Sonntag, 18. August 2024

Florian Gottschick: Damals im Sommer


„Es war unerträglich heiß in diesem Sommer, so heiß, dass die Hitze beinahe zähflüssig war.“ (Seite 9)

Als Teenie, Anfang der Neunziger im *hüstel* letzten Jahrhundert, wäre ich ziemlich glücklich gewesen, in Romanen von mir zu lesen. Gerade Geschichten rund um das Erwachsenwerden und was das bedeuten kann, aber eben auch über Liebe und Begehren fallen in diesem Alter auf einen besonders aufnahmebereiten Boden. Aber irgendwie erschien immer schnell ein Riss im Bild, mischte sich ein Störgeräusch in die Erzählstimme.

Der Weg zu erkennen, dass ich in den durchweg heterosexuellen Paarungen zwar den Typen sehen konnte, ihn beneidete aber eigentlich ihn begehrte, konnte kein ganz kurzer sein. Immerhin fehlten mir auf dem Dorf die Worte, um sagen zu können, was ich fühlte. Und als ich die das erste Mal zaghaft zu mir selbst sagte, fehlten die Bilder und Erfahrungen, die Literatur uns vermitteln und mit uns teilen kann.

Also freue ich mich auch heute noch darüber, dass Bücher, wie sie mir fehlten, heute mit sehr viel größerer Selbstverständlichkeit erscheinen und vor allem über so viele Kanäle auch findbar sind.

Die Geschichte selbst, die in diesem Band erzählt wird, hätte ich vermutlich gemocht und auch verschlungen.

Im Mittelpunkt steht die Beziehung zweier Brüder, der eine 17, der andere 15. Der Ältere ist das Paradebeispiel an aktivem, sportlichem und frechem Jugendlichen. Der Jüngere ist all das nicht.

Es ist der Jüngere, der die Geschichte eines Sommers in der Rückschau erzählt. Der Ausgangspunkt ist der dauernde Wettstreit der beiden Brüder, bei dem die Siegchancen sehr ungleich verteilt sind.

Während die sommerheißen Urlaubstage in einem kleinen Ferienhaus träge dahinfließen, setzen sich die Plänkeleien weiter fort. Der jüngere Bruder grübelt und grummelt vor sich hin, bis, ja bis er bei einem Ausflug mit dem Ruderboot zum Hotelstrand den jungen Franzosen Filip kennenlernt. Der sieht natürlich gut aus und es entspinnt sich ein zartes Herantasten. Und plötzlich dreht sich sein Leben nicht mehr um den großen Bruder als Spiegel, Widerpart … Plötzlich gibt es eine eigene Geschichte, die nur ihm gehört und ihn ausmacht.

Was aber, wenn der große Bruder, der Mädchenschwarm, ihm auch hier voraus war. Mit Filip? Der Wettstreit der Brüder wird unweigerlich zum ultimativen Streit.

Ich will gar nicht zu viel verraten, weil das Schmökern ja auch noch etwas an Überraschung bereithalten soll. Aber so viel vielleicht: Es gibt kein Happy End mit Filip aber dafür zwei schwule Brüder.

Das nicht unkomplizierte familiäre Beziehungsgeflecht, das in dieser Geschichte mit einem Schwerpunkt im zweiten Teil auch eine große Rolle spielt, habe ich hier mal ausgeblendet. Auch hier ist alles nicht ganz so einfach.

Die Story an sich finde ich spannend gebaut, überraschende Wendepunkte inklusive. Gut weglesen lässt sich das Ganze auch. Trotzdem war dies leider ein Roman, der mich dennoch etwas unbefriedigt zurückgelassen hat.

Zum einen war ich mit so einigen Schnitten, Szenenwechseln, nicht ganz zufrieden. Ich wurde beim Lesen das Gefühl nicht los, dass das sehr filmisch gedacht war, aber literarisch einfach andere Mittel gebraucht hätte. Dadurch entstanden für meinen Geschmack Löcher im erzählerischen Gewebe, die mich stolpern ließen.

Mehr habe ich aber mit der Erzählstimme gehadert. Die gehört einem erwachsenen Mann, der in der Rückschau aus seiner Jugend erzählt. Der Tonfall wurde immer wieder weder dem erwachsenen Erzähler noch den Figuren gerecht. Ich vermute, dass dies der Versuch war, eine eher aufs Publikum zielende Sprache zu finden. Für mein Gefühl ist das aber wenigstens in Teilen nicht gut gelungen. Einmal mehr stelle ich fest, wie sehr für mich literarische Texte damit stehen und fallen.

Damit klar ist, dass das auf keinen Fall ein Totalverriss sein soll, will ich gern festhalten, dass die Schreibe von Gottschick wirklich unterhaltsam und auch clever ist. Es gab genügend Passagen, Formulierungen und Ideen, die mir richtig gut gefallen haben. Vielleicht, aber das ist nur eine Vermutung ins Blaue, hätte der Text etwas mehr Zeit gebraucht.

Kurz und gut: Definitiv Strandkorbpotential. Kann man lesen!

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