Freitag, 15. November 2019

Lukas Bärfuss: Hagard



„Seit viel zu langer Zeit versuche ich, Philips Geschichte zu verstehen.“ (Seite 7)

Und die geht so: Aus einer Laune heraus folgt Philip, ein gestandener Geschäftsmann, zwischen zwei Terminen einer unbekannten Frau in der gesichtslosen Menge einer westlichen Großstadt. Er sieht sie nur von hinten, den Schwung ihrer Haare, ihren Gang – und wird doch magisch davon angezogen. Station um Station bleibt er auf ihrer Spur, kommt ihr nur scheinbar näher, während er sich ganz sicher ebenso schrittweise von seinem wohlgeordneten Leben entfernt. Ein Happy End gibt es nicht.

Die Geschichte bleibt mysteriös, und das nicht nur, weil Philips Motivation unserer rationalen Welt so sehr zuwider zu laufen scheint. Eine Aussteigergeschichte ist es dennoch nicht. Mysteriös, also im Ungefähren, bleiben auch zahlreiche andere Dinge. Fragen bleiben offen. Wer ist dieser Mann eigentlich? Was treibt ihn sonst an? Ist er so sehr frustriert von seinem Leben, dass eine Unbekannte ihn mühelos aus der Bahn werfen kann? Ebenso unklar blieb mir bis zum Schluss, wer eigentlich der Erzähler dieser Geschichte ist.

Die Masche des Autors ist es, eigentlich recht stringent zu erzählen aber zugleich so viel offen zu lassen, dass sich auf den nicht einmal 180 Seiten ein immer mulmiger werdendes Gefühl breitmachen kann. Dabei braucht er keine fantastischen Einschübe. Ihm reicht eine moderne Großstadt und ein Handy, dessen Akku langsam den Geist aufgibt.

„Hagard“ ist kein Roman, mit dem ich gut warm werden konnte. Ich denke aber auch, dass das auch nicht das Ziel des Textes ist. Leser*innen werden hier nicht umgarnt, um bei der Stange gehalten zu werden. Das Morbide, Geheimnisvoll-Verstörende soll wirken und auch die Lesenden ergreifen. Bei mir wenigstens hat das funktioniert.

Der Roman ist eines dieser Bücher, dem ich gar nicht absprechen kann oder will, dass es wirklich gut und überzeugend geschrieben ist. Trotzdem bleibt eine widerhakelige Distanz. Bleiben wird für mich das immer noch faszinierende Bild, von einem flüchtig herübergewehten Eindruck auf einen Menschen aufmerksam zu werden und unbemerkt dessen Spur aufzunehmen. Ohne auch nur ahnen zu können, was es am Ende zu entdecken gibt.

Kurz und gut: Bestens geeignet für einen langen Leseabend an einem trüben Herbsttag und schon zurecht mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet. Sag ich mal. ^^

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