Dienstag, 28. März 2023

Ivan Krastev/ Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Eine Abrechnung


(Übersetzung: Karin Schuler)

„Gestern war die Zukunft besser.“ (Seite 7)

Gestern, das war die Zeit kurz nach dem Ende des Kalten Krieges. Und die Zukunft leuchtete unzweifelhaft in westlich-liberalen Farben – das zumindest war die weit verbreitete Vorstellung eben nicht nur im Westen, sondern auch in den Transformationsstaaten des ehemaligen Ostblocks. Diese durchaus pointiert argumentierte Analyse war mit Sicherheit schon 2019 spannend zu lesen, als sie im Original erschien. Sie nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu lesen mindert das wahrlich nicht.

Der Begriff, um den sich die Analyse dreht, ist der der Nachahmung. Die Autoren beschreiben, wie die osteuropäischen Transformationsgesellschaften sich zügig daran machten, vom „Sieger der Geschichte“ durch Nachahmung zu lernen. Dieses Nachahmen geschah einerseits ökonomisch durch die Öffnung und Anpassungen der Volkswirtschaften. Die Menschen hofften, daran kann ich mich noch gut erinnern, dass Wohlstand und die Chance auf Reichtum umgehend einziehen würden.

Dafür war zugleich andererseits auch ein gesellschaftlicher Umbau nach den Vorbildern der westlichen, liberalen Demokratien erforderlich. Hier sollte es nicht nur um gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, sondern eben auch um die politischen und institutionellen Verankerungen gehen.

Krastev und Holmes beschreiben, dass die Transformationsgesellschaften und die entsprechenden Eliten in den Ländern durch Nachahmung, die ohne eine gewachsene gesellschaftliche Entwicklung und Verankerung auskommen musste, ein Ankommen im Westen versuchten. In dem Maße, wie offenbar wurde, dass Wohlstand und alles, was noch an Hoffnungen damit verbunden war, nicht eintrat, stieg die Enttäuschung. Enttäuschung auch darüber, zwar in den Klub aufgenommen worden zu sein, aber ohne gleichzeitig auch als vollwertig, gleichberechtigt und auf Augenhöhe anerkannt zu sein. Dass „der Westen“ eben doch vorrangig mit sich selbst beschäftigt blieb, auch daran hab ich eine vage Erinnerung.

Im Vergleich zu den osteuropäischen Staaten ist in diesem Buch natürlich der Blick auf Russland besonders interessant. Ohne den Angriffskrieg Russlands von 2022 schon vorauszusehen, beschreiben die Autoren auch hier eine Entwicklung um den Begriff der Nachahmung herum. Dabei machen sie deutlich, dass das, was in Osteuropa 1989 als Befreiung empfunden wurde, in Russland eine gefühlte und gelebte Niederlage war.

Die Nachahmung wird in dieser Schilderung zu einem zynischen Spiegelvorhalten, dass Putin gegenüber der westlichen Welt praktiziert. Für mich klingt die Herleitung und Beschreibung recht plausibel, zumal die Autoren hier nicht von Schuld etc. sprechen, sondern versuchen, eine Erklärung zu finden für die auf so vielen Ebenen verfahrene Situation. Die ist schließlich inzwischen davon gekennzeichnet, dass nicht nur in den Transformationsgesellschaften die Demokratie in die Krise geraten ist. Auch in den westlich-liberalen Gesellschaften wackeln die Grundpfeiler der Demokratie ganz kräftig. Dies, und hier schließt sich der Bogen, hat natürlich entsprechende Auswirkungen auf diejenigen, die zuvor den Westen nachzuahmen versuchten.

Kurz und gut: Pointiert und überzeugend argumentiert – und auch heute durch die Ereignisse nicht überholt. Lesen!

#lesefrühling #sachbuch #ivankrastev #stephenholmes #ullstein #politik #zeitgeschichte #gesellschaft #transformation #demokratie #liberalismus #antiliberalismus #autoritarismus #endedergeschichte #zukunft #lesen #leselust #lesenswert #leseratte #bücher

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen