Mittwoch, 7. März 2018

Hans Pleschinski: Wiesenstein



„Der Opel Blitz kroch über die Mordgrundbrücke.
Die Reifen waren abgefahren.
Kupplung und Zwischengas hatte die Werkstatt instand gesetzt.
Rußschlieren überzogen das rote Kreuz.
Die verschlissenen Sitze quietschten.“ (Seite 7)

Der Zufall wollte es, dass ich „Wiesenstein“ aufschlug, kurz nachdem ich die neue Comic-Adaption des Tagebuchs von Anne Frank (von Ari Folman) gelesen hatte. Die Einträge Anne Franks vom Juni 1942 bis zum 01. August 1944 wie auch die Umsetzung in Comic-Form gingen mir noch in ihrer Eindringlichkeit und Intensität nach – wie auch die Frage, wie Menschen anderen Menschen derlei nur antun konnten.

Schnitt.

In einem Sanatorium unweit des gerade durch Brandbomben verheerten Dresdens residiert der Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann mit seiner Frau Margarete. Den 82jährigen plagt das Alter, die Lungen rasseln; seine Frau ist halb blind. Es ist März im Jahr 1945. Der Krieg ist unwiederbringlich an seinen Ursprung zurückgekehrt und walzt sich von Osten unaufhaltsam heran. Während Dresden in Trümmern liegt und das Ende zum Greifen nah ist, wollen die Hauptmanns nur noch eines – zurück auf ihr Anwesen im Riesengebirge, in Schlesien – ins Haus „Wiesenstein“.

Dank seiner Prominenz, seines Rufes als Volksdichter und der zunächst noch nebulösen Verquickung mit dem Naziregime gelangt das Ehepaar zusammen mit ihrer Zofe und dem Masseur tatsächlich bis zu seinem prächtigen Heim. Die Reise erlebt der greise Dichter nur als Schatten seiner selbst. Die Ehefrau bangt, die Bediensteten nicht minder. Dass nur sein Ruhm sie alle beschützen könne, zieht sich durch die geflüsterten Unterhaltungen, in denen Hauptmanns Leben und Wirken lebendiger hindurch scheint als der betagte, röchelnde Dichter noch wirkt, der da im Zug kauert.

Im „Wiesenstein“ angekommen, scheint die glorreiche, fast schon vergangene Zeit noch einmal stillzustehen. Das Hauspersonal erledigt dienstbeflissen seine Aufgaben, der Alte erholt sich langsam von den Strapazen der Reise und beginnt wieder zu arbeiten. Sogar kleine gesellschaftliche Zusammenkünfte gibt es ab und an im Haus, das zunächst noch von seinen Vorräten zehren und Gäste aus der Nachbarschaft bewirten kann. Die wenigen, die noch in diesem irgendwie toten Winkel des Krieges verblieben sind.

Natürlich bleibt es nicht so, und kann es auch nicht. Die Idylle ist flüchtig, der Schein trügerisch. Risse tun sich auf, in Unterhaltungen, in hereintröpfelnden Nachrichten von der Welt da draußen, in geflüsterten Mutmaßungen was und wie denn alles sich entwickeln wird.

Die sehschwache Hausherrin verbittet sich Krieg und das Chaos um sie herum als Themen bei Tisch; sie will nicht sehen und nicht wahrhaben. Zugleich wird im Keller des Hauses, im ehemaligen Schwimmbecken, das Archiv des Hausherrn sortiert, gesichtet, für die Reise in vermeintlich sicherere Reich verpackt – und vorsorglich nach Be- und Entlastendem durchforstet. Die Dienerschaft macht sich Kleine-Leute-Sorgen ums Überleben. Bei Tisch schwanken die Gespräche immer mehr zwischen „es war doch nicht alles schlecht“, „wir haben doch nur Befehle befolgt“, „wir haben versucht anständig zu bleiben“ und der heraufziehenden Erkenntnis, wie sehr man sich dreingefügt hatte und es sich wohlgehen ließ.

Immer skurriler wirkt das Ensemble, je mehr Einschränkungen auch im „Wiesenstein“ spürbar werden. Vorräte werden knapper, Informationen darüber, was um sie herum sich abspielt auch. Dass die ungeschminkte Kriegs- und heraufziehende Nachkriegswirklichkeit immer wieder harsch an die massive Haustür donnert, ist zunehmend weniger zu überhören und zu ignorieren – wenigstens für diejenigen im Haus, die sich noch sorgen, um das Leben danach und nicht nur ums reine Überleben.

Dem „Wiesensteiner“, wie Hauptmann hier auch genannt wird, ist es in seinen lichten Momenten immer wieder darum, an seinem Werk zu feilen, zu verbessern und – das schleicht sich immer weiter ein – am Bild von sich in dieser Zeit. Warum ist er in Deutschland geblieben, wo andere gingen? Warum empfing er Gauleiter, nahm Preise entgegen und ließ sich von den Schlächtern hofieren? Reicht es aus, als Stimme der kleinen Leute und der doch auch großen Kultur geblieben zu sein? Hatte er nicht sogar eindeutige Zeichen der Humanität gen Russland gesendet, vor Jahren schon?

Dieses Ringen des großen Dichters um sein Erbe, seinen Ruf lesend zu erleben ist mit all den Referenzen auf Gedichte und Tagebucheinträge im Text eindringlich, erschütternd und eben alles andere als einfach zu bewerten. Auch wenn mir mehr als einmal, immer noch Anne Frank vor Augen, in den Sinn kam: Wie konnte er nur so blind sein und nicht sehen wollen, mit wem er sich einließ? Glaubte er ernsthaft, er könne einen Unterschied machen, wo so unterschiedslos gemordet wurde? Wie schwer wiegt in seinem Werk, dass er letztlich doch nur ein Mensch war und so irrte, der Dichter-Heroe?

Am Ende bereiteten sich Hauptmanns darauf vor, zurückzukehren ins Restdeutschland. Sein Ruf konnte gerade so sein Leben auch nach dem Einmarsch der Sieger in sein Schlesien verschonen. Als er dann doch noch im Haus „Wiesenstein“ am 06. Juni 1946 verstarb, blieb den Verbliebenen nicht mehr viel Zeit, um das aus der Zeit gefallene Refugium zu verlassen. Die harte historische Wirklichkeit holte sich auch das zurück.

Leicht hat es mir das Buch Pleschinskis nicht gemacht. Die Sprache so schleppend und schwer auf der Zunge zuweilen. Kaum eine Figur, die ich ehrlich sympathisch finden konnte. Soviel Ambivalenz und Hin- und Hergerissensein zwischen Verständnis und irritierendem Ekel. Es ist, für mich ganz unzweifelhaft, ein großes Buch. Es schenkt keine bequemen Einsichten und fordert heraus. Und wo sich gerade wieder Kräfte aufmachen und etwas von Volksgmeinschaft faseln und den bösen Fremden, und es müsse doch vorbei sein mit dem „Schuldkult“ – da trifft so ein Werk ins Schwarze.

Kurz und gut: Kein Vergessen, kein Herumlavieren und es doch nicht so gemeint haben! Lesen, weil wir uns dem immer und immer wieder stellen müssen! Andernfalls ist jedes Beharren darauf, dass es doch auch so viel Bedeutendes neben der Schande gäbe, blanker Zynismus.

Danke sei noch dem Verlag gesagt, für das Rezensionsexemplar.

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