Sonntag, 2. Januar 2022

Philip K. Dick: Das Orakel vom Berge


(Übersetzung: Norbert Stöbe)

„Seit einer Woche wartete Mr. Childan nun schon mit Spannung auf die Post.“ (Seite 7)

„Was? Aber das ist ein Klassiker!“ Jaja, ich weiß. Und ich habe ihn jetzt erst gelesen. 😉 Und mal ehrlich, wer hat denn wirklich ALLE Klassiker gelesen oder nimmt ernst, dass man etwas nur gelesen haben muss, weil jemand es zum Klassiker erhebt?

Egal! 😉 Vor ziemlich genau einem Jahr fand dieses feine Exemplar seinen Weg auf meinen Lesestapel, nachdem ich zuvor schon die Verfilmung als Serie gesehen hatte. Ehrlicherweise war mir bei meinen vier Anläufen, mit der Serie warm zu werden, noch gar nicht bewusst, dass es sich um eine Romanverfilmung handelt. Beim vierten Anlauf der für meinen Geschmack doch etwas sperrigen Verfilmung hab ich ja schließlich Feuer gefangen.

Letztlich war es die Prämisse der Geschichte, die mich dann auch auf die Vorlage neugierig werden ließ. Und die ist leicht umrissen:

Der Zweite Weltkrieg ging anders aus, als wir es aus den Geschichtsbüchern kennen. Deutschland und Japan gewinnen und besetzen die USA an der Ost- und an der Westküste. In der Mitte bleibt ein Pufferstaat bestehen, in dem sich natürlich allerhand spionierendes Volk umtreibt. Die Situation zwischen dem Reich und Japan ist angespannt, die Lage im Reich selbst aufgrund erwartbarer Diadochenkämpfe aber auch. Es ist also einiges in der Schwebe, bzw. in Bewegung. Die Amerikaner selbst haben sich zum Teil mit der Situation arrangiert oder versuchen zu profitieren. Aber natürlich regt sich auch Widerstand.

Mit den Charakteren, deren Geschichte Philip K. Dick erzählt, führt er eine ganze Bandbreite von Menschen vor, die in dieser Welt leben. Da ist Mr. Childan aus dem ersten Satz des Romans, der amerikanische Antiquitäten an wohlhabende Japaner:innen verkauft. Ein japanischer Handelsbauftragter kauft zum Beispiel bei Mr. Childan ein, bringt damit aber auch die Perspektive einen quasi Kolonialbeamten mit in Spiel. Frank Frink wiederum versucht sich zu arrangieren und zu überleben und nähert sich dem Gedanken an Widerstand stetig an.

Der Roman führt hauptsächlich ins japanisch besetzte San Francisco und auch in den Pufferstaat – die Serie bietet hier auch noch einen Blick ins von den Deutschen besetzte Amerika mit Ausflügen nach Berlin.

Ein ganz wunderbarer Dreh ist es, ein Buch ins Spiel zu bringen, das in aller Munde ist und in dem etwas Unerhörtes erzählt wird: Nämlich eine alternative Geschichte darüber, wie der Krieg ausging. Unsere historische Realität wird hier zur verrückten Alternativgeschichte. Und angesichts der totalitären Regimes, die im Roman die Welt beherrschen, grenzt das natürlich an Aufruhr.

In der Serie werden aus dem Buch Filmbänder, die heimlich geschmuggelt und weitergereicht werden. Auch insgesamt ist die Widerstandsgeschichte, die sich darum rankt, sehr viel breiter auserzählt. Die japanische Besatzung ist sehr viel rabiater als im Buch, Angedeutetes aus dem Roman wird viel mehr Raum gegeben. Ich finde aber, dass beides sehr gut nebeneinander bestehen kann.

Dicks Text kommt zumindest für meinen Geschmack viel weniger spröde daher als die Serie. Dafür kippt er am Ende merklich ins Surreale, was aber eine gewisse Sogwirkung entfaltet.

Kurz und gut: Das war nicht der letzte Philip K. Dick, den ich gelesen habe. Lesen!

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