Samstag, 23. Februar 2019

Gregorio Ortega Coto: Marokkanische Minze



„Es roch nach frischer Minze.
Pablo Calero gab grünen Tee, reichlich Zucker und frische Minzblätter in die Zinnkanne und füllte sie mit heißem Wasser auf. Tee zubereiten war seine Sache.“ (Seite 5)

Frische Minze zieht sich gleichsam als – ähem – grüner Faden durch die Geschichte, die mit Pablos Entschluss beginnt, nach Marokko zu reisen. Mit seiner Mutter lebt er, gerade Neunzehn geworden, in Barcelona. Vor einigen Jahren, er war zehn oder elf Jahre alt, strandete er mit ihr in der Stadt. Aufgebrochen waren sie zunächst in Marokko, in Bab-Qarfa im Rif-Gebirge.

Der Roman erzählt also von einer Rückkehr ins Land der Kindheit. In Rückblenden, die den Hauptteil der Erzählung ausmachen, lernen wir Lina und Gustavo kennen, Pablos Eltern. Als junges Paar entflohen sie der Perspektivlosigkeit im Spanien unter Franco und gingen nach Marokko, um sich dort ein neues, besseres Leben aufzubauen.

Leider ging es mit ihnen und ihrer Ehe nicht lange gut. Gustavo arbeitete als Holzfäller und war selten zuhause, dann aber meist betrunken. Pablos Geburt vermochte daran nicht so viel zu ändern. Ein tragischer Unfall lässt Lina und Pablo allein zurück in der Garnisionsstadt.

Das spanische Militär sorgt dafür, dass die spanische und die einheimische Bevölkerung nicht zuviel miteinander zu tun haben. Aber auch unter den Spaniern gibt es feine Unterschiede. Das seit dem Tod des Vaters zunehmend schweigsame und eher wunderliche Kind Pablo schließt Freundschaften mit einigen exotischen Gestalten in diesem Mikrokosmos. Deren Geschichten, die der Autor immer wieder einstreut, fächern das Leben in dieser Enklave immer weiter vor uns auf.

Da ist die feine Gesellschaft, der die Familie des Kommandanten angehört, des Arztes, der Priester, die Offiziere. Sie halten viel auf sich und deutlichen Abstand zur einfachen spanischen Bevölkerung, die sich als Arbeiter oder Händler verdingen und ein wenig wie Glücksritter auf mehr Glück und Erfolg hoffen, als ihnen in Spanien selbst sicher gewesen wäre. Die Einheimischen geraten da fast zur Staffage, als Diener, Botengänger vielleicht noch Händler. Marokko, das ist das Umland, in das spanische Zivilisten ohnehin kaum einen Fuß setzen.

Als Witwe mit Kind hängt Lina zwischen alledem, kann sich aber zumindest mit Handarbeiten über Wasser halten. Ein kleines Netzwerk von engen Freunden bietet ihr Halt; dies sind auch die prägenden Freunde von Pablo.

Mit der Unabhängigkeit Marokkos 1956 endet das fast schon beschauliche Leben in Bab-Qarfa für Pablo und Lina, die sich entschließt, mit ihrem Sohn zurück nach Spanien zu gehen. Pablo muss seine Freunde zurücklassen und nimmt eine ganze Menge aufkeimende Fragen mit. Genau die führen ihn nun, gerade erwachsen geworden, wieder zurück.

Viel hat sich geändert in der kleinen Stadt. Vor allem scheint niemand mehr da zu sein, von den Freunden, die er kannte. Fast schon auf der Rückreise findet er dann doch noch einen alten Bekannten, der mit gemeinsam mit seinem Freund eine Fahrradwerkstatt in Tanger betreibt. Hier gelingt es Pablo auch endlich, sich Fragen zu sich selbst zu stellen. Er wird dort noch eine Weile bleiben.

Gregorio Ortega Coto bietet in seinem Roman unglaublich viele kleine Geschichten, die sowohl das Leben unter Franco in Spanien aber vor allem in der Kolonie Marokko eindringlich illustrieren. Pablos Reise ins Land seiner Kindheit liefert die Rahmenhandlung. Allerdings hatte ich beim Lesen immer wieder das Gefühl, die wechselnden Szenen stünden ab und an etwas unverbunden nebeneinander. Dem Lesevergnügen tat das nicht zwingend einen Abbruch, da Coto wirklich Interessantes zu erzählen weiß und Land und Leute lebendig werden lässt.

Aufgefallen ist mir außerdem, dass sich ganz viele Formulierungen finden, bei denen zwar irgendwie klar ist, was gemeint ist, aber sie wirken dennoch immer wieder wie knapp danebengegriffen. Irgendwie ist das trotzdem nicht wirklich schlimm, nur ein wenig irritierend.

Kurz und gut: Ein interessanter Ausflug ins koloniale Marokko der frühen 50er Jahre – mit etwas erzählerischer Luft nach oben. Wer das Thema reizvoll findet, wird hier nicht enttäuscht werden.

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