Sonntag, 7. November 2021

Caroline Fourest: Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer. Eine Kritik


(Übersetzung: Alexander Carstiuc, Mark Feldon, Christoph Hesse)

„Im Mai 1968 träumte die Jugend von einer Welt, in der es verboten ist zu verbieten. Die neue Generation denkt nur daran, zu zensieren, was sie kränkt oder ‚beleidigt‘.“ (Seite 7)

Spätestens seit in diesem Jahr das Buch „Die Selbstgerechten“ von Sahra Wagenknecht erschien, war die Debatte um Identitätspolitik(en) und wenn ja, wie viel davon, im politisch linken Meinungsspektrum vollends für eine breitere Öffentlichkeit angekommen. Das erhöhte die Unübersichtlichkeit der Diskussionen für Menschen, die nicht jede noch so kleine akademische Debatte verfolgen, ungemein. Immerhin kamen die Stimmen, die sich über political correctness beklagten, das Gendern als den Untergang der Sprache und der Zivilisation schlechthin ansahen, die Geschlechterquoten für einen Angriff auf die armen Männer halten, und die sowieso nicht verstehen wollten, warum jetzt alles Mögliche auch noch umbenannt werden solle – diese Stimmen kamen recht zuverlässig aus dem rechten oder wenigstens konservativen Lager. Wie es kam, dass sich der Disput nun aber auch für eine breitere Öffentlichkeit ins linke Feld verlagerte, darüber lässt sich in diesem schmalen Band der französischen Feministin und Filmemacherin Caroline Fourest nachlesen.

Ich muss gar nicht verschweigen, dass ich nicht jede Schlussfolgerung, Be- oder Zuschreibung der Autorin teile oder ganz nachvollziehen kann. Ein lesenswerter Debattenbeitrag ist dies aber gleichwohl – im Gegensatz zum oben genannten Text von Sahra Wagenknecht, über den ich hier ja auch schon ausführlicher geschrieben habe.

Während sich der Wagenknecht-Text wie eine eher garstige Wiederauflage der Debatte um Haupt- und Nebenwidersprüche las, bei der es um das gegeneinander Ausspielen von sozialer Frage und Freiheitsrechten zu gehen schien, gelingt es Fourest hier viel klarer zu beschreiben, was sie kritisiert. Ansatzweise ordnet sie ein, wo manche Debatte wurzelt. Vor allem aber listet sie jede Menge Anlässe und Vorfälle auf, bei denen sie klare Tendenzen von Sprach- und Gedankenpolizei ausmacht, weil verschiedene Gruppen Debatten oder Ausstellungen oder Theaterstücke etc. zu verhindern suchen.

Sie kritisiert, auch mit drastischen Worten, dass mit dem Einfordern von safe spaces eben auch Räume geschaffen würden, in denen Diskurs nicht mehr stattfindet. Die Besinnung auf die eigene Identität – hier als Teil von Minderheiten, unterdrückten Gruppen etc. – sorge in der Konsequenz dafür, dass sich Bewegungen nur noch auf sich selbst fokussieren und notwendige Solidarität und Gemeinsamkeit damit verschwinde. Dies wiederum öffne dem rechten gesellschaftlichen Rollback Tür und Tor. Dabei träfen die Verdikte derer, die sie identitäre Linke nennt, oft genug gar nicht den politischen Gegner sondern Linke.

Dankbar bin ich, dass Fourest wenigstens an etlichen Stellen Ross und Reiter:in benennt, also für manche der berichteten Episoden konkrete Personen oder Gruppierungen. Dem deutschen Publikum dürften die, wie auch mir, weitgehend unbekannt sein. Sie spielen in Frankreich, den USA oder auch in Kanada. Die Vermutung liegt nahe, dass die Debatten dort tatsächlich auch noch mal anders geführt werden als wir das hierzulande bisher erlebten. Fourests Warnung ist aber klar: Auch Diskurse hier drohen davon in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Insbesondere den Beispielen, die Fourest aus eigenem Erleben schildert, kann ich nicht absprechen, dass sie überaus drastisch und vollkommen überzogen wirken. Offen bleibt für mich aber dennoch die Frage, wie es sein kann, dass ursprüngliche Kleinstgruppen aus anscheinend akademischen Blasen derart wirkmächtig werden konnten, dass auch Öffentlichkeiten, Institutionen sogar Medien nach deren Verdikten richten. Wenn die Generation, die Fourest hier beschreibt die politische Enkel- oder Kindergeneration der Linken ist, die heute im zumindest gesetzten Alter ist, dann stellt sich auch die Frage, was da an Generationentransfer falsch gelaufen sein mag.

Fest scheint mir zu stehen, dass da Welten aufeinandertreffen, die sich in den Debatten nichts nehmen und fast unversöhnlicher miteinander ringen als mit dem politischen Gegner auf der Rechten.

Kurz und gut: Streitbar aber unbedingt lesenswert, auch weil Caroline Fourest lesbar zu beschreiben und zu argumentieren versteht. Lesen!

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