Freitag, 22. Februar 2019

Jeff Lemire: Der Unterwasser-Schweisser



„…aber, meine verehrten Hörer da draußen an den Geräten, ihr solltet eure Kids trotzdem ordentlich einpacken, bevor ihr sie für Süßes oder Saures da raus in die Nacht schickt …“ (Seite 9)

Jeff Lemire im Hinstorff Verlag aus Rostock? Echt? Natürlich war auch ich längst begeistert von den Arbeiten des Kanadiers, als ich irritiert diesen Band in der Hand hielt. Und ja, Hinstorff hat mit der „Im Eisland“-Trilogie von Kristina Gehrmann ganz offensichtlich nicht aufgehört, auch in Comics zu machen. Aktuell sind zehn Graphic Novels auf der Website zu finden. Natürlich alle mit Bezug zu maritimen Themen. So eben auch dieser Band von Jeff Lemire.

Der Comic mit dem etwas sperrigen Titel führt uns in ein karges Küstenstädtchen Neuschottlands. In Sichtweite des kleinen Hafens thront eine Ölplattform stoisch über den Wellen des Ozeans. Wer nicht auf dem Stahlmonstrum arbeitet, ist vermutlich in der Fischerei tätig oder wartet auf die Angehörigen, die draußen auf der See unterwegs sind.

Viel mehr Hintergrund braucht die Geschichte von Jack auch gar nicht, der sich als Taucher verdingt. Er steigt in die See hinab, um Rohre der Ölplattform zu reparieren. Wenn das Leben in diesem namenlosen Kaff im Nirgendwo schon reine Weltflucht bedeutet, dann Jacks Job umso mehr. Er lässt beim Tauchen nicht nur seine schwangere Frau, das triste Städtchen und die von Wind und Wellen umtoste Plattform zurück. Tauchen ist das, was ihn mit seinem Vater verbindet, der Jahrzehnte zuvor just zu Halloween verschwunden ist. Das Hinabsteigen in die Tiefe der See ist gleichsam ein Eintauchen in bewusste und unbewusste Erinnerungen. Und davon hat Jack genügend. Und sie sind mit vielen Fragezeichen gespickt.

Jacks Vater war Taucher und Trinker. Leider geht das nicht gut zusammen und so besteht der Verdacht, dass eine ungute Kombination aus beidem dafür sorgte, dass Jacks Vater sich dieses Mal nicht nur verspätete, nicht nur einfach wieder ein Versprechen vergaß sondern eben ganz verschwand. Alljährlich zu Halloween kriecht Jack, der das Verschwinden seines Vaters nie verwinden konnte, ebenso wie seine verkorkste Kindheit, die Wehmut den Rücken herauf. Hochschwanger bräuchte seine Frau ihn allerdings ganz besonders dringend – im Hier und Jetzt.

Jeff Lemire erzählt nicht nur grandios und verwebt dabei Erinnerung und Gegenwart, sondern findet mit seinem Zeichenstil auch die passenden Bilder, um ein dichtes, atmosphärisches Netz zu weben, dass mich zumindest beim Lesen sofort packte und fest einschnürte. So fest, dass ich nach manchen Seiten tief ein- und ausatmen musste, wenn ich aus dem Erzählstrudel kurz auftauchte.

Kurz und gut: Egal wie man Jeff Lemire nun richtig ausspricht – merkt euch diesen Namen und lest alles, was ihr von ihm in die Hände bekommen könnt. Ehrlich! Und danke Hinstorff Verlag, dass ihr diesen Comic nach Deutschland geholt habt!

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