(Übersetzung: Karin
Krieger)
„Von Oktober 1976 bis
zu der Zeit, als ich 1979, nach Neapel zurückzog, vermied ich es , wieder feste
Beziehungen zu Lila aufzubauen.“ (Seite 17)
Vier Bände lang bin ich
jetzt hin und her geschwankt zwischen einmal komplett Durchsuchten und dem
erstmal Sacken lassen der einzelnen Teile. Vollkommen erwartbar war natürlich,
dass es dann auf einmal vorbei ist. Fast ein ganzes Leben auf mehr als 2.000
Seiten (ohne nachschauen 😊). Puh! So viel kann ich schon mal verraten,
ich hab das Schmökern bis zum Ende zutiefst genossen.
In Band 4 kommt die
Geschichte von Elena, die immer auch die Geschichte von Lila und zahlreichen
anderen Figuren ist, in den Achtzigern an. Elena hat beruflich und privat mehr
als einmal Hochzeiten und Niederlagen erfahren. Sie genießt den Erfolg, wenn er
sich einstellt, in vollen Zügen, ist aber weiterhin voller Selbstzweifel, wenn er
ausbleibt. Wie sehr Persönliches und Öffentliches sich vermischen zeigt sich,
wenn Elena als erfolgreiche Autorin viel reist, öffentlich auftritt und
entsprechend wenig Zeit für ihre Kinder hat. Genau das verpasst ihrem
Hochgefühl dann auch sofort einen Dämpfer, wenn es eben nicht läuft.
Dass Elena nach ihrer Entscheidung
für den Liebhaber und gegen den Ehemann gleich auch noch all die erwartbaren
Fallstricke zu meistern hat, inklusive des Urteils der Menschen um sich herum,
macht es nicht besser. Aber auch hier gelingt es der Autorin einmal mehr in
bester Art und Weise, aus der Geschichte eben kein Rührstück zu machen. Elena ist
an keiner Stelle nur die egoistische Frau, die nur an sich und ihre Kariere
denkt, sie ist aber auch nicht einfach nur die arme hilflose Frau ohne Mann.
Elena Ferrante zeichnet
eine Realität von Frauen in einer gnadenlos patriarchalen Gesellschaft, die so
auch für andere Zeiten und andere Orte Gültigkeit beanspruchen kann.
Mehr als einmal musste
ich an Geschichten denken, die mir meine eigene Mutter erzählte, aus den ersten
gut zehn Jahren meines Lebens, in denen sie mich als Alleinerziehende aufzog.
Was wurde im Dorf, in dem wir damals lebten, nicht geschaut und geunkt, ob die
junge Frau das denn auch richtig macht. Geht sie arbeiten, was das richtig.
Arbeitete sie in Schichten war das natürlich gefährlich nah an der Vernachlässigung
ihres Sohnes. Lernte sie Männer kennen, wurde sofort gegafft und bewertet. Dass
sie Typen, bei denen sie feststellen musste, dass sie Interesse an ihr aber
nicht an ihrem Sohn hatten, sofort abschoss, hat selbstverständlich kaum jemand
wahrgenommen.
Bei Ferrante geht es
aber natürlich nicht nur um alleinerziehende Frauen, sondern ums Ganze. Wie ein
roter Faden zieht sich durch alle vier Bände, was Menschen einander so antun.
Männer den Frauen, Frauen aber auch anderen Frauen, Erwachsene den Kindern –
und mit dem Blick aus dem Jahr 2021 und mit all den feministischen und
identitätspolitischen Debatten im Hinterkopf bleibt nur das verwunderte
Augenreiben – und zwar nicht, weil das alles Geschichte wäre. Beileibe nicht.
Dass die Hauptfigur
Elena sich als feministische Autorin einen Namen machen kann, bietet natürlich
die kongeniale Möglichkeit, ihr Leben auch etwas analytischer zu schildern.
Feminismus und auch die Klassenfrage werden so ganz praktisch greifbar.
Elena Ferrantes
Verdienst ist es für mich, einen zutiefst feministischen und humanistischen
Blick auf die Gesellschaft aufgemacht zu haben, ganz ohne Moralkeule und obendrein
einfach gut erzählt. Wer Debatten wie #metoo und andere heute für abgehoben akademisch
hält, dem sei die Neapolitanische Saga wirklich dringend ans Herz gelegt. Und
allen, die gute Literatur mögen, die etwas zum Blick auf uns beitragen kann,
ohnehin.
Ein bisschen gespannt
bin ich, nebenher gesagt, auch auf die Verfilmung als Serie, die bei diesen
Bänden tatsächlich nahe liegt. Vermutlich ist die Chance darauf, dass sie
gelungen ist, ebenso groß wie das Gegenteil. 😉
Kurz und gut: Meiner Mutter
schenke ich normalerweise keine Bücher. Den ersten Band habe ich ihr aber schon
zukommen lassen und hoffe sehr, dass sie Lust auf die ganze Reihe bekommt.
Lesen!
#leseherbst #roman #elenaferrante #suhrkamp #italien #neapel
#80er #frauenleben #freundschaft #liebe #feminismus #debatte #klasse #ferrantefieber
#lesen #leselust #lesenswert #bücher #literatur