Sonntag, 21. März 2021

Esther Becker: Wie die Gorillas


 „Zu viert müssen sie mich festhalten. Vielleicht auch zu fünft.“ (Seite 9)

Manchmal schummeln sich Lesegelegenheiten ja auch einfach so auf den Lesestapel und dann auch noch gleich ganz nach oben. Dem Band von Esther Becker ist das gelungen, weil das Buch gleich noch weiter wandern musste. Also hab ich nicht nein gesagt, anderes liegen gelassen und mich auf die Geschichte um Olga, Svenja und die namenlose Ich-Erzählerin eingelassen.

Und weil es so „reingeschummelt“ ist, gibt’s hier auch noch den Umschlagtext, der Vollständigkeit halber:

„‘Svenja und Olga sind Alpha und Omega. Ich bin irgendwas in der Mitte.‘

Seit der Schule sind die drei Mädchen befreundet und helfen einander beim Erwachsenwerden. Sei es, Wodka ins Kinderzimmer zu schmuggeln, ein Medizinstudium gegen den Willen der Eltern zu beginnen oder mit abgebundenen Brüsten wie die Gorillas um die Häuser zu ziehen.

Verspielt, sensibel und mit viel Humor sowie mit der Drastik, der es bedarf, erzählt Esther Becker von Druck, Erwartungen und Rollenzuschreibungen unserer Gesellschaft auf und an Mädchen und Frauen.“ (Umschlagtext)

In eher lose miteinander verwobenen Kapiteln können wir Szenen erleben, die die Mädchen auf ihrem Weg hin zu jungen Frauen prägen – in der einen, wie der anderen Art und Weise. Bevor jemand fragt, ja, es geht natürlich auch um Befindlichkeiten – aber mehr noch um Erwartungen, Zuschreibungen und den Druck, die zusammen bei Menschen gerade in dieser Entwicklungsphase Befindlichkeiten wecken, hervorrufen. Lese ich Befindlichkeiten aber als Reaktion, dann verändert sich dieser komische Beigeschmack, den gerade der Begriff der Befindlichkeitsliteratur schon sehr gesetzt hat.

Der Punkt bei diesem Band ist, dass die Figuren sich natürlich altersgemäß mit sich selbst beschäftigen, die Erzählung aber eben nicht ausblendet, dass die drei nun mal in einer Umwelt aufwachsen, die so ist, wie sie ist. Mädchen sind süß, machen süße Sachen, fühlen sich grundsätzlich zu dick, zu dünn, zu hässlich – weil ihr Tun von außen so gelesen wird. Daraus wird eine Erwartung, die junge Menschen nur zu leicht für sich selbst übernehmen. So entstehen „Mädchen sind so“ und „Jungs sind halt so“.

Esther Becker hat viele schöne sprachliche Bilder gefunden und einen Erzählfluss, der Drastisches unterstreicht, trotzdem den Blick auch auf scheinbar banale Begebenheiten ermöglicht und dabei auch noch richtig gut zu lesen ist. Ihr Tonfall ließ für mich zu, dass ich beim Lesen immer wieder dachte, krasse Geschichte, und trotzdem kurz darauf auch wieder schmunzeln musste. Als Leser ziehe ich davor den Hut, weil diese Leichtigkeit so schwer zu meistern ist.

Da ich mich um genauere Inhaltsangaben auch heute wieder etwas drücke, fasse ich diesen Leseausflug mal für mich so zusammen: Ohne das Drängeln hätte ich die Lektüre sicher noch etwas aufgeschoben, muss das Vorziehen aber wirklich nicht bedauern. Esther Becker schreibt sensibel und kraftvoll. Dieser eher schmale Band lädt zum Innehalten ein, verspricht nicht die epochale Story und bietet dafür Szenen, die ganz unprätentiös einfach wirken.

Kurz und gut: Von Esther Becker würde ich gern mehr und gern auch breiter erzählte Stoffe lesen. Eine lohnenswerte Entdeckung – ganz zwischendurch! 😉

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