„Ein Blaubär hat siebenundzwanzig Leben. Dreizehneinhalb davon
werde ich in diesem Buch preisgeben, über die anderen werde ich schweigen. Ein
Bär muß seine dunklen Seiten haben, das macht ihn attraktiv und mysteriös.“
(Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär, Seite 6)
Walter Moers als Teenie zu lesen geht voll klar, weil das keine Kinderbücher
mehr sind und noch kein dröger Erwachsenenstoff die Seiten beschwert. In den
Zwanzigern Moers zu lesen passt gut zur künstlich verlängerten Jugend und der Weigerung,
endgültig erwachsen zu werden. In den Dreißigern ist es eine kurze Zeitlang
grenzwertig. Moers in den Vierzigern zu entdecken verspricht den höchsten Genuss.
Vertraut mir, ich weiß, wovon ich rede! 😉
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als bei vielen um mich
herum in den ersten eigenen Wohnungen in den IKEA-Regalen Ausgaben der „13 ½ Leben
des Käpt´n Blaubär“ auftauchten. „Doch, das musst du mal lesen. Das ist voll
gut.“ Damals hab ich andere Bücher für mich entdeckt und war ziemlich genervt
von dem quietschigen Hype von Leuten, die nur keine richtigen Bücher lesen
wollten. Dachte ich mir damals jedenfalls. Und dieses damals ist jetzt auch
schon wieder fast zwanzig Jahre her. ^^
Lange hab ich also nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen, dass da
immer mal wieder neue Moers-Romane aufgetaucht sind. Ob der Hype immer noch so
groß ist, weiß ich gar nicht zu sagen. Jedenfalls haben die Leute von damals
ohnehin schon ihre zweite oder eher dritte Wohnung, wenn nicht ein Eigenheim
und anständige Jobs, wohlerzogene Kinder und die meisten vermutlich eher nicht
mehr so viele Bücher im Regal. Es könnte aber auch sein, dass ich gerade
abschweife. Egal, es ist ja mein Text. ;p
Im letzten Jahr jedenfalls bekam ich ein hinterhältiges Geschenk
zum Geburtstag. Der erste von zwei Bänden der Comicadaption der „Stadt der träumenden
Bücher“ war bereits erschienen. Ich hatte ihn schon in der Hand gehabt, fand
aber immer wieder etwas, was mir interessanter erschien. Zum Geburtstag
schließlich kam ein Päckchen mit eben genau diesem ersten Band. Und es ist nun
wirklich hinterhältig, einem Leser mit Hang zum Sammeln und Horten von irgendetwas
den ersten Band zu schenken. Noch dazu, wenn dicht unter der Haut
Zwangsneurosen hausen wie die, gar nichts gegen Adaptionen zu haben, aber dann
wenigstens das Original zuerst lesen wollen zu müssen. Das letzte Mal zuvor
erhielt ich so ein wirklich schlimmes Geschenk anlässlich der Comicversion von
Stephen Kings „Dunklem Turm“. Und ja, die acht Bände des Romanzyklus stehen
durchgesuchtet im Regal. Ich hatte ja bereits darauf hingewiesen, dass dies
hier mein Text ist. Ich darf also abschweifen, wie und so oft ich will! ^^
Wenn das Original dann aber nicht einmal der erste sondern der
vierte Roman einer mehrbändigen Reihe ist und diese neben den nett gemachten,
günstigen Taschenbuchausgaben auch noch als liebevoll hergestellte und lustvoll
illustrierte Hardcoverausgaben zu haben ist – dann offenbart sich die ganze
Hinterhältigkeit eines solchen vergifteten Geschenks. Buhuuu …
Die Neurose säuselte mir also ins Ohr: Das ist sie, die bisher
ausgebliebene Gelegenheit. Nun hol sie dir schon, diese wunderschönen Bücher.
Am besten alle auf einmal. Sonst gibt es sie womöglich nicht wieder. Und schau,
„Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär“, die ursprünglich nur mit schwarz-weißen
Illustrationen erschienen waren, die gibt es nun sogar in einer aufwendig
kolorierten Ausgabe. Der Kolorist ist zugleich auch noch der junge Zeichner,
mit dem der Moers zusammen die Comicadaption schuf. Wie könntest du also nicht
zugreifen?
Alter, du nervst!
Ich habe die Zwangsneurose ausgetrickst. Von wegen alles auf
einmal kaufen. Ich habe mich auf die ersten drei Bände beschränkt. Band 4 war
dran, als ich Band 3 zu lesen anfing. Band 5 – das ergibt sich ja schon von
selbst. Nur damit die Neurose nicht so scheußlich selbstzufrieden grinsen kann,
habe ich die Bände 6 und 7 gleich zusammen gekauft. Den Weihnachtsband bekam
ich zu Weihnachten geschenkt. Aber Band 8 – den hebe ich mir jetzt einfach noch
auf. Nimm das, du doofe Neurose, und troll dich!
Da ich ja ohnehin vermutlich der Letzte bin, der die Route nach
Zamonien entdeckt hat, brauch ich euch auch nicht mit detaillierten
Inhaltsangaben zu langweilen. Viel mehr beschäftigt mich auch eigentlich die
Frage, was es ist, das diese Romane so
fürchterlich gut verschlingbar macht. Mit welchen teuflischen Tricks schreibt
dieser Moers? Welches so unglaublich süchtig machende Pulver streut er unter
die Worte und zwischen seine Sätze? Gibt es eine anerkannte Therapieform, und
warum sollte sich irgendjemand überhaupt aus Zamonien wieder heraustherapieren
wollen?
Meine erste und grundlegende Erkenntnis ist: Diese Bücher sind ernst
gemeint und darum sind sie echt. Jedes Wort ist wahr!
Das unterscheidet Moers’ Werk von unzähligen anderen Fantasywerken
mit und ohne pädagogischen Anspruch. Diese Romane wollen nicht belehren. Es geht
nicht um „Wir sprechen hier von Wolpertingern, meinen aber natürlich Menschen.
Und du, lesendes Menschlein, lerne nun daraus!“. Damit war der Weg zu einem
x-beliebigen Kinder- und Jugendbuchverlag schon grundlegend verbaut. Puh, ein
Glück aber auch. ^^
Wer bisher glaubte, Walter Moers würde sich als Autor nur hinter den
Erzählstimmen von Käpt´n Blaubär oder von Hildegunst von Mythenmetz verstecken,
dem sei versichert: Wenn eine Welt wie Zamonien so echt ist, dann braucht sie
keine Versteckspiele oder literarischen Rochaden, sondern nur ein Medium mit
der Fähigkeit, bisher Unsichtbares sichtbar zu machen, in Worte zu fassen. Wir
sollten Walter Moers dafür danken, dass er sich dafür hergegeben hat und
hoffentlich weiter hergibt. Schließlich kann sich all diese Gestalten und
Kreaturen und deren Abenteuer ja kein Mensch einfach so ausdenken, oder?!
Ich hab es schon bei den ersten Zeilen des ersten Romans gespürt.
Es kribbelte in der Nase, vibrierte tief in mir drin, so in der Gegend um das
Zwerchfell herum. Wie auf einem silbernen Faden aufgefädelt und durch einen
sanften Wind angepustet tanzte Seite um Seite vor meinen Augen, wirbelten
Volten, Wendungen, schöne Sätze und die Ahnung von monströsem Monstergeschrei
vorbei.
Für die Superskeptischen unter der Leserschaft sorgte Moers mit
den Querverweisen auf das lexikalische Werk von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller vorsorglich
für eine hinreichende und nachweisliche Faktenlage. Wie ich schon erwähnte:
Jedes Wort ist wahr!
Meine zweite Erkenntnis erschüttert jedes postmodern-ironische
Gefüge: Es gibt es noch, das Gute in der Verlagswelt.
Großformatig hergestellte, liebevoll und aufwendig illustrierte,
mit angemessen viel Raum für den Satz versehene, auf elegantem Papier gedruckte
Bücher gibt es nur, wo auch das Gute noch ein Zuhause hat.
Nach Zamonien als Teenager zu reisen macht das Herz weit und weitet
den Blick auf das, was da vor einem liegt und entdeckt werden will. In den Zwanzigern
sorgt eine solche Reise dafür, dass die magischen Kräfte aus Kindheit und
Jugend nicht einfach so verschwinden. In den Dreißigern ist es eine kurze
Zeitlang grenzwertig. Aber Zamonien in den Vierzigern zu entdecken, bedeutet zu
verstehen, dass es nie zu spät ist.
Kurz und gut: Leider hatten alle recht. Würde Walter Moers nicht
von Zamonien berichten, müsste sich dringend jemand finden, der oder die das
nachholt. Lesen! 😉
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