Mittwoch, 22. November 2017

Irina Teodorescu: Der Fluch des schnauzbärtigen Banditen



“Der Mann trägt einen langen Schnauzbart zur Schau, so lang, dass er ihm oft in die Soße seines Lieblingsgerichts – einen bei den Bauern dieser ländlichen Gegend traditionellen Brei aus weißen Bohnen – hängt. Sein Appetit lässt erkennen, dass er ein bodenständiger Mann ist: Er ist so versessen auf sein Leibgericht, dass in seinem langen Schnauzer stets eingetrocknete Überreste von weißen Bohnen hängen.” (Seite 7)

Soviel kann ich ja schon einmal verraten: Trotz seines in weißen Bohnen getränkten Schnauzers wird der Bandit dann doch leider verhungern. Viel wichtiger ist aber ohnehin der Fluch, mit dem er die Familie Marinescu noch rechtzeitig vor seinem Ableben belegt. Genauer gesagt: Die männlichen Erstgeborenen jeder Generation. Über ein ganzes Jahrhundert. So wird Familiengeschichte geschrieben.

Fantastisch fand ich an den 141 Seiten, dass ich die ganze Zeit über eine kleine Blaskapelle im Ohr hatte, die von einer irren Geige durch abstruseste Notenfolgen gepeitscht wird. Dabei bin ich gar nicht sicher, ob diese Art Musik für das Rumänien, in dem die Geschichte spielt, wirklich typisch ist. Aber was ist in diesem Roman schon typisch?

Hach, diese Rumänen – nein, irgendwie funktioniert der Gedankengang nicht. So leicht lässt sich diese irre Geschichte nicht in eine Schublade packen. Ja, alles klingt so hübsch nach einer fernen, exotisch anmutenden Welt, dort irgendwo im Südosten Europas. Es ist alles sehr dörflich und einfach. Alle wirken ein wenig naiv, immer schon rückständig und sehr impulsiv. Das Europa, das wir kennen, ist nicht nur viele Jahre sondern auch viele Wegstrecken entfernt.

Und dann noch diese Familienclans, in denen die Frauen so anheimelnde Namen tragen wie Maria die Zweitgeborene, Maria die Versaute, Maria die Hässliche oder Margot die Schlange. So geht das natürlich über Generationen hinweg. Während die männlichen Erstgeborenen vom Fluch des schnauzbärtigen Banditen mit schöner Regelmäßigkeit hinweg gerafft werden, dürfen die Frauen auf die ihnen je eigene Art hübsch daran leiden.

So sind sie halt, die Marinescus. Je mehr ich aber darüber nachdenke, um so weniger exotisch kommt mir allerdings diese Art der Familiengeschichte vor. Denn eigentlich kennen wir das doch auch - diese auf Familiefeiern immer wieder erzählten Geschichten. Da war der Opa, und der war so und so, und seine Frau, die Oma erst noch. Aber Jahre später kam dann heraus. Das musst du dir mal vorstellen. Und selbst heute merkt man das noch, wenn du nur an deinen Onkel denkst. Apropos, ob das mit der neuen Flamme lange gut geht. Guck mal, wie die guckt. Die will bestimmt nur ans Familiensilber. Ach, dass die Männer dieser Familie einfach nie ohne dieses Laster …

Irgendwie so wird doch Sippengeschichte erzählt und familiäre Identität konstruiert. Komisch sind natürlich immer die anderen, während in unserem eigenen Familienkosmos doch alles so hübsch normal läuft.

Bevor das jetzt jemand aus meinem Clan liest und womöglich in den falschen Hals bekommt: Nein, ich meine natürlich nicht uns. Die Müllers, Meiers oder Marinescus vielleicht. Und Flüche gibts bei uns gleich gar nicht.

Kurz: Ein herrlich irrer Familienroman, keine Seite zu kurz oder zu lang. Lesen!

#leseherbst #roman #irinateodorescu #wagenbachverlag #rumänien #familie #fluch #satire #lesen #leselust #lesenswert #literatur #indiebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen