sommersturm den Dachboden, auf dem mein Zimmer sich befand, zum Knarren, Ächzen und Stöhnen brachte. Ich hatte mich festgelesen an einer Story, in der vom Ku-Klux-Klan die Rede war; es ging brutal zur Sache und war meilenweit entfernt von Karl-May-Kitsch, wie er von den Verfilmungen vermittelt wurde.

Ich muss dreizehn oder vierzehn Jahre alt gewesen sein. Und der Text machte mir Angst. Es fühlte sich so rau, ungebändigt und echt an, dass ich mich nicht traute, das Licht zu löschen und zu schlafen. Also las ich zitternd die ganze Nacht durch, bis ich das Buch durchgelesen hatte. Das Knallen und Fauchen und scheppern auf dem Dachboden tat sicher sein Übriges dazu.

Ob ich nach dieser Nacht weitere Bücher vom Altmeister des Western gelesen habe, daran kann ich mich nicht mehr erinnern und auch nicht, ob das Beiseitelegen eines ganzen Genres eine bewusste Entscheidung war. Genauso wenig kann ich mir erklären, warum nun genau die Border-Trilogie von Cormac McCarthy auf meine Leseliste gerutscht ist. Vielleicht brachte die Verlagsbehauptung, dies sei ein „Meilenstein in der Neuerfindung des Western-Genres“ eine nostalgische Seite in mir zum Klingen, die ich vorher lange übersehen hatte.

Um es gleich klar zu sagen, nostalgische Gefühle, Abenteuerromantik, Cowboy-im Sonnenuntergang-Kitsch – all das bietet McCarthy nicht einmal ansatzweise. Gänzlich unpathetisch und fast schon enervierend detailgenau beschreibt er einen mal träge dahinziehenden, kargen Alltag, der auch jederzeit eruptiv ausbrechen kann in kleine, unheimlich große Momente und in pure, nicht einmal notwendigerweise bösartige Gewalt.

Während ich zunächst anhand der Beschreibung der Lebensumstände die Geschichten noch im neunzehnten Jahrhundert verortete – wie das Klischee des Westerns es wohl verlangt – nahm ich im Verlauf erstaunt zur Kenntnis, dass McCarthy eine Welt beschreibt, die vor nicht einmal hundert Jahren im texanisch-mexikanischen Grenzgebiet noch Realität war. Das gegenseitige Abschlachten auf den grausigen Schlachtfeldern der Welt ist hier nur ein vages Hintergrundrauschen, das nicht einmal als das Heraufziehen der Moderne erkannt wird.

Dass die Welt der Figuren im Umbruch ist, zeigt sich viel undramatischer. Ihre Welt sind die Felder, Weiden, Viehherden und vor allem Pferde. Doch die Böden sind zunehmend ausgezehrt. Kleine Farmer und Züchter mussten sich schon immer gegen die wenigen mächtigen Patrone durchsetzen, die die spärlichen Ressourcen in ihren Händen zu sammeln suchten. Nun aber kauft auch die US Army Land auf, Erdölfelder sprießen aus dem Boden und mit ihnen gesichtslose Firmen und Konsortien. Nicht nur, dass dies den Familien die Lebensgrundlage entzieht, es beeinflusst auch ihr Bild von der Welt dramatisch.

Tagelang einen Wolf beharrlich zu verfolgen, dabei mit dem Lauf der kargen Natur zu verschmelzen mit wenig mehr an Besitz, als ein Pferd zusätzlich zum Reiter zu tragen vermag – hier zählt nicht, was du sagst. Darum brauchen sie meist nicht viele Worte. Hier zählt, was du tust. Und alles hat Konsequenzen, die sich kaum nach gut und böse, richtig oder falsch bemessen lassen.

Die Hauptcharaktere sind allesamt unauffällige Außenseiter, die in ihrer Suche nach ihrem kleinen Glück wie aus der Zeit gefallen wirken. Dabei sind sie nicht besonders grantig, kauzig oder sonst irgendetwas in der Art. Um vielleicht doch ein kitschiges Bild zu bemühen: Mit ihnen würde ich mich jederzeit an ein Lagerfeuer inmitten der Prärie kauern. Alle halbe Stunde sagte jeder einen Satz. Und es wäre genau richtig so.

McCarthy schafft einen Rhythmus, der sich unglaublich natürlich anfühlt. Nichts an den Stories wirkt gekünstelt oder herbeigeschrieben. Damit schafft er es, dass seitenlang nichts oder kaum etwas passieren kann, und trotzdem konnte ich mich dem nicht entziehen oder hätte mich gar gelangweilt.

Die für uns heute lakonisch anmutenden Dialoge passen genau in diese Welt und lassen erahnen, wie sehr die Welt um uns herum eben nicht nur unsere Sicht auf sie prägt sondern auch unsere Sprache. Mutig finde ich die Entscheidung, einen Teil der Dialoge, die auf Spanisch geführt werden, nicht oder nur paraphrasierend zu übersetzen. Es nimmt dem Verständnis interessanterweise nichts, verstärkt aber den Eindruck von der Welt, in der diese Geschichten spielen.

Das Karl-May-Feeling hat Cormac McCarthy mir nicht zurückgegeben. Dafür aber eine neue Lust am Genre und einen neuen, intensiven Blick darauf.

Kurz: Unbedingt lesen! ;)

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