„Eine Kindheit um 1960. Ein bürgerlicher Haushalt, in dem viel Musik gemacht wird. Der Vater ist Gefängnisdirektor. Der Krieg ist noch nicht lange her, und die Eltern versuchen, durch Hingabe an klassische Musik und Literatur nachzuholen, was sie ihre verlorenen Jahre nennen.
Doch überall spürt der Junge Risse. Gebannt verfolgt er die politischen Auseinandersetzungen, die seine älteren Brüder mit Vater und Mutter am Esstisch führen. Aber er bleibt Zuschauer. Immer häufiger flüchtet er sich in die Welt der Phantasie. Dieses Kind erzählt uns sein Leben und entdeckt dabei den eigenen Blick auf die Welt.
Edgar Selges Erzählton ist atemlos, körperlich, risikoreich. Voller Witz und Musikalität.“ (Umschlagtext)
Es gibt tatsächlich eher wenige Autor:innen, von denen ich ein Bild vor Augen habe, weil ich mich meist auf die Texte konzentriere. Dass ich noch viel zur Person nachlese, kommt recht selten vor – zumeist erst, bevor ich, nach dem Lesen, versuche meine Leseeindrücke in Worte zu fassen.
Bei Schauspieler:innen, die mir plötzlich als Autor:innen über den Weg laufen, ist das per se anders – sofern die vorher schon kannte natürlich. Eine gewisse Skepsis kann ich in diesen Fällen nicht verhehlen. Nicht, weil ich denen nicht zutrauen würde, dass sie etwas zu sagen hätten und dafür passende Worte fänden. Aber Schauspielerei, auch wenn sie natürlich Erzählen beinhaltet, ist natürlich etwas anderes als das Schreiben an sich. Denk ich mir so. 😉
Kurz, Geschichten übers Erwachsenwerden kriegen mich ja eh oft. Weil sich auch die Zeiten, in denen es stattfindet, so wunderbar darin spiegeln lassen. Dieser Roman ist offenbar zumindest autobiografisch geprägt. Schauen wir also mal, was er kann. 😊
„Ich
schaue durchs Schlüsselloch. Ist ja gerade niemand in der Nähe. Ich wundere
mich über das Bild vor meinem Auge: Der Rahmen hat die Form einer
Mensch-ärgere-dich-nicht-Figur, im Zentrum mein Vater, der eine ziellose Runde
auf dem Teppich dreht. Irgendetwas beschäftigt ihn. Er findet einen Fussel am
Boden, hebt ihn auf und legt ihn sorgfältig auf den Wohnzimmertisch. Er geht zu
seinem Lieblingsgemälde, Rembrandts ‚Mann mit dem Goldhelm‘. Sieht fast so aus,
als ob er mit dem Bild redet. Dann schreitet er zum Flügel, dreht sich um und
schaut direkt zu meiner Tür. Ich bekomme einen Schreck, aber so dumm bin ich
nicht: Er kann mich nicht sehen. Er legt eine Hand auf den schwarzen Deckel des
Instruments und – verbeugt sich. Er steht allein in seinem Flügelzimmer und
verbeugt sich in Richtung der Tür, hinter der ich stehe! Dabei lächelt er wie
eine alte Katze und nickt mehrmals in verschiedene Richtungen. Auch in meine.
Als sei ich ein Saal voller Leute! Der ist ja wie ich, schießt es mir durch den
Kopf.“ (Klappentext)