Donnerstag, 4. April 2019

Elena Ferrante: Meine geniale Freundin. Band 1 der Neapolitanischen Saga



„Heute Morgen hat mich Rino angerufen, ich dachte, er wollte wieder einmal Geld, und wappnete mich, es ihm zu verweigern. Doch der Grund seines Anrufs war ein anderer. Seine Mutter war unauffindbar.“ (Seite 17)

Jaja, natürlich hatten alle Recht, die in der ersten Welle vom #ferrantefieber erfasst wurden. 😉 Dass ich all den gesungenen Lobliedern gar nicht widersprechen möchte, zeigt vielleicht das Foto. Immerhin fand Band 2 der Saga, gleich als ich den ersten beendet hatte, den Weg auf meinen Lesestapel – nach ganz oben. ^^

Ferrante schafft es tatsächlich auf angenehm-leichtfüßige Weise sowas wie Binge Reading zu provozieren, dass ich neidlos anerkennen muss: Die Frau kann echt unglaublich gut erzählen.

Gibt es eigentlich noch jemanden, der oder die eine Inhaltsangabe braucht? 😉

Na gut, vielleicht so viel: Im Neapel der fünfziger Jahre wachsen zwei Mädchen in einem Viertel auf, in dem rohe Umgangsformen, Armut, Ausbeutung und eine sehr traditionelle Lebensweise vorherrschen. Aus der zögerlich wachsenden Zuneigung der Mädchen wird – so viel ist bei den insgesamt vier Bänden kein Geheimnis – eine lebenslange Freundschaft.

Aber diese Freundschaft hat es doch ziemlich in sich. Elena, die Erzählerin, beschreibt sich selbst als die weniger Begabte, weniger Attraktive, als die Gewöhnlichere von den beiden. Lila hingegen ist ein nicht zu bändigender Wildfang, willensstark und unbeugsam, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat.

Die Kinder- und frühen Jugendjahre, um die es im ersten Band geht, sind geprägt von ständigem Wettkampf zwischen den beiden, der keine großen Erklärungen braucht. Ob in der Schule oder bei Mutproben – was Lila mühelos zuzufallen scheint, muss sich Elena hart erarbeiten, blüht aber dabei auf, wenn sie die Zweite nach Lila sein kann.

So richtig klar, warum genau die beiden Mädchen und jungen Frauen eigentlich befreundet sind, ist mir immer noch nicht klar. Diese Faszination, die Menschen auf andere ausüben können, auch wenn es keine letztgültige Erklärung dafür gibt, die kenne ich aber wohl. Vielleicht ist auch das ambivalente im Verhältnis der Mädchen zueinander, das angezogen und auch wieder abgestoßen werden, die wechselseitigen Nadelstiche beim Wetteifern – vielleicht ist es auch genau diese Ambivalenz, die die Geschichte dieser Freundschaft so anschlussfähig macht.

Auf vier Bände wäre Ferrante sicher nicht gekommen, wenn sie ihre Coming-of-Age-Geschichte nicht auch mit hinreichend Hintergrund und Nebenfiguren gespickt hätte. Binnen kürzester Zeit gelingt ihr ein erzählerischer Sog, der das Viertel, in dem die beiden leben, lebendig werden lässt. Um die Charaktere greifbar werden zu lassen, braucht sie nicht viele Worte.

Das Anekdotenhafte Erzählen bietet genügend Möglichkeiten, das gesamte Personal durch sein alltägliches Agieren sehr real werden zu lassen. Die Familienverhältnisse, die Rolle der Mütter, die Art und Weise wie sich die Kinder von klein auf und in die tradierten Rollenbilder fügen und dennoch glauben, sie würden es so viel anders machen als ihre Eltern – all das lebt, krakeelt und schimpft und liebt herrlich bunt und durcheinander.

Ferrantes Art, all die vielen kleinen Situationen und Anekdoten zu verknüpfen, gekonnt zwischen Handlungssträngen hin und her zu schreiben, und am Ende eines fast jeden Kapitels einen Cliffhanger zu platzieren – doch, doch, das macht schon mächtig Spaß beim Lesen.

Dabei verzichtet die Autorin auf langatmige Reflexionen, in der die Handlung und die Spielräume der Figuren ausgeleuchtet werden. Sie lässt die Erzählung ganz dicht an ihrer Erzählerin Elena. Einerseits sorgt das für den erzählerischen Sog, andererseits sind manche der Anekdoten im Grunde aber auch nicht mehr als das und damit noch nicht zwingend große Literatur – um meinen Beitrag fürs Phrasenschwein beizubringen. ^^

Wenn ich das eben Beschriebene als ein Wandeln auf einem Grat verstehe, dann schafft es Ferrante aber tatsächlich nicht zu schwanken und die Balance zu halten. Ich würde das, ich stecke gerade mitten im zweiten Band, als ihre große erzählerische Stärke beschreiben.

Zu guter Letzt sei noch angemerkt, dass ich die Gestaltung und Ausstattung der Taschenbuchausgabe vom Suhrkamp Verlag wirklich sehr gelungen finde. Suchtfaktor beim Lesen, und ich nehme die Bände auch noch sehr gern in die Hand. Alles richtig gemacht. 😊

Kurz und gut: Schon Staffel – ähem Band 1 reicht aus, um wirklich süchtig zu werden. Der einzige Nachteil ist, dass ich jetzt schon weiß, dass nach Band 4 Schluss ist. Und ich sehe dem Serienfinale – ähem Band 4 mit gemischten Gefühlen entgegen. Hoffentlich bald, hoffentlich nicht zu bald. 😉

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