Donnerstag, 5. Juni 2025

Tom Holland: Herrschaft. Die Entstehung des Westens


„Ungefähr drei oder vier Jahrzehnte vor Christi Geburt wurde auf dem römischen Esquilin Roms erster beheizter Swimmingpool erbaut.“ (Seite 11)

Christliches Abendland und christliche Werte – da winken wir in der säkularisierten Postmoderne, oder wo auch immer wir gerade drinstecken, ja gerne mal ab. Mit diesem dicken Schinken in der Hand fällt das Abwinken nicht mehr so leicht. Also buchstäblich und im übertragenen Sinn. 😊

Es kommt ja schon vor, dass Ereignisse mich dazu bringen, bestimmte Bücher in die Hand zu nehmen und auf dem Lesestapel vorzuziehen. Viel seltener ist es, dass ich etwas zu lesen beginne und plötzlich sagt die Gegenwart: Hallo, ich habe da Ereignisse für dich.

Vor Ostern hatte ich mit dem Buch angefangen. Der Tod von Papst Franziskus rief mir diesen Zusammenhang überhaupt erst ins Gedächtnis. Und während dann die Beerdigung von Franziskus medial verbreitet wurde und während der Wahl seines Nachfolgers und dessen erstem Auftritt, las ich das Buch zu Ende. Wie passend eigentlich, weil es die Verbindung zwischen der Geschichte des Christentums und der Welt, in der ich lebe, zum Thema hat.

Nun hatte ich ohnehin schon die Papstbegräbnisse und Papstwahlen während meines Erwachsenenlebens im Fernsehen verfolgt, auch als Atheist ohne jegliche religiöse Vorbildung. Die Macht des Rituals und der Bilder ist das, was mich tatsächlich immer wieder fasziniert. Vielleicht auch gerade weil das nichts mit meinem Leben zu tun hat.

Und genau der letzte Punkt ist ja das, worüber sich dann doch in Politik oder in der Geschichte immer wieder gut stolpern lässt. Lassen wir die wohlfeilen Balkonreden mal außen vor, in denen (zumeist konservative oder rechtslastige) Politiker:innen die christlichen Werte beschwören. Diese Phrasen erreichen mich nie und vermutlich nicht mal die jeweiligen Sprecher:innen selbst.

Die Querverbindung von Nächstenliebe zu Menschenrechten dagegen ist zum Beispiel sofort greifbar und einfach naheliegend. Überhaupt scheinen ja moderne eher progressive/linke Werte und Wertvorstellungen doch ihre Widerspiegelung im christlichen Glauben zu finden. Was also kann Tom Holland dazu berichten?

In dem Band bietet der Autor eine große Reise durch die Jahrhunderte aus, beginnend mit der antiken Welt in der Zeit, in der das Christentum auftaucht. Das Gegeneinanderstellen der bis dahin verbreiteten Vorstellungen von Göttlichkeit und Glauben auf der einen, und den ersten christlichen Überzeugungen andererseits, macht sehr anschaulich, wie revolutionär die Verkündigungen der ersten Christen in dieser Welt gewirkt haben müssen.

Holland verfolgt den Weg des christlichen Glaubens und seiner Träger:innen weiter und schildert den langen Weg, den es brauchte, bis das Christentum tatsächlich ein Machtfaktor in der diesseitigen Welt wurde. Zugleich sind diese Jahrhunderte natürlich prägend für das Selbstverständnis, vielleicht nicht immer der späteren Kirche, aber wenigstens für viele gläubige Menschen.

Immer wieder schildert der Autor disruptive Momente in der Geschichte des Christentums, die erst später auch die Geschichte der Katholischen Kirche wird. Tatsächlich erhellend ist dabei, wie sehr offenbar die uns selbstverständliche Säkularisierung, also die Trennung der religiösen und der weltlichen Sphäre, auf schon revolutionäre Umbrüche innerhalb des Christentums zurückgeht. Um nur ein prägnantes Beispiel zu erwähnen.

Beeindruckend sind die langen Linien, die Holland hier über so viele Jahrhunderte hinweg entwirft. Dazu nutzt er historische und religiöse Szenen und Persönlichkeiten, um von Kapitel zu Kapitel mit großer erzählerischer Finesse diese Entwicklungen kenntlich und greifbar zu machen. Diese Anschaulichkeit hilft beim Hinterfragen so mancher scheinbar atheistischer oder säkularisierter Wertvorstellungen und verdeutlicht die bis heute so prägende Kraft christlicher Erzählungen und auch christlichen Wirkens – im Guten wie im Schlechten.

Zwischen dem Eintauchen in dieses Werk immer wieder im Hier und Jetzt anhand der Bilder aus dem Vatikan die bedeutungsschwere Wirkmächtigkeit religiöser Inszenierungen zu sehen und zu spüren, dass sie auch in der Zeit von Social Media und TikTok-Tänzen noch auszustrahlen vermögen, ist faszinierend.

Mal ganz abgesehen davon, dass wirklich gut geschriebene historische Arbeiten einfach ohnehin schon Spaß an der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit machen. 😉

Kurz und gut: Wahrlich keine abwegige Lektüre für politische Menschen in der westlichen Welt im 21. Jahrhundert. Lesen!

(Übersetzung: Susanne Held)

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