Donnerstag, 4. Juni 2020

Alexi Zentner: Eine Farbe zwischen Liebe und Hass




(Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence)

„Wütend reißt er am Steuer. Er kommt nicht schnell genug weg. Der Wagen stößt vor, ein von einer Tarantel gestochenes Tier.“ (Seite 11)

Alexi Zentner, der US-amerikanische Autor, wuchs als Kind linker Aktivisten auf, die sich in ihrem Umfeld sozial engagierten. Er musste immer wieder erleben, wie sie dafür angefeindet wurden – bis hin zu Brandanschlägen auf das Haus der Familie. Wie er im Vorwort schreibt, wollte er literarisch erkunden, wie es wäre, in einer Familie aufzuwachsen, die diesen Hass pflegt, den seine Eltern zu spüren bekamen. An sich mag ich Geschichten ja gern für sich selbst stehen lassen und schaue eher selten bei Romanen viele biografische Details der Autor*innen nach. In diesem Fall erscheint es mir als Rahmung für diesen Roman aber hilfreich zu wissen, was der Autor selbst über seinen Antrieb schreibt, diese Geschichte zu erzählen.

Nun aber zur Geschichte selbst:

Jessup lebt mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester in einem Wohnwagen etwas außerhalb der Stadt. Die Mutter schuftet sich krumm, Jessup kümmert sich liebevoll um die Schwester. Er geht zur Schule, will bald studieren. Er spielt Football und ist dort genauso gut wie als Schüler. Jessup ist eher still, unauffällig – sofern man das mit seiner Körpergröße sein kann. Ein Bilderbuchsportler halt.

Es gibt noch einen Stiefvater und einen Bruder. Beide sitzen im Knast. Der Bruder für den Mord an zwei schwarzen Studenten, der Stiefvater wegen Beihilfe. In der Stadt ist unumstritten, dass es sich um ein Hassverbrechen gehandelt habe. Schließlich ist der Bruder mit einschlägigen Symbolen tätowiert. Die Familie ist Teil der Heiligen Kirche des Weißen Amerika, die vom Bruder des Stiefvaters geleitet wird.

Jessup träumt sich raus aus diesem Leben, raus aus dem Wohnwagen. Er lernt, um unter den Besten zu sein und weiß, dass einzig ein Stipendium die Tür öffnen kann zu einem anderen Leben. Er besucht weder Bruder noch Stiefvater im Gefängnis und geht seit deren Verhaftung auch nicht mehr mit Mutter und Schwester in die Kirche. Die Tochter des schwarzen Coaches seines Footballteams ist seine Freundin.

Alles gerät ins Wanken am Tag des großen Spiels seiner bisher eher erfolglosen Mannschaft. Am gleichen Tag kommt sein Stiefvater aus dem Knast.

Was folgt ist eine Verstrickung von Umständen, die eigentlich vollkommen willkürlich ist, aber eben alle Beteiligten nur noch nach Mustern agieren und reagieren lässt, die vom Hass gesät wurden.

Ich versuche mal eine Zusammenfassung, ohne allzu viel zu verraten.

Jessup legt einen herausragenden Spielzug hin, bei dem er den Starspieler der anderen Mannschaft hart aber fair angeht und fällt. Der lässt seine Wut an Jessup nach dem Spiel auf dem Parkplatz aus und demoliert dabei das Rücklicht von Jessups Truck. Jessup lässt es sich gefallen, schluckt seine Wut darüber herunter.

Später am Abend gibt es eine Party, bei der Jessup eigentlich nur kurz vorbeischauen will, um später noch seine Freundin zu treffen. Auf der Party tauchen auch Spieler der gegnerischen Mannschaft auf. Eben auch deren Starspieler. Ziemlich angetrunken pöbelt der Jessup vor allen anderen an. Jessup bleibt wieder still. Der Typ zieht ab, Jessup schließlich ebenso. Noch eher losfahren kann, kommt der Pöbler allein mit seinem Wagen zurück und will Jessup erneut angehen.

Jessup steigt in seinen Truck und will nur noch weg. Schnee und Eis, Aufregung und Wut, der Truck bricht beim Anfahren aus, erwischt den stänkernden Typen – und er ist tot.

Ein wirklich tragischer Unfall unter Teenagern. Ruf die Polizei, verdammt, möchte man Jessup zurufen. Genau das macht er nicht. Denn er ahnt, dass das Urteil feststünde, bevor auch nur ein Fingerabdruck genommen würde. Er ist Jessup, dessen Bruder und Stiefvater für ein Hassverbrechen an zwei schwarzen Jugendlichen verurteilt wurden. Der Starspieler, der bei diesem Unfall ums Leben kommt, ist ebenfalls schwarz.

Spätestens ab jetzt laufen hier alle wie auf Autopilot.

Jessups Stiefvater bittet sofort seinen eigenen Bruder, den Chef der Heiligen Kirche des Weißen Amerika, um Hilfe. Der wiederum mobilisiert alles, um aus dem Fall ein Exempel zu kreieren für die Unterdrückung armer weißer Menschen.

Die Polizei erfährt von dem Vorfall auf der Party. Da sie weiß, dass Jessups Stiefvater wieder auf freiem Fuß ist, glauben sie sehr schnell, dass der vertuschte Unfalltod damit irgendwie im Zusammenhang steht, und nimmt Jessup ins Visier.

Jessups Freundin will zu ihm halten. Aber er kann ihr nicht erzählen, was wirklich passiert ist.

Der Coach, der Vater seiner Freundin, fordert, dass er die Liebe zu seiner Tochter aufgeben solle. Es sei egal, ob er wirklich etwas mit dem Unfall zu tun habe oder nicht. Er sei nun einmal der Sohn genau aus der Familie von Hassmördern. Auch wenn er selbst in Ordnung sei.

Das sollte hinreichend andeuten, wie verfahren die Situation für den Teenager Jessup sein muss, der obendrein immer sicherer sein kann, dass jede Chance auf ein anderes Leben nun verspielt ist – ganz egal, ob der Unfall aufgeklärt wird, er schuldig ist oder nicht.

Bisher beherrschte der Gedanke wegzuwollen aus diesem Leben sein Handeln. Von einer politischen Motivation ist nichts zu spüren. Er kann mit der Welt seiner Familie nur einfach nichts mehr anfangen. Aber auf einmal fordern alle, er müsse sich entscheiden. Es gäbe nur ein für oder gegen seine Familie – weil seine Familie eben zugleich für „die Sache“ steht.

Und ehrlich, beim Lesen war ich nicht weniger hin- und hergerissen als Jessup selbst.

Zentner erzählt die Geschichte ohne Schnörkel. Im Zentrum steht Jessup. Wir lesen, was er erlebt und denkt. Der Autor geht dabei keine literarischen Experimente ein, was ab und an zu glatt wirkt. Einerseits hätte ich mir beim Lesen mehr Tiefe der Reflexionen gewünscht. Andererseits geht es ja ausdrücklich um diesen Jugendlichen, wie er ist. Dass mich die Geschichte beim Lesen dann doch zunehmend aufgewühlt hat, nehm ich gern als Zeichen, dass sie gut geschrieben ist und handwerklich nichts zu meckern bleibt.

Das Ende ist – nunja, amerikanisch. Viel Pathos, den ich persönlich nicht unbedingt gebraucht hätte. Aber das kennen wir ja nun auch von Hollywood hinlänglich. Und genießen es dann auch oft genug.

Auch wenn der Roman literarisch nicht unbedingt heraussticht, finde ich die Geschichte selbst aber tatsächlich ungeheuer wichtig. In den USA treibt der erneute Tod eines Schwarzen durch Polizeigewalt unzählige Menschen auf die Straße. Trump polarisiert und provoziert. Und auch hierzulande sind auch mit Corona die AfD, der Rechtspopulismus und zunehmende rechte Hetze ja nicht verschwunden.

Während so viele und zurecht nach Wegen suchen, dem Hass zu begegnen, vergessen wir tatsächlich manchmal auch, dass da Kinder und Jugendliche aufwachsen, deren Eltern genau diesen Hass vertreten und leben – in allen Abstufungen und Varianten, die eine angemessene Differenzierung gebietet. Wie kann man es schaffen, sich davon zu emanzipieren, das Weltbild der Menschen infrage zu stellen, die man selbst vielleicht tatsächlich zunächst nur als liebende Eltern kennt?

Das macht diese Geschichte genau heute erzählenswert.

Kurz und gut: Literarisch ok aber inhaltlich wichtig. Lesen!

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