Dienstag, 23. Februar 2021

Ocean Vuong: Auf Erden sind wir kurz grandios


(Übersetzung: Anne-Kristin Mittag)

„Lass mich von vorn anfangen.

Ma,

ich schreibe, um dich zu erreichen – auch wenn jedes Wort auf dem Papier ein Wort weiter weg ist von dort, wo du bist.“ (Seite 11)

Dass es manchmal eine ganze Weile dauert, bis ich ein Buch lese, dass frisch auf einen der Lesestapel gekommen ist, hatte ich schon verschiedentlich erwähnt. Mitunter passiert das mit der ganzen Weile auch, bis ich dann doch endlich mal ein paar Zeilen über eines der Bücher vom Gelesen-Stapel schreibe und es nun endlich auch seinen Platz im Regal einnehmen kann. Meine Probleme möchte ich mal haben. 😉

Ocean Vuong also. Ich finde, gut zwei Jahre nach dem Erscheinen der deutschen Ausgabe noch einmal kurz über die Lektüre nachzudenken, ist gar kein schlechter Schnitt. Und – der Text ist es auf jeden Fall wert.

Der Sohn einer vietnamesischen Einwanderin in die USA schreibt seiner Mutter, um sich ihr, um sich sich selbst anzunähern. Sie wird den Brief niemals lesen. Sie ist Analphabetin. Little Dog, so der Name, den er von seiner Großmutter erhalten hat, wächst mit diesen beiden Frauen in ärmlichen Verhältnissen und unter dem steten Alpdruck der Vergangenheit auf. Die Großmutter verliebte sich einst im fernen Vietnam in einen amerikanischen Soldaten und setzte damit alles aufs Spiel. Ihre Tochter wuchs unter dem Eindruck des Krieges auf, den sie auch nicht mehr loswerden wird. Erst der Sohn und Enkel wächst nun in den Staaten auf und findet einen Weg, sich schreibend, lernend ins Leben, in ein eigenes Leben zu kämpfen.

Little Dog ist kein Kosename. Little Dog benennt einen kleinen, hässlichen Hund, den niemand haben will. Was niemand haben will, ist davor geschützt, einfach geraubt und zerstört zu werden. Das ist die Logik von Gewalt, die sich tief in einen Menschen hineingefressen hat. Wenn die Mutter Little Dog schlägt, wird ihn das vor den viel schlimmeren Schlägen von anderen bewahren. Gewalt und Kriegserfahrungen geben den Grundton der ambivalent zärtlichen Verbindung dieser drei Menschen vor. Voung schildert das mit Worten, Wendungen und einem Rhythmus, denen seine Verbindung zur Lyrik sehr zum Gewinn dieses Textes anzumerken ist.

All den brutalen, rohen Momenten gewinnt er damit das Zärtliche ab, ohne dass es nach Stockholm Syndrom klingen würde. Das gilt auch für das Zusammentreffen mit Trevor, einen gleichaltrigen Jungen. Auch er hat keine Erfahrungen mit Zärtlichkeit und kaum mit Nähe. Aber sie kommen einander nah. Zumindest Little Dog wird Trevor erkennen und lieben. Hingebungsvoll, auch wenn das viel zu pathetisch und kitschig klingt. Trevor wird trotzdem weit vor seiner Zeit sterben.

Little Dogs Geschichte, sein Brief an die Mutter – ob das nun wirklich ein Roman ist oder eine Mischform … beim Lesen war mir das sehr schnell egal. Ocean Voungs Sprache sorgte für einen Sog, der mich wie viele andere offenbar auch, in den Text zog. Insofern teile ich gern die Begeisterung, mit der das Buch besprochen und gefeiert wurde.

Kurz und gut: Roman oder nicht – lest Ocean Vuong!

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