„Die Kerzenflamme und ihr im Wandspiegel gefangenes Ebenbild
flackerten kurz auf, als er den Flur betrat; und noch einmal, als er die Tür
schloss.“ (Seite 7)
Ich weiß gar nicht mehr so recht, wann ich das letzte Mal
einen Western gelesen habe und auch nicht, warum Western irgendwann
uninteressant für mich wurden. Natürlich habe ich, wie Generationen vor mir,
meinen Karl May mit Begeisterung gelesen. Und zumindest an eine Leseerfahrung
kann ich mich noch gut erinnern.
Es muss einer der Old Surehand Bände gewesen sein. In einer
Nacht, in der ein kräftig krachender Sommersturm den Dachboden, auf dem mein
Zimmer sich befand, zum Knarren, Ächzen und Stöhnen brachte. Ich hatte mich
festgelesen an einer Story, in der vom Ku-Klux-Klan die Rede war; es ging
brutal zur Sache und war meilenweit entfernt von Karl-May-Kitsch, wie er von
den Verfilmungen vermittelt wurde.
Ich muss dreizehn oder vierzehn Jahre alt gewesen sein. Und
der Text machte mir Angst. Es fühlte sich so rau, ungebändigt und echt an, dass
ich mich nicht traute, das Licht zu löschen und zu schlafen. Also las ich zitternd
die ganze Nacht durch, bis ich das Buch durchgelesen hatte. Das Knallen und
Fauchen und scheppern auf dem Dachboden tat sicher sein Übriges dazu.
Ob ich nach dieser Nacht weitere Bücher vom Altmeister des
Western gelesen habe, daran kann ich mich nicht mehr erinnern und auch nicht,
ob das Beiseitelegen eines ganzen Genres eine bewusste Entscheidung war.
Genauso wenig kann ich mir erklären, warum nun genau die Border-Trilogie von
Cormac McCarthy auf meine Leseliste gerutscht ist. Vielleicht brachte die
Verlagsbehauptung, dies sei ein „Meilenstein in der Neuerfindung des
Western-Genres“ eine nostalgische Seite in mir zum Klingen, die ich vorher lange
übersehen hatte.
Um es gleich klar zu sagen, nostalgische Gefühle,
Abenteuerromantik, Cowboy-im Sonnenuntergang-Kitsch – all das bietet McCarthy
nicht einmal ansatzweise. Gänzlich unpathetisch und fast schon enervierend
detailgenau beschreibt er einen mal träge dahinziehenden, kargen Alltag, der
auch jederzeit eruptiv ausbrechen kann in kleine, unheimlich große Momente und
in pure, nicht einmal notwendigerweise bösartige Gewalt.
Während ich zunächst anhand der Beschreibung der Lebensumstände
die Geschichten noch im neunzehnten Jahrhundert verortete – wie das Klischee
des Westerns es wohl verlangt – nahm ich im Verlauf erstaunt zur Kenntnis, dass
McCarthy eine Welt beschreibt, die vor nicht einmal hundert Jahren im
texanisch-mexikanischen Grenzgebiet noch Realität war. Das gegenseitige
Abschlachten auf den grausigen Schlachtfeldern der Welt ist hier nur ein vages
Hintergrundrauschen, das nicht einmal als das Heraufziehen der Moderne erkannt
wird.
Dass die Welt der Figuren im Umbruch ist, zeigt sich viel
undramatischer. Ihre Welt sind die Felder, Weiden, Viehherden und vor allem
Pferde. Doch die Böden sind zunehmend ausgezehrt. Kleine Farmer und Züchter
mussten sich schon immer gegen die wenigen mächtigen Patrone durchsetzen, die
die spärlichen Ressourcen in ihren Händen zu sammeln suchten. Nun aber kauft
auch die US Army Land auf, Erdölfelder sprießen aus dem Boden und mit ihnen
gesichtslose Firmen und Konsortien. Nicht nur, dass dies den Familien die
Lebensgrundlage entzieht, es beeinflusst auch ihr Bild von der Welt dramatisch.
Tagelang einen Wolf beharrlich zu verfolgen, dabei mit dem
Lauf der kargen Natur zu verschmelzen mit wenig mehr an Besitz, als ein Pferd zusätzlich
zum Reiter zu tragen vermag – hier zählt nicht, was du sagst. Darum brauchen
sie meist nicht viele Worte. Hier zählt, was du tust. Und alles hat
Konsequenzen, die sich kaum nach gut und böse, richtig oder falsch bemessen
lassen.
Die Hauptcharaktere sind allesamt unauffällige Außenseiter,
die in ihrer Suche nach ihrem kleinen Glück wie aus der Zeit gefallen wirken.
Dabei sind sie nicht besonders grantig, kauzig oder sonst irgendetwas in der
Art. Um vielleicht doch ein kitschiges Bild zu bemühen: Mit ihnen würde ich
mich jederzeit an ein Lagerfeuer inmitten der Prärie kauern. Alle halbe Stunde
sagte jeder einen Satz. Und es wäre genau richtig so.
McCarthy schafft einen Rhythmus, der sich unglaublich
natürlich anfühlt. Nichts an den Stories wirkt gekünstelt oder
herbeigeschrieben. Damit schafft er es, dass seitenlang nichts oder kaum etwas
passieren kann, und trotzdem konnte ich mich dem nicht entziehen oder hätte
mich gar gelangweilt.
Die für uns heute lakonisch anmutenden Dialoge passen genau
in diese Welt und lassen erahnen, wie sehr die Welt um uns herum eben nicht nur
unsere Sicht auf sie prägt sondern auch unsere Sprache. Mutig finde ich die
Entscheidung, einen Teil der Dialoge, die auf Spanisch geführt werden, nicht
oder nur paraphrasierend zu übersetzen. Es nimmt dem Verständnis
interessanterweise nichts, verstärkt aber den Eindruck von der Welt, in der
diese Geschichten spielen.
Das Karl-May-Feeling hat Cormac McCarthy mir nicht
zurückgegeben. Dafür aber eine neue Lust am Genre und einen neuen, intensiven
Blick darauf.
Kurz: Unbedingt lesen! ;)
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