„Wo ist deine Mutter?
Sie wollte dir doch Reis mit Bohnen kochen, wenn du nach Tokyo …“
(Seite 7)
Ein junger Mann steht am Bahnsteig und wartet auf den Zug, der ihn
aus dem Provinzkaff hinaus in die Welt bringen wird. Die Welt – das ist in den
zwei dicken Bänden dieses Mangas Tokyo. Es sind sie 60er Jahre, die auch in
Japan für eine ganze Generation eine Suche nach dem richtigen Leben bedeuten,
das Hin- und Hergerissensein zwischen alten, konservativen Werten der
Gesellschaft und dem Leben der eigenen Individualität.
So fern diese Zeit selbst heute hier für uns ist, so fremd und
vertraut zugleich mutet die Geschichte der „jungen Männer, die kein Glück haben“
an. Ich bin kein Kenner der japanischen Kulturgeschichte und daher dankbar für
die in beiden Bänden erhaltenen Erläuterungen von popkulturellen Verweisen und
Referenzen in der Geschichte. Auf Kenzaburo Oe und Takeshi Kitano wird
verwiesen aber auch auf einen bekannten Serienmörder dieser Zeit und auf viele andere.
Auch von Studentenrevolten in Japan hatte ich bisher keine Kenntnis. Das
Funktionieren der sehr konservativen und hierarchischen Gesellschaft Japans ist
mir, wie wohl den meisten hierzulande, eher schemenhaft bekannt.
Dass junge Menschen sich an solchen gesellschaftlichen Strukturen
abkämpfen, gegen ihre Eltern revoltieren, deren Handeln in Frage stellen, das
wiederum sind Geschichten, die nur allzu vertraut klingen. Hier wie da traf
eine Jugend im Aufbruch auf eine Elterngeneration, deren eigene Geschichte
verwirrend genug war. Warum also sollte diese Art zu leben Vorbild sein für die
junge Generation?
Die zwei Bände erzählen die Geschichte von jungen Leuten, die
einerseits getrieben sind von ihren eigenen Träumen und Hoffnungen, sich
andererseits aber auch nicht ohne weiteres aus den gesellschaftlichen
Zusammenhängen, in denen sie leben, befreien können. Ein paar Freunde träumen
davon, einen Film zu drehen. Um das zu finanzieren sehen sie keine andere
Möglichkeit als einen Geldtransporter zu überfallen. Das Drehbuch dafür ist das
Drehbuch für ihren Film.
Der Überfall klappt – nur dass eine andere Gruppe ihnen die Beute
gleich wieder abnimmt, um ihren Kampf gegen das System zu finanzieren. Sie
gehören zu den revoltierenden Studenten, die ein Universitätsgebäube besetzt
halten. Dass schnell aber auch persönliche Motive wie Geltungssucht, Gier etc.
den revolutionären Anspruch trüben – nunja, manchen klingt halt eben doch
vertraut.
In dieser recht trostlosen Atmosphäre sucht die Hauptfigur, die dem
erwähnten berüchtigten Serienmörder nachempfunden ist, aber auch das kleine
Glück, ein wenig Liebe. Zwischen zwei Frauen ist er hin und her gerissen, die
wie die zwei Seiten einer Persönlichkeit wirken. Ganz nüchtern zeigen Otsuka
und Fujiwara kleine und zarte Gesten und Momente, die wie einsame Blumen in
einer kargen, unwirtlichen Gegen blühen und dem steten Sturm standzuhalten
versuchen.
Die detaillierten Zeichnungen transportieren die Geschichte für
meinen Geschmack grandios. Die Dialoge und Schnitte entsprechen meinem Klischee
im Kopf von „das ist so japanisch“. Dem Eintauchen in die dichte Atmosphäre und
dem Lesegenuss tat das für mich aber wirklich keinen Abbruch.
Eine gute Bereicherung sind die Nachworte in beiden Bänden, in
denen man zum Beispiel erfährt, dass die Covergestaltung sind angelehnt an originale
Fahndungsplakate.
Kurz und gut: Absolut lesenswert - ein intensiver Einblick in hierzulande
fast unbekannte historische Momente Japans.
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