„Alle nannten ihn Matté, er war so etwas wie der Dorfnarr.
Er war Alkoholiker, jovial und laut. Fast immer, wenn die Kleine im Dorfladen
stand und darauf wartete, bedient zu werden, hörte sie ihn nebenan in der Bar
lärmen.“ (Seite 7)
Die Kleine ist die Tochter von ursprünglich aus Posen
stammenden Eltern und wächst mit ihrer Familie in Südfrankreich auf. Ein
Besiedlungsprogramm, von dem ich vor dem Buch noch nie etwas gehört hatte,
führte die Aussiedlerfamilie dorthin. Anna Tüne, vermutlich „die Kleine“, nennt
ihr Buch im Nachwort eine „hypothetische Autobiografie“.
In diesem Programm verpflichteten sich deutsche Familien, in
vom Krieg entvölkerten Gebieten Frankreichs verlassene Höfe auf Zeit zu
bewirtschaften. Anna Tünes Familie war eine davon und zog Anfang der 1950er
Jahre in einem dieser Höfe ein. Hypothetisch bleibt dieser autobiografische
Versuch, weil die Autorin zwar ihre Erinnerungen beschreibt, aber zugleich ein
literarisches Puzzlespiel betreibt, in dem sie zwischen den Zeiten und den
Personen hin und her wechselt und sich dabei natürlich auch Freiheiten in der
Beschreibung erlaubt.
So gelingt es ihr, die eigenen Kindheitserinnerungen
einzubetten in die Vorgeschichte ihrer Familie über die Zeit des Krieges hinweg
und zugleich diese denkwürdige Form der Integration tief im eben noch
verfeindeten Land zu beleuchten.
Für Leser*innen, die an biografischen Stoffen interessiert
sind und die zugleich eine poetische Sprache zu schätzen wissen, kann ich das
Buch bedenkenlos empfehlen. Das gilt natürlich auch für all jene, die sich für
die merkwürdigen Geschichten interessieren, die so unglaublich große
historische Verwerfungen wie der II. Weltkrieg gebieren.
Ich hatte das Vergnügen Anna Tüne im Gespräch über ihre
Geschichte kennenzulernen. Fasziniert lauschte ich den Erinnerungen, die dies
auch bei anderen Teilnehmer*innen der Gesprächsrunde auslöste.
Nur das Cover, das kann ich mir dann doch nicht verkneifen,
passt mal so gar nicht. Der Inhalt des Buches ist nicht halb so kitschig, die
das Foto auf dem Umschlag glauben macht. Das war nix, lieber Galiani Berlin
Verlag. ^^
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