Sonntag, 21. Juni 2020

Robert Pfaller: Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur




„Ein Erlebnis im Flugzeug auf dem Weg in die USA (noch vor den Präsidentschaftswahlen im November 2016) bildet den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen.“ (Vorwort, Seite 9)

Im Vorspann des Films, den sich der Autor während des Fluges anschauen wollte, wurde er vor „adult language“ gewarnt. Dies nimmt er zum Anlass, den Verlust von Erwachsenensprache zu beklagen, political correctness mit Infantilisierung zu übersetzen und sich im Allgemeinen darüber zu beklagen, dass Diversität, Identitätspolitiken und Diskriminierungsbeauftragte fiese Methoden des Neoliberalismus seien, von den wirklichen und wichtigen Problemen abzulenken.

Ich kann ganz unbefangen vorwegschicken, dass ich beim Lesen dieser Arbeit zwischen Lachen und Kopfschütteln hin und her geschwankt bin. Fast ungläubig nehme ich zur Kenntnis, dass der Text tatsächlich 2017 veröffentlicht wurde und nicht vor 30 Jahren.

Pfaller arbeitet sich an der political correctness ab, die er im Wesentlichen als Sprechverbot und Infantilisierung der Sprache beschreibt. Gendergerechte Sprache, Identitätspolitiken usw. seien, wie er meint, Methoden, die vom Neoliberalismus ersonnen wurden, um uns alle so weit zu individualisieren, dass keinerlei Solidarität mehr möglich wäre. Vermittels dieser Individualisierung würden wir alle Opfern, die nur noch ihr je eigenes Leid sehen und beschreiben könnten. Es entstünde ein gnadenloser Wettlauf darum, wer am meisten Opfer sei. Und wer nicht betroffen ist, dürfe ja ohnehin gar nicht mehr mitreden.

In einem längeren sprachtheoretischen Teil befasst sich Pfaller im Mittelteil mit weißen und schwarzen Lügen, mit der Entstehung von Ressentiments und der Widersprüchlichkeit in der Erwachsenensprache.

Weil es ihm aber offenbar hauptsächlich darum geht, diese böse political correctness zu entlarven, kommt er dann doch auch wieder darauf zurück, was Frauen zum Beispiel mit dem Verlust der Erwachsenensprache anscheinend so alles verloren hätten.

Ok, ich versuche mal ein wenig für mich zu sortieren, warum ich diese Arbeit von Pfaller reichlich unterirdisch, wenn auch irgendwie, auf eine recht krude Art lustig finde.

Die Entdeckung und Politisierung von Identitätspolitiken, die Alltagsdiskriminierungen wegen des Geschlechts, sexueller Orientieren uws. benennen und sichtbar machen, erklärt Pfaller zu Ideen wohlstandsgesättigter Jungakademiker*innen, die mangels eigener Probleme endlich auch mal bedeutsam sein wollten. Der Neoliberalismus greife all dies dankbar auf, wodurch den Menschen Befindlichkeiten eingeredet würden, die ihre Identität ausmachten.

Joar, jetzt könnte man auch auf die Idee kommen, dass Jahrzehnte von Emanzipationsbestrebungen von Frauen, Homosexuellen und anderen womöglich auch etwas damit zu tun haben könnten, dass wir heute über Quotierungen für die Beteiligung von Frauen und Beauftragte gegen Alltagsdiskriminierungen reden können. Aber Pfaller gefällt der Begriff der Befindlichkeit für diese komischen Identitätsdinge so sehr, dass es mir nach dem Lesen wirklich schwerfällt, nicht zu glauben, dass er all das auch für genau das hält: Nichts als Befindlichkeiten.

Er schreibt davon, dass Menschen erst empfindlich gemacht würden – und zwar im Ergebnis von political correctness. Dass Pfaller selbst damit Menschen abspricht, Worte für ihre Identität zu finden und für die Beschreibung dessen, was sie erleben, was sie prägt, ist eine reichlich unverschämte Volte. Er entmündigt damit Menschen in genau der Art und Weise, die er der political correctness vorwirft.

Noch deutlicher und auch kruder wird es für meinen Geschmack, als der Autor nach seinem sprachtheoretischen Exkurs beschreibt, wie komfortabel doch die Situation früher für Frauen gewesen sei. Die auch sprachliche Zuweisung des Passiven an Frauen, habe ihnen doch schließlich den Vorteil gebracht, dass Männer zuerst ihr Interesse bekunden mussten. Frauen wären damit in der vorteilhaften Situation gewesen, dass sie es gewesen seien, die sich die Männer aussuchten. Und weiter dann so: Während die armen Männer ja immer gezwungen waren laut und vorweg zu gehen, hätte dies den Frauen erst die Möglichkeit gegeben, die eigentliche Macht aus der zweiten Reihe auszuüben.

Oha, dann waren die letzten Jahrhunderte geprägt von einem heimlichen Matriarchat – und niemand hat es gemerkt?

Das fiese ist ja, dass Pfaller mit seiner Kritik am Neoliberalismus nicht unrecht hat. Versucht der nicht auch Identitätspolitiken? Ja, macht er. Und Pfaller beobachtet auch richtig, dass es ebenso Verselbständigungen gibt, die sich auf Identitätspolitiken beziehen und dabei in Sprechverbote münden. Und ja, das ist ganz oft eine Diskussion innerhalb einer sehr überschaubaren Blase.

Aber rechtfertigt das, die Themen, die Identitätspolitiken setzen, zu bloßen Befindlichkeiten zu erklären? Zu den berüchtigten Nebenwidersprüchen zu deklassieren?

Wenn Pfaller Erwachsenensprache übersetzte mit sprachsensibel gegenüber Diskriminierungen, die eben auch durch Sprache transportiert werden, dann bliebe genügend Raum für Humor und auch lustvolle Sprache. Deren Verlust beklagt er ja auch, scheint aber dabei nur eine Perspektive der Lust im Blick zu haben. Und das ist nicht die von Frauen oder nicht heteronormativen Menschen.

Kurz und gut: Leider nur eine Befindlichkeitsstudie, die nicht mal merkt, dass sie selbst zum Nebennebenwiderspruch gerät. Lesbar mit Sinn für kruden Humor!

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