„Mein
Leben brach auseinander, als ich sechzehn war.“ (Seite 4)
Was allein
auf den ersten hundert Seiten an menschlichem Leid, Gräueltaten, aber auch fantastischer Schönheit beschrieben wird,
lässt diesen ersten Satz beinahe zu nüchtern erscheinen.
Aber
bevor ich mehr über die Story schreibe, möchte ich ein großes Lob und einen herzlichen
Dank an den Verlag Cross Cult aussprechen. Nicht nur dafür, dass ich auch
diesen Roman der Autorin als Rezensionsexemplar erhalten habe, sondern viel
mehr noch dafür, dass dieser kleine Indie-Verlag Nnedi Okorafor auf Deutsch verlegt.
Ich war schon von „Lagune“, dem ersten auf Deutsch erschienenen Roman, schwer
angetan und begeistert - und „Wer fürchtet den Tod“ steht dem in nichts nach.
Danke, Cross Cult!
Nnedi
Okorafor wurde in den USA als Kind von nigerianischen Einwanderern geboren. In
ihren Romanen gelingt ihr die Verbindung von Fantastik und afrikanischer Kultur
auf unglaublich mitreißende Art und Weise. Niemals überkam mich beim Lesen das
Gefühl, Afrika wie auf einer Safari vorgeführt zu bekommen, die eigentlich nur
dazu angetan ist, vorhandene Klischees zu bestätigen, ohne wirklich etwas vom
Leben dort zu vermitteln. Nnedi Okorafor erzählt eine Geschichte mit einem so
packenden Rhythmus, dass sich das Gefühl des Nur-Exotischen gar nicht erst
einstellt.
„Wer
fürchtet den Tod“, oder in ihrer Sprache: Onyesonwu, ist der
Name der Hauptfigur. Sie erzählt ihre Geschichte, die in einem
postapokalyptischen Afrika angesiedelt ist, ohne Ort und Zeit genauer zu
definieren. Den Hintergrund bilden die gewalttätigen Auseinandersetzungen
zwischen den dunkelhäutigen Okeke und den hellhäutigen Nuru.
Onyesonwu
wird gezeugt, als ihre Mutter in der Wüste Opfer einer Vergewaltigung durch
einen Nuru-Krieger wird. Sie kommt zur Welt als qua Geburt stigmatisiertes
Mischlingskind und kann aufgrund ihres Aussehens nicht verbergen, welcher
Verbindung sie entstammt. Nach langer Wanderschaft durch Wüsten und ödes Land,
nach zahllosen Anfeindungen, denen die vergewaltigte Mutter ausgesetzt ist, als
hätte sie sich ausgesucht, dieses Leid erfahren zu müssen, gelangen sie endlich
in eine Stadt, in der sie sich niederlassen können. Die Mutter heiratet erneut;
trotz des allgegenwärtigen Gefühls, anders als die anderen zu sein, verbringt Onyesonwu
eine glückliche Kindheit. Ungeachtet ihres Andersseins ist sie mit den
Traditionen fest verwachsen und entscheidet sich so zum Beispiel, an der
Zeremonie der Beschneidung teilzunehmen.
Nach
und nach bemerkt sie, dass sie nicht nur anders aussieht als die Menschen um
sie herum: Es erwachen Kräfte in ihr, die in
einer Kultur, die Geister und Übersinnliches als reale Phänomene erlebt, zwar
etwas Besonderes, aber nicht unnatürlich sind.
Während Onyesonwu diese Kräfte ausbildet und zu einer mächtigen, aber wenig
disziplinierten Zauberin heranwächst, formt sich langsam ihr Schicksal. Es wird
sie auf den Weg führen, die Geschichte der Okeke und Nuru umzuschreiben und vor
allem den Peiniger ihrer Mutter, ihren leiblichen Vater ausfindig zu machen und
Rache zu nehmen.
Diese
Rache ist nicht nur persönlich, denn ihr Erzeuger entpuppt sich als mächtiger
Nuru-Zauberer, der sich anschickt, das Volk der Okeke endgültig zu vernichten.
Das Ziel ihrer Rache, seine Vernichtung, würde also das Überleben ihres Volkes
sichern, das sie selbst als Aussätzige behandelt.
Onyesonwus
Reise zum Volk der Nuru ist eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Hass und
von immer mehr in den Vordergrund tretender Magie. Gekämpft wird erbittert und blutig, aber mit den Waffen von Zauberern. Das Ende will ich
hier natürlich nicht vorwegnehmen. ;)
Beeindruckend
finde ich, mit welcher schonungslosen Klarheit Nnedi Okorafor Vergewaltigungen,
Beschneidungen von jungen Mädchen, den Einsatz von Kindersoldaten und die
Stigmatisierungen, die im heutigen Afrika immer noch leidvolle Realität sind,
in ihre futuristische Geschichte einwebt. Wenn uns die Bilder von Gewalt, die
immer wieder in den Nachrichten gezeigt werden, schon lange nicht mehr zu
berühren vermögen – der nüchternen, nichts beschönigenden Darstellung von Nnedi
Okorafor kann man sich beim Lesen kaum entziehen.
Kurz
und gut: Für mich ist Nnedi Okorafor auch nach diesem Roman eine echte
Entdeckung. Sie hat etwas zu sagen, und sie kann
erzählen. Ihre Sprache, ihre Bilder sind eindringlich und hallen wenigstens für
mich spürbar nach, ohne ihre Bücher zu „Betroffenheitsliteratur“ zu machen.
Kaufen und lesen, unbedingt! ^^
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