Freitag, 28. Mai 2021

László Krasznahorkai: Satanstango



(Übersetzung: Hans Skirecki)

„Am Morgen eines Tages Ende Oktober, kaum daß die ersten Tropfen des schier endlosen Herbstregens auf den rissigen Salzboden westlich der Siedlung gefallen waren (wo dann ein stinkendes Meer aus Schlamm bis zu den ersten Frösten die Feldwege unbegehbar und die Stadt unerreichbar machen würde), erwachte Futaki davon, dass er Glocken läuten hörte.“ (Seite 9)

Die Glocken deuten hier aber nichts Tröstliches an, sondern läuten vielmehr einen nicht enden wollenden Kreislauf aus Tristesse, Hoffnungslosigkeit und Vergeblichkeit ein. Nein, eine leichte Sommerlektüre für die Hängematte ist dieses Buch nicht.

In einem kleinen Dorf mitten im ungarischen Nirgendwo ist alles Stagnation. Die Bewohner:innen wirken in ihrem Handeln und Wollen so verfallen wie das ganze Dorf an sich. Mag sein, dass alle hier auch einmal ein Leben, eine Zukunft hatten. Das ist aber offenbar lange her. Nicht nur jedes einzelne Leben besteht offenbar ausschließlich aus Trostlosigkeit sondern auch die Beziehungen der Dorfbewohner:innen zueinander.

Mitten in einen nicht minder trostlosen Regentag hinein taucht ein Mann zwischen den Regenschauern auf, der hier früher einmal lebte. Er kommt als Bote vermeintlicher Hoffnung, als Prediger, Verführer und gestrenger Richter. Und so ziemlich alle geben sich ihm und seinen Worten hin. Ihm, der doch nur ein Polizeispitzel ist, der rein gar nichts zu bieten hat, was tatsächlich Anlass zur Hoffnung geben würde.

Doch auch dieser Mann ist eingewoben in ein auswegloses System, das jedem hoffnungsvollen Impuls den Atem raubt. Träume verstauben hier, erdrückt von Aktenbergen, aufgespießt von penibel gespitzten Stiften, die noch aus jedem Tun oder Lassen eine Verfehlung zu formulieren wissen. Und alle, alle fügen sich hier drein, vergrauen und stolpern so in den nächsten und nächsten Tag.

Den Verlagstexten zum Roman und Rezensionen lässt sich entnehmen, dass dieser Text sich beispielhaft am gerade untergehenden real existierenden Sozialismus in Ungarn abarbeitet. Und wie ließe sich dem widersprechen, dass ein System, so gut es gemeint gewesen sei, zurecht untergeht, wenn es die Menschen derart zurichtet, dass jede Hoffnung auf Zukünftiges aus ihnen weicht und damit auch jeder Anlass für anständiges Handeln. Das ist nicht nur trostlos sondern auch drastisch geschildert und beschrieben.

Andererseits werde ich den Eindruck nicht los, dass wir Menschen irgendwie bisher auch noch jedes System, jede Form gesellschaftlichen Zusammenlebens auch pervertieren konnten. Allein, ich mag nicht einsehen, warum dies nicht erst recht Ansporn sein sollte, im Suchen nach dem Besseren nicht nachzulassen. Da das Bessere aber eben nicht von allein entsteht und nur, weil wir behaupten, dass es jetzt doch viel besser sein müsste, tut auch solche schmerzhafte, erschütternde Lektüre not.

Kurz und gut: Dieser Roman erspart weder den Figuren noch den Leser:innen eine unglaubliche Trostlosigkeit. Vielleicht kein Lieblingsbuch, aber eine Leseempfehlung!

#lesefrühling #roman #laszlokrasznahorkai #fischer #ungarn #untergang #systemversagen #menschen #gesellschaft #lesen #lesenswert #leselust #bücher #literatur

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen