Sonntag, 25. August 2024

Anne Applebaum: Die Verlockung des Autoritären. Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist


„Die Erschütterung der liberalen Demokratien wird oft mit der Schwäche der westlichen Werteordnung erklärt. Anne Applebaum wählt einen anderen Ansatz und fragt: Was macht die Rückkehr zu autoritären Herrschaftsformen für viele Menschen so erstrebenswert? An zahlreichen Beispielen – von den Brexiteers bis hin zu den illiberalen Demokratien Osteuropas – zeigt sie, welche Rolle dabei soziale Medien, Verschwörungstheorien und Nostalgie spielen. Ein brillant erzählter, aus persönlicher Erfahrung gespeister Streifzug durch eine westliche Welt, die sich auf erschreckende Weise nach harter Hand und starkem Staat (zurück)sehnt.“ (Umschlagtext)

Nicht nur auf meinen Lesestapeln häufen sich die Texte über den aktuellen Zustand insbesondere der sogenannten westlichen Gesellschaften. So fassungslos ich selbst wie viele andere im Kleinen erlebe, dass Menschen „Lust am Autoritären“ versprühen, so lässt sich Gleiches ja im Großen beobachten – an Diskursverschiebungen hierzulande oder überall dort, wo Gesellschaften – zumindest aus unserer mitteleuropäischen Perspektive – zu kippen drohen oder schon einen Schritt weiter sind.

Wie kommt all das nun zustande? Ich bin gespannt, welche Antworten und Anregungen in diesem Band stecken.

„‘Zu den in diesem Buch beschriebenen Menschen gehören nationalistische Ideologen genauso wie hochgesinnnte politische Essayisten; die einen verfassen anspruchsvolle Bücher, andere lancieren Verschwörungstheorien im Internet. Einige werden von derselben Sorge, Wut und Harmoniesucht angetrieben, die auch ihre Leser und Follower beschäftigen. Ein Teil wurde durch Auseinandersetzungen mit der kulturellen Linken radikalisiert oder von der Schwäche der liberalen Mitte abgestoßen. Andere sind Zyniker und bedienen sich einer radikalen und autoritären Rhetorik, weil sie sich davon Macht und Anerkennung erhoffen. Es gibt Apokalyptiker, die überzeugt sind, dass ihre Gesellschaft dem Untergang geweiht ist und gerettet werden muss, egal, wie das Ergebnis aussieht. Einige sind zutiefst religiös. Manche genießen das Chaos und wollen es herbeiführen, um der Gesellschaft eine neue Ordnung aufzuzwingen. Sie alle versuchen ihre Nationen umzudefinieren, Sozialverträge umzuschreiben und manchmal auch die demokratischen Regeln zu ändern, sodass sie nie die Macht verlieren. Alexander Hamilton warnte vor ihnen, Cicero bekämpfte sie. Einige dieser Menschen waren einmal meine Freunde.‘“ (Klappentext)

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Sonntag, 18. August 2024

Florian Gottschick: Damals im Sommer


„Es war unerträglich heiß in diesem Sommer, so heiß, dass die Hitze beinahe zähflüssig war.“ (Seite 9)

Als Teenie, Anfang der Neunziger im *hüstel* letzten Jahrhundert, wäre ich ziemlich glücklich gewesen, in Romanen von mir zu lesen. Gerade Geschichten rund um das Erwachsenwerden und was das bedeuten kann, aber eben auch über Liebe und Begehren fallen in diesem Alter auf einen besonders aufnahmebereiten Boden. Aber irgendwie erschien immer schnell ein Riss im Bild, mischte sich ein Störgeräusch in die Erzählstimme.

Der Weg zu erkennen, dass ich in den durchweg heterosexuellen Paarungen zwar den Typen sehen konnte, ihn beneidete aber eigentlich ihn begehrte, konnte kein ganz kurzer sein. Immerhin fehlten mir auf dem Dorf die Worte, um sagen zu können, was ich fühlte. Und als ich die das erste Mal zaghaft zu mir selbst sagte, fehlten die Bilder und Erfahrungen, die Literatur uns vermitteln und mit uns teilen kann.

Also freue ich mich auch heute noch darüber, dass Bücher, wie sie mir fehlten, heute mit sehr viel größerer Selbstverständlichkeit erscheinen und vor allem über so viele Kanäle auch findbar sind.

Die Geschichte selbst, die in diesem Band erzählt wird, hätte ich vermutlich gemocht und auch verschlungen.

Im Mittelpunkt steht die Beziehung zweier Brüder, der eine 17, der andere 15. Der Ältere ist das Paradebeispiel an aktivem, sportlichem und frechem Jugendlichen. Der Jüngere ist all das nicht.

Es ist der Jüngere, der die Geschichte eines Sommers in der Rückschau erzählt. Der Ausgangspunkt ist der dauernde Wettstreit der beiden Brüder, bei dem die Siegchancen sehr ungleich verteilt sind.

Während die sommerheißen Urlaubstage in einem kleinen Ferienhaus träge dahinfließen, setzen sich die Plänkeleien weiter fort. Der jüngere Bruder grübelt und grummelt vor sich hin, bis, ja bis er bei einem Ausflug mit dem Ruderboot zum Hotelstrand den jungen Franzosen Filip kennenlernt. Der sieht natürlich gut aus und es entspinnt sich ein zartes Herantasten. Und plötzlich dreht sich sein Leben nicht mehr um den großen Bruder als Spiegel, Widerpart … Plötzlich gibt es eine eigene Geschichte, die nur ihm gehört und ihn ausmacht.

Was aber, wenn der große Bruder, der Mädchenschwarm, ihm auch hier voraus war. Mit Filip? Der Wettstreit der Brüder wird unweigerlich zum ultimativen Streit.

Ich will gar nicht zu viel verraten, weil das Schmökern ja auch noch etwas an Überraschung bereithalten soll. Aber so viel vielleicht: Es gibt kein Happy End mit Filip aber dafür zwei schwule Brüder.

Das nicht unkomplizierte familiäre Beziehungsgeflecht, das in dieser Geschichte mit einem Schwerpunkt im zweiten Teil auch eine große Rolle spielt, habe ich hier mal ausgeblendet. Auch hier ist alles nicht ganz so einfach.

Die Story an sich finde ich spannend gebaut, überraschende Wendepunkte inklusive. Gut weglesen lässt sich das Ganze auch. Trotzdem war dies leider ein Roman, der mich dennoch etwas unbefriedigt zurückgelassen hat.

Zum einen war ich mit so einigen Schnitten, Szenenwechseln, nicht ganz zufrieden. Ich wurde beim Lesen das Gefühl nicht los, dass das sehr filmisch gedacht war, aber literarisch einfach andere Mittel gebraucht hätte. Dadurch entstanden für meinen Geschmack Löcher im erzählerischen Gewebe, die mich stolpern ließen.

Mehr habe ich aber mit der Erzählstimme gehadert. Die gehört einem erwachsenen Mann, der in der Rückschau aus seiner Jugend erzählt. Der Tonfall wurde immer wieder weder dem erwachsenen Erzähler noch den Figuren gerecht. Ich vermute, dass dies der Versuch war, eine eher aufs Publikum zielende Sprache zu finden. Für mein Gefühl ist das aber wenigstens in Teilen nicht gut gelungen. Einmal mehr stelle ich fest, wie sehr für mich literarische Texte damit stehen und fallen.

Damit klar ist, dass das auf keinen Fall ein Totalverriss sein soll, will ich gern festhalten, dass die Schreibe von Gottschick wirklich unterhaltsam und auch clever ist. Es gab genügend Passagen, Formulierungen und Ideen, die mir richtig gut gefallen haben. Vielleicht, aber das ist nur eine Vermutung ins Blaue, hätte der Text etwas mehr Zeit gebraucht.

Kurz und gut: Definitiv Strandkorbpotential. Kann man lesen!

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Sonntag, 11. August 2024

Hendrik Bolz: Nullerjahre. Jugend in blühenden Landschaften


„Ein Plattenbauviertel in Stralsund um die Jahrtausendwende, der nordöstlichste Winkel Deutschlands. Eine Welt, die, obwohl das Land längst nicht mehr ‚DDR‘ heißt, wenig mit dem zu tun hat, was im Westen als Normalität durchgeht. Lediglich das RTL-Nachmittagsprogramm, das im Hintergrund zu hören ist, deutet darauf hin: Es sind dieselben Nullerjahre. Während die großen Brüder mit Glatze und Bomberjacke den Ton angeben, die Eltern mit eigenen Sorgen beschäftigt sind, stellen sich Hendrik und seine Freunde zwei Herausforderungen: Wie vertreiben sie sich die Zeit – und wie bekommen sie möglichst nicht auf die Fresse? Die Lösung findet sich: hart werden, stumpf werden. Die Mittel auch: Kraftsport, Drogen, Rap.“ (Umschlagtext)

Auf der Suche nach Antworten, was es nun ist, mit dem Osten und den Menschen, die hier leben, braucht es natürlich nicht nur den Blick auf die Zeit vor 1989 und auf die wilden 90er. Wie wurde die Generation geprägt, die nach 2000 erwachsen wurden und heute Familien gründen, als Pendler:innen arbeiten, aus dem Osten geflohen sind oder eben geblieben?

Spannend wird es ja dann, wenn all diese Geschichten in Bezug zur restlichen Bundesrepublik gesetzt werden. Welches Bild ergibt sich, wenn wir langsam rauszoomen und das ganze Land in den Blick nehmen, also wirklich das ganze? Falls jemand Lesetipps dazu hat – her damit! 😊

„Hendrik Bolz, geboren 1988, ist in Stralsund aufgewachsen, im nordöstlichsten Winkel Deutschlands, in einer Welt, die, obwohl das Land längst nicht mehr ‚DDR‘ heißt, wenig mit dem zu tun hat, was im Westen als Normalität durchgeht. Lediglich das RTL-Nachmittagsprogramm, das im Hintergrund zu hören ist, deutet darauf hin: Es sind dieselben Nullerjahre.
Während in den Plattenbauten von Knieper West immer mehr Erwachsene die Suche nach einem Platz im neuen System aufgeben, nehmen Hendrik und seine Freunde die Herausforderung an: Sie finden Auswege aus der Langeweile und Fluchtwege, um keine Prügel zu kassieren. Langsam zerfallen die Frontlinien der Baseballschlägerjahre, an die Stelle der Springerstiefel treten Turnschuhe, die Böhsen Onkelz werden von Aggro Berlin abgelöst, die Optionen bleiben die gleichen: Fressen oder Gefressenwerden.
Im Kindergarten, in der Schule und im Fußballverein haben sie gelernt, dass ein großer Junge nicht weint und dass der Klügere nur so lange nachgibt, bis er der Dümmere ist. Nun gilt es, härter zu werden, um, wenn es darauf ankommt, dem anderen die Nase zu brechen. Und stumpfer zu werden, um dabei nicht zu zögern. Die Mittel finden sich – Kraftsport, Drogen, Rap. Und bald sind es neue ‚Kleine‘, die sich verstecken müssen.
Hendrik Bolz erzählt eindringlich von einem Jahrzehnt im Osten Deutschlands, das uns ein Stück bundesrepublikanische Gegenwart erklären kann.“ (Verlagstext)

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Dienstag, 6. August 2024

Oskar Negt: Überlebensglück. Eine autobiografische Spurensuche


„Sein Leben könnte man als Erfolgsgeschichte erzählen: Auf einem Bauernhof ohne Bildungsgüter aufgewachsen, wurde er zum international anerkannten Professor. Doch Oskar Negts Kindheit war von der Flucht aus Ostpreußen und Jahren in dänischen Internierungslagern überschattet. Seine Geschichte erzählt er, um zu fragen, wie trotz traumatischer Erfahrungen ein glückliches Leben gelingen kann.“ (Umschlagtext)

Bereits 2016 erschien diese autobiografische Schrift, die nun 2023 neu aufgelegt wurde. Oskar Negt verstarb Anfang 2024 und wurde 89 Jahre alt.

Doch doch, so ab und an bekomme ich schon Lust, zu manchen großen Namen, die einem so während des Studiums oder des Weiterschmökerns so über den Weg laufen, auch etwas von der Lebensgeschichte zu erfahren. Nicht alle autobiografischen Texte überzeugen dabei. Ich bin gespannt, wie es sich mit diesem verhalten wird. 😊

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Sonntag, 4. August 2024

Robert A. Heinlein: Fremder in einer fremden Welt


„Dies sind die Abenteuer von Valentine Michael Smith, dem Mann, der auf dem Mars aufwuchs und nun zur Erde zurückkehrt. Doch unsere Welt ist für ihn fremd und unverständlich – also beschließt er, sie nach seinen Vorstellungen zu verändern.“ (Umschlagtext)

Also Karl May hab ich als Kind gelesen und sozialistische Wald-und-Wiesen-Literatur. Science Fiction kam mir das erste Mal in Form der Romane von Jules Verne unter, die ich wirklich grandios fand. Dann hat es doch noch mal viele Jahre Pause gebraucht, bis ich mal wieder zu solchen Stoffen gegriffen hab. Es ist also irgendwie folgerichtig, dass ich auch diesen Roman von 1961 jetzt erst in die Hände bekam.

Aber das Tolle an Literatur ist ja, dass sich immer noch etwas Neues entdecken lässt. 😉

„Die nicht allzu ferne Zukunft: Eine Expedition wird von der Erde zum Mars geschickt, doch das Raumschiff stürzt ab. Zwanzig Jahre später wird eine zweite Expedition gestartet, die auf dem Mars als einzigen Überlebenden der Katastrophe einen jungen Mann namens Valentine Michael Smith findet. Er war als Kind an Bord der ersten Expedition und wurde von Marsianern aufgezogen. Die Erde – auf die er nun zurückgebracht wird – ist für ihn eine fremde, völlig unverständliche Welt, und er verwendet seine mentalen Kräfte, die ihm die Marsianer verliehen haben, darauf, diese Welt nach seinen Vorstellungen zu verändern. Damit wird er für viele zu einer messiasartigen Figur – für andere jedoch zu einer Gefahr, die man mit allen Mitteln bekämpfen muss …

Fremder in einer fremden Welt zählt neben Klassikern der Zukunftsliteratur wie Schöne neue Welt, 1984 oder Fahrenheit 451 zu den bedeutendsten Science-Fiction-Romanen des 20. Jahrhunderts. Eine Parabel auf das Wesen Mensch, erzählt aus der Sicht eines ‚Fremden‘, der womöglich menschlicher ist als wir alle zusammen.“ (Verlagstext)

(Übersetzung: Harro Christensen)

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