Freitag, 6. Juni 2025

Karl Geary: Montpelier Parade


„‘Die Welt ist ´n gruseliger Ort.‘“ (Seite 7)

Und das ist die Geschichte von Sonny, der trotzdem einen Sonnenstrahl entdeckt.

Gruselig ist die Welt, wenn du auf der falschen Seite des Zauns aufwächst. Wenn deine Eltern sich abstrampeln, aber dennoch auf keinen grünen Zweig kommen und darüber, jeder auf seine Art, verbittern. Wenn deine Brüder schon lange einen Bogen um euren Vater machen, der jedes kleine Zubrot mit Handwerksarbeiten gleich wieder verspielt, für den kleinen Funken Hoffnung auf Glück. Wenn du schon lange keinen Weg mehr findest, mit deiner Mutter zu reden, geschweige denn Nähe zuzulassen, weil Gefühle und Träume in der harten Welt, in der deine Familie lebt, keine Rolle spielen. Wenn es auch keine Rolle spielt, was du dir für dein Leben erhoffst, denn das sind nur Spinnereien, die keinen Einkauf bezahlen.

Sonny jobbt neben der Schule in einer Fleischerei. Auch das ist gruselig, aber seine Mutter will ihn unbedingt dort für eine Ausbildung unterbringen. Außerdem hilft er seinem Vater bei dessen Gelegenheitsarbeiten. Eine der wenigen Möglichkeiten, ihm einmal nahezukommen, beim gemeinsamen Schuften. Das Leben ist also reichlich trüb, wozu das regnerische Wetter und die kühlen Temperaturen in Dublin passen.

Sonnys Leben ist trist und grau, das wird schnell und wirkungsvoll klar. Und es gibt eigentlich kein Entrinnen und keine Zukunft. Wenigstens keine, die anders aussähe als diese Gegenwart

Ganz unscheinbar und unerwartet drängt sich dann doch in all die traurige Routine ein Sonnenstrahl, als Sonny seinem Vater bei einer alten Villa an der Montpelier Parade beim Ausbessern einer Mauer hilft. Sonny weiß es noch nicht, ahnt es vielleicht, dass der kurze Auftritt der Hausherrin, einer Britin hier in Irland, diesen zarten Sonnenstrahl das Grau durchbrechen lässt.

Schon längst wieder zu Hause lässt Sonny die zerbrechlich wirkende Frau, um einiges älter als der Teenager, nicht zur Ruhe kommen. Ist es ihre ungewohnte Zartheit, die Fremdheit der Britin, die zierliche Frau allein in der großen Villa – immer wieder kehrt er zu dem Haus zurück, unter Vorwänden und beobachtet sie. In ihrer Abwesenheit zieht es ihn in das Haus, um sie, ihr Leben – beides so fremd – zu enträtseln.

Durch das Küchenfenster entdeckt er eines Tages Vera, die offensichtlich in klarer Absicht eine Überdosis Tabletten zu sich genommen hat. Sonny sorgt dafür, dass sie gerettet wird und durchstreift einmal mehr das Haus, in dem es unter anderem Unmengen von Büchern gibt. Etwas treibt ihn dazu, sich eines auszuleihen. Vielleicht, um einen Weg zu Vera zu finden? Vera, die keinesfalls dankbar für ihre Rettung ist, als er sie schließlich im Krankenhaus besucht.

Später, sie ist wieder zuhause, wird er durchnässt vom Regen vor ihrer Tür stehen, ohne recht zu wissen warum. Sie wird ihn schließlich hereinlassen, ins Bad schicken und ja, Sonny wird in Veras Bett landen. Und das erzählt Karl Geary ganz wunderbar, zerbrechlich und rau zugleich.

Es ist gar nicht so wichtig, an die Geschichte von Sonny und Vera für die Zeit, die sie andauert, ein Etikett anzuheften. Was zählt, dass sich hier zwei Menschen in sehr zerbrechlichen Momenten begegnen. Und für Sonny bedeutet das diesen einen Sonnenstrahl, der immerhin die Möglichkeit erahnen lässt, dass das Leben auch anders sein könnte, etwas anderes für ihn bereithalten könnte als seine Mutter und sein Vater und seine Brüder zu sehen vermögen.

Die Erzählstimme sticht dabei heraus, weil sie einerseits durchgängig Sonny anspricht und damit zugleich die Leser:innen. Aber auch ihre Ruppigkeit, die den Verhältnissen entspricht, die doch zugleich eine Verwundbarkeit zeigt, die blutrot in diesem einzelnen Sonnenstrahl funkelt.

Kurz und gut: All die begeisterten Zitate auf dem Buchumschlag haben vollkommen recht. Deswegen erst recht: Lesen!

(Übersetzung: Mayela Gerhardt)

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