Dienstag, 22. August 2017

Nnedi Okorafor: Wer fürchtet den Tod



„Mein Leben brach auseinander, als ich sechzehn war.“ (Seite 4)

Was allein auf den ersten hundert Seiten an menschlichem Leid, Gräueltaten, aber auch fantastischer Schönheit beschrieben wird, lässt diesen ersten Satz beinahe zu nüchtern erscheinen.

Aber bevor ich mehr über die Story schreibe, möchte ich ein großes Lob und einen herzlichen Dank an den Verlag Cross Cult aussprechen. Nicht nur dafür, dass ich auch diesen Roman der Autorin als Rezensionsexemplar erhalten habe, sondern viel mehr noch dafür, dass dieser kleine Indie-Verlag Nnedi Okorafor auf Deutsch verlegt. Ich war schon von „Lagune“, dem ersten auf Deutsch erschienenen Roman, schwer angetan und begeistert - und „Wer fürchtet den Tod“ steht dem in nichts nach. Danke, Cross Cult!

Nnedi Okorafor wurde in den USA als Kind von nigerianischen Einwanderern geboren. In ihren Romanen gelingt ihr die Verbindung von Fantastik und afrikanischer Kultur auf unglaublich mitreißende Art und Weise. Niemals überkam mich beim Lesen das Gefühl, Afrika wie auf einer Safari vorgeführt zu bekommen, die eigentlich nur dazu angetan ist, vorhandene Klischees zu bestätigen, ohne wirklich etwas vom Leben dort zu vermitteln. Nnedi Okorafor erzählt eine Geschichte mit einem so packenden Rhythmus, dass sich das Gefühl des Nur-Exotischen gar nicht erst einstellt.

„Wer fürchtet den Tod“, oder in ihrer Sprache: Onyesonwu, ist der Name der Hauptfigur. Sie erzählt ihre Geschichte, die in einem postapokalyptischen Afrika angesiedelt ist, ohne Ort und Zeit genauer zu definieren. Den Hintergrund bilden die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den dunkelhäutigen Okeke und den hellhäutigen Nuru.

Onyesonwu wird gezeugt, als ihre Mutter in der Wüste Opfer einer Vergewaltigung durch einen Nuru-Krieger wird. Sie kommt zur Welt als qua Geburt stigmatisiertes Mischlingskind und kann aufgrund ihres Aussehens nicht verbergen, welcher Verbindung sie entstammt. Nach langer Wanderschaft durch Wüsten und ödes Land, nach zahllosen Anfeindungen, denen die vergewaltigte Mutter ausgesetzt ist, als hätte sie sich ausgesucht, dieses Leid erfahren zu müssen, gelangen sie endlich in eine Stadt, in der sie sich niederlassen können. Die Mutter heiratet erneut; trotz des allgegenwärtigen Gefühls, anders als die anderen zu sein, verbringt Onyesonwu eine glückliche Kindheit. Ungeachtet ihres Andersseins ist sie mit den Traditionen fest verwachsen und entscheidet sich so zum Beispiel, an der Zeremonie der Beschneidung teilzunehmen.

Nach und nach bemerkt sie, dass sie nicht nur anders aussieht als die Menschen um sie herum: Es erwachen Kräfte in ihr, die in einer Kultur, die Geister und Übersinnliches als reale Phänomene erlebt, zwar etwas Besonderes, aber nicht unnatürlich sind. Während Onyesonwu diese Kräfte ausbildet und zu einer mächtigen, aber wenig disziplinierten Zauberin heranwächst, formt sich langsam ihr Schicksal. Es wird sie auf den Weg führen, die Geschichte der Okeke und Nuru umzuschreiben und vor allem den Peiniger ihrer Mutter, ihren leiblichen Vater ausfindig zu machen und Rache zu nehmen.

Diese Rache ist nicht nur persönlich, denn ihr Erzeuger entpuppt sich als mächtiger Nuru-Zauberer, der sich anschickt, das Volk der Okeke endgültig zu vernichten. Das Ziel ihrer Rache, seine Vernichtung, würde also das Überleben ihres Volkes sichern, das sie selbst als Aussätzige behandelt.

Onyesonwus Reise zum Volk der Nuru ist eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Hass und von immer mehr in den Vordergrund tretender Magie. Gekämpft wird erbittert und blutig, aber mit den Waffen von Zauberern. Das Ende will ich hier natürlich nicht vorwegnehmen. ;)

Beeindruckend finde ich, mit welcher schonungslosen Klarheit Nnedi Okorafor Vergewaltigungen, Beschneidungen von jungen Mädchen, den Einsatz von Kindersoldaten und die Stigmatisierungen, die im heutigen Afrika immer noch leidvolle Realität sind, in ihre futuristische Geschichte einwebt. Wenn uns die Bilder von Gewalt, die immer wieder in den Nachrichten gezeigt werden, schon lange nicht mehr zu berühren vermögen – der nüchternen, nichts beschönigenden Darstellung von Nnedi Okorafor kann man sich beim Lesen kaum entziehen.

Kurz und gut: Für mich ist Nnedi Okorafor auch nach diesem Roman eine echte Entdeckung. Sie hat etwas zu sagen, und sie kann erzählen. Ihre Sprache, ihre Bilder sind eindringlich und hallen wenigstens für mich spürbar nach, ohne ihre Bücher zu „Betroffenheitsliteratur“ zu machen. Kaufen und lesen, unbedingt! ^^


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