„Seit viel zu langer Zeit versuche ich, Philips Geschichte zu
verstehen.“ (Seite 7)
Und die geht so: Aus einer Laune heraus folgt Philip, ein
gestandener Geschäftsmann, zwischen zwei Terminen einer unbekannten Frau in der
gesichtslosen Menge einer westlichen Großstadt. Er sieht sie nur von hinten,
den Schwung ihrer Haare, ihren Gang – und wird doch magisch davon angezogen.
Station um Station bleibt er auf ihrer Spur, kommt ihr nur scheinbar näher,
während er sich ganz sicher ebenso schrittweise von seinem wohlgeordneten Leben
entfernt. Ein Happy End gibt es nicht.
Die Geschichte bleibt mysteriös, und das nicht nur, weil Philips
Motivation unserer rationalen Welt so sehr zuwider zu laufen scheint. Eine
Aussteigergeschichte ist es dennoch nicht. Mysteriös, also im Ungefähren, bleiben
auch zahlreiche andere Dinge. Fragen bleiben offen. Wer ist dieser Mann
eigentlich? Was treibt ihn sonst an? Ist er so sehr frustriert von seinem
Leben, dass eine Unbekannte ihn mühelos aus der Bahn werfen kann? Ebenso unklar
blieb mir bis zum Schluss, wer eigentlich der Erzähler dieser Geschichte ist.
Die Masche des Autors ist es, eigentlich recht stringent zu
erzählen aber zugleich so viel offen zu lassen, dass sich auf den nicht einmal
180 Seiten ein immer mulmiger werdendes Gefühl breitmachen kann. Dabei braucht
er keine fantastischen Einschübe. Ihm reicht eine moderne Großstadt und ein
Handy, dessen Akku langsam den Geist aufgibt.
„Hagard“ ist kein Roman, mit dem ich gut warm werden konnte. Ich denke
aber auch, dass das auch nicht das Ziel des Textes ist. Leser*innen werden hier
nicht umgarnt, um bei der Stange gehalten zu werden. Das Morbide, Geheimnisvoll-Verstörende
soll wirken und auch die Lesenden ergreifen. Bei mir wenigstens hat das
funktioniert.
Der Roman ist eines dieser Bücher, dem ich gar nicht absprechen
kann oder will, dass es wirklich gut und überzeugend geschrieben ist. Trotzdem bleibt
eine widerhakelige Distanz. Bleiben wird für mich das immer noch faszinierende
Bild, von einem flüchtig herübergewehten Eindruck auf einen Menschen aufmerksam
zu werden und unbemerkt dessen Spur aufzunehmen. Ohne auch nur ahnen zu können,
was es am Ende zu entdecken gibt.
Kurz und gut: Bestens geeignet für einen langen Leseabend an einem
trüben Herbsttag und schon zurecht mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet. Sag ich
mal. ^^
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