Donnerstag, 21. Februar 2019

Julia Ebner: Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen



„Alles sah anders aus, als ich im Mai 2016 begann, dieses Buch zu schreiben: Brexit und Trump lagen außerhalb der Grenzen des Vorstellbaren, die AfD saß noch nicht im Bundestag und die FPÖ noch nicht in der österreichischen Regierung.“ (Seite 13)

Am meisten interessierte mich an dieser Studie, dass die Autorin unter anderem versteckt und Undercover sowohl unter Rechtsextremen als auch unter Islamisten recherchiert hatte. Das versprach einen Hauch von Wallraff und vielleicht einen vertiefenden Blick hinter die Kulissen. Nicht zuletzt der Hinweis im Verlagstext, dass sie auch darüber schreiben würde, was sich gegen die extremistischen Umtriebe beider Seiten unternehmen ließe, machte mich zusätzlich neugierig.

Ich muss gar keinen Hehl daraus machen, dass mich das Ergebnis dann doch nicht so recht zu begeistern vermag. Klar, Julia Ebner bietet ihre Erkenntnisse und Einsichten gut lesbar für ein breiteres Publikum an. Viel Fleiß steckt ganz sicher in der Arbeit. Dafür aber fand ich keine neuen Einsichten, nichts, was den Blick aus meiner Sicht wesentlich erhellen würde. Lösungen, das relativiert sie im Text dann selbst, bietet sie keine an. Es bleibt bei sehr vagen Ansätzen, die eventuell zu Lösungen führen könnten.

Während die Autorin am Anfang des Buches einsteigt mit Schilderungen konkreter Begegnungen, scheint der überwiegende Teil dann eher aus klassischer Recherchearbeit zu bestehen. Nur ab und an erwähnt sie noch, wo und wie sie unterwegs gewesen sei. Allein in der Studie tritt dieses Moment zugunsten der Aufzählung von Zitaten, Namen und so weiter zurück.

Das ist insofern schade, weil die Ergebnisse vielleicht auch deshalb nicht so sonderlich überraschen: Rechtsextremisten und Islamisten haben sich gegenseitig als Feindbild erkoren und beziehen sich aufeinander. Sie wählen ähnliche Mittel zur Kommunikation und zur Außendarstellung. Sie erzählen ähnlich funktionierende Geschichten davon, dass der jeweils andere der große Gegner sei, den es nur zu besiegen gelte. Und natürlich ist das für beide Seiten schlechterdings auch nur das Mittel zum Zweck in ihren jeweiligen Gesellschaften die Mehrheitsmeinung zu beeinflussen oder zu erlangen.

Das Beste, was Extremisten passieren kann, ist, dass sie andere Extremisten als Feindbild finden können. So würde ich es mal zusammenfassen. Aber für diese Erkenntnis hätte es das Buch dann vielleicht doch nicht gebraucht.

Schwierig und nicht nur nicht neu finde ich ein paar andere Momente in Ebners Werk.

Die Autorin beschreibt die Welt in diesem Buch ausschließlich über die Extremismustheorie, die sie so hübsch mit dem Hufeisenbild nach Jean-Piere Faye beschreibt: Die Beziehungen zwischen Extremisten jeder Denkart und dem Rest, der Mitte der Gesellschaft, wären in Form eines Hufeisens beschreibbar. Demnach befänden sich die Extremisten, wie gesagt jeder Denkart, an den Enden des Hufeisens, während die Mitte sich um den Bogen versammelt. Damit seien die Extremisten einander immer ähnlicher und dichter beisammen als deren jeweiliges Verhältnis zur Mitte der Gesellschaft.

Leider lässt diese Beschreibung nicht zu, dass Ebner in der Studie auch danach fragen kann, welche gesellschaftlichen Verhältnisse in dieser hochgelobten Mitte denn Menschen erst dazu bringen könnten, zu Extremisten zu werden. Möglicherweise reichen die Hinweise auf Perspektivlosigkeit und manipulative Abschlepper ja doch nicht vollends aus. Vielleicht ist manches auch in der Verfasstheit und systemisch in der Mitte angelegt (siehe Auswirkungen neoliberaler Entwicklungen)?

Die Studie bleibt aber eben an der extremismustheoretischen Oberfläche und analysiert nicht wirklich. Dies ist dann, um ein zweites Beispiel zu nennen, das ich schwierig finde, auch in dem Kapitel zu den Medien zu beobachten.

Wahrnehmungslücke, Sensationsgier, Fake-News – auch hier beschreibt Ebner sattsam Bekanntes. Medien sortieren Nachrichten durch ihre eigenen Filter, die in der Realität eher selten den an den Unis vermittelten idealistischen Standards entsprechen. Medien machen selbst Meinung und sorgen für blinde Flecken. Medien richten sich nach dem, was sie glauben, dass die Leser*innenschaft sehen, hören und lesen will …

Ich finde ja richtig, hier auch die Rolle von Medien zu thematisieren. Dann sollte aber auch besprochen werden, dass diese eben genau der Konstituierung der Mitte dienen, die für Ebner offenbar ja das einzig positive Gegenbild zu den Extremisten aller Art bildet (Hufeisen).

Richtigerweise führt die Autorin auf, dass wie viele andere soziale Gruppen eben auch Extremisten (immer wieder jeder Art) sich zunehmend in ihre eigenen, hermetisch abgeschlossenen Echokammern zurückziehen und so in sich geschlossene Weltbilder kreieren. Aber leider folgt hier ebenso keine tiefere Analyse, was genau das Versagen der Medien denn nun ausmacht – außer, dass sie als profitorientierte Unternehmen nun mal tun, was man in unserer Welt tut, um – ja, genau, um profitabel zu bleiben. Aber einmal mehr gibt es auch hier keinen tieferen Blick.

Die Unterkapitel, die sich damit beschäftigen, was da denn nun zu tun sei, um dem extremistischen Treiben zu begegnen, heißen: „Die Mitte mobilisieren“, „Die Randzonen retten“, „Kritisches Denken, Mut und Kreativität“. Inhaltlich geht es für meinen Geschmack auch nicht tiefer. Wenn die Welt des Extremismus nur in Hufeisenform funktionierte, sind diese Untertitel vermutlich wirklich folgerichtig. Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass man dafür ganz schön viel an gesellschaftlichen Realitäten ausblenden muss, damit das funktioniert.

Es bleibt mir der schale Nachgeschmack eines Buches, dass dann doch deutlich weniger bietet, als Umschlag und Werbung vermuten ließen. Dass der Untertitel nun so gänzlich am Inhalt der Studie vorbei geht, ist da eigentlich auch egal. Lesen kann man das Buch dennoch - auch ohne bleibende Schäden. ;)

Kurz und gut: Wer von extremistischen Entwicklungen sprechen will, kann von den gesellschaftlichen Zuständen, die sie hervorbringen, nicht schweigen. Dem genügt „Wut“ leider nicht.

Vielen Dank an die WBG Darmstadt für das Rezensionsexemplar! ;)

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