„Es roch nach frischer Minze.
Pablo Calero gab grünen Tee, reichlich Zucker und frische
Minzblätter in die Zinnkanne und füllte sie mit heißem Wasser auf. Tee
zubereiten war seine Sache.“ (Seite 5)
Frische Minze zieht sich gleichsam als – ähem – grüner Faden durch
die Geschichte, die mit Pablos Entschluss beginnt, nach Marokko zu reisen. Mit
seiner Mutter lebt er, gerade Neunzehn geworden, in Barcelona. Vor einigen
Jahren, er war zehn oder elf Jahre alt, strandete er mit ihr in der Stadt.
Aufgebrochen waren sie zunächst in Marokko, in Bab-Qarfa im Rif-Gebirge.
Der Roman erzählt also von einer Rückkehr ins Land der Kindheit.
In Rückblenden, die den Hauptteil der Erzählung ausmachen, lernen wir Lina und
Gustavo kennen, Pablos Eltern. Als junges Paar entflohen sie der
Perspektivlosigkeit im Spanien unter Franco und gingen nach Marokko, um sich
dort ein neues, besseres Leben aufzubauen.
Leider ging es mit ihnen und ihrer Ehe nicht lange gut. Gustavo
arbeitete als Holzfäller und war selten zuhause, dann aber meist betrunken.
Pablos Geburt vermochte daran nicht so viel zu ändern. Ein tragischer Unfall
lässt Lina und Pablo allein zurück in der Garnisionsstadt.
Das spanische Militär sorgt dafür, dass die spanische und die
einheimische Bevölkerung nicht zuviel miteinander zu tun haben. Aber auch unter
den Spaniern gibt es feine Unterschiede. Das seit dem Tod des Vaters zunehmend
schweigsame und eher wunderliche Kind Pablo schließt Freundschaften mit einigen
exotischen Gestalten in diesem Mikrokosmos. Deren Geschichten, die der Autor
immer wieder einstreut, fächern das Leben in dieser Enklave immer weiter vor
uns auf.
Da ist die feine Gesellschaft, der die Familie des Kommandanten
angehört, des Arztes, der Priester, die Offiziere. Sie halten viel auf sich und
deutlichen Abstand zur einfachen spanischen Bevölkerung, die sich als Arbeiter
oder Händler verdingen und ein wenig wie Glücksritter auf mehr Glück und Erfolg
hoffen, als ihnen in Spanien selbst sicher gewesen wäre. Die Einheimischen
geraten da fast zur Staffage, als Diener, Botengänger vielleicht noch Händler.
Marokko, das ist das Umland, in das spanische Zivilisten ohnehin kaum einen Fuß
setzen.
Als Witwe mit Kind hängt Lina zwischen alledem, kann sich aber
zumindest mit Handarbeiten über Wasser halten. Ein kleines Netzwerk von engen
Freunden bietet ihr Halt; dies sind auch die prägenden Freunde von Pablo.
Mit der Unabhängigkeit Marokkos 1956 endet das fast schon
beschauliche Leben in Bab-Qarfa für Pablo und Lina, die sich entschließt, mit
ihrem Sohn zurück nach Spanien zu gehen. Pablo muss seine Freunde zurücklassen
und nimmt eine ganze Menge aufkeimende Fragen mit. Genau die führen ihn nun,
gerade erwachsen geworden, wieder zurück.
Viel hat sich geändert in der kleinen Stadt. Vor allem scheint
niemand mehr da zu sein, von den Freunden, die er kannte. Fast schon auf der
Rückreise findet er dann doch noch einen alten Bekannten, der mit gemeinsam mit
seinem Freund eine Fahrradwerkstatt in Tanger betreibt. Hier gelingt es Pablo
auch endlich, sich Fragen zu sich selbst zu stellen. Er wird dort noch eine
Weile bleiben.
Gregorio Ortega Coto bietet in seinem Roman unglaublich viele
kleine Geschichten, die sowohl das Leben unter Franco in Spanien aber vor allem
in der Kolonie Marokko eindringlich illustrieren. Pablos Reise ins Land seiner
Kindheit liefert die Rahmenhandlung. Allerdings hatte ich beim Lesen immer
wieder das Gefühl, die wechselnden Szenen stünden ab und an etwas unverbunden
nebeneinander. Dem Lesevergnügen tat das nicht zwingend einen Abbruch, da Coto
wirklich Interessantes zu erzählen weiß und Land und Leute lebendig werden
lässt.
Aufgefallen ist mir außerdem, dass sich ganz viele Formulierungen
finden, bei denen zwar irgendwie klar ist, was gemeint ist, aber sie wirken
dennoch immer wieder wie knapp danebengegriffen. Irgendwie ist das trotzdem
nicht wirklich schlimm, nur ein wenig irritierend.
Kurz und gut: Ein interessanter Ausflug ins koloniale Marokko der
frühen 50er Jahre – mit etwas erzählerischer Luft nach oben. Wer das Thema
reizvoll findet, wird hier nicht enttäuscht werden.
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